Man weiß bei Champagne Bollinger, dass man spät dran ist. Während sich der Boom des Gins längst dem Ende nähert, bringen die Franzosen ihren Erstling mit Wacholder heraus. „Eine antizyklische Innovation“ nennt man das oder auch „wir sind wie ein Start up innerhalb der Bollinger-Familie“. So formuliert es die Frau hinter Anaë Gin, Pauline Raffaitin, im Gespräch über ihr Rezept. Innovativ ist einiges an diesem Destillat, allen voran das Bekenntnis zu französischen Zutaten in Bio-Qualität. Lediglich beim Wacholder, ist Madame Raffaitin ganz offen, „haben wir nicht genug bio-zertifizierten in Frankreich gefunden“. Das wird aber mehr als kompensiert durch den nachhaltigen Ansatz bei der Verpackung. Etikett aus Recycling-Papier und Holz-Stöpsel aus verantwortlicher Waldwirtschaft stehen zu Buche. Selbst die Werbematerialien – Jute-Kissen und Holz-Kühler – lässt man bewusst nicht in Übersee fertigen.
Der Inhalt der feminin-schönen Flasche stammt aus der Charente. Denn hier versteht man sich auf die Destillation, folgte man in typisch französischer Manier den Gedanken von terroir und meilleur ouvrier: Man geht dorthin, wo das Handwerk am besten bekannt ist. Und im Falle eines Champagnerhauses muss das jemand sein, der Trauben-Alkohol destillieren kann. Diese Basis erhält dann die Aromageber, auf die man sich bei Anaë verständigt hat. Ein wesentliches Botanical kommt dabei von der Ile de Ré: Maceron-Samen gelten dort als wild gesammelter Pfeffer-Ersatz, der auch leichte Trüffelnoten aufweist. „Marsch-Pfeffer“ nennt man ihn am Atlantik auch oder „Mönchsbeere“, da die Zisterzienser im Mittelalter den Anbau förderten. „Smyrner Kraut“ oder „Mazedonischer Sellerie“ verweist wiederum auf den Ursprung der Pflanze im östlichen Mittelmeerraum – diese Synonyme klingen auch besser als die deutschen Bezeichnungen von Smyrnium olusatrum: „Pferdeeppich“ oder „Gespenst-Gelbdolde“. Geschmacklich hebt diese Zutat „vor allem die Pfeffrigkeit im Gin hervor“, so Anaë-Macherin Raffaitin.
Für Kenner fällt in dem auf acht Botanicals beschränkten Kräuter-Rezept aber noch eines auf: die Abwesenheit von Zitrusfrüchten. Hier springen Zitronenverbene und Zitronenthymian in die Bresche, erhöhen aber den „botanischen“ Charakter der Neuheit. Den hat man auch für die Bar im Auge, denn parallel zum Gin gibt es auch eine Gewürzmühle, mit der man seinen Gin & Tonic aufpeppen soll. Wakame-Alge, Ysop, Verbene und Koriander ergänzen die herb-salin-kräutrige Grundanlage.
Doch schenken wir den mit 43% vol. gefüllten Franzosen-Gin einmal ein! Denn idealer Weise genießt man ihn einmal pur, so der Rat von Pauline Raffaitin. Gerne auch zu Fisch-Tartare oder Austern, so die Kennerin. Wir lassen die Meeresfrüchte weg und entdecken einen floralen Duft im Glas, der an Veilchen und generell herbe Blüten-Noten erinnert. Grüner Pfeffer geht nahtlos in einen Wacholder-Ton über. Im Duftbild ist der Newcomer klar als Gin erkennbar, was immer freut angesichts aromatischer Exzesse am Markt. Die blumigen Noten kommen ohne Fruchtigkeit aus, dafür regiert eine gewisse Erdigkeit. Aber auch Macchia, wie der Franzose das nennt.
Am Gaumen bringt Anaë ein rundes Mundgefühl mit, von Anfang an wirkt der Geschmack „dunkel“. Als Frucht, so man sie weiter gewaltsam sucht, ist eine Brombeer-Note da, vor allem aber Lorbeer und eine trockene Pfeffrigkeit. Auch der Ausklang ist von herb-dunkler Natur, er bleibt vor allem lange präsent und gibt auch die Richtung für den Longdrink vor. Denn süße und fruchtige Tonic Waters würden hier die Subtilität stören. Ein trockener Filler hingegen lässt diese Balance aufleben – wir testeten mit Thomas Henry „Dry“. Und das funktioniert bestens als „G&T“.
Praktisch alle Drinkempfehlungen aus der maison Bollinger weisen kräutrige Noten auf. Von Joerg Meyers „Gin Basil Smash“ über die leichte Abwandlung der „Bloody Mary“ mit Tomatenwasser und gerösteten Marsch-Pfeffer-Samen (eine Idee von Gauthier Zucco). Für den Sommer ist auch der Drink mit Salz-Zitrone und Soda ein echter Tipp. Und wem der Negroni immer zu süß war – hier hat der Wermut einen Partner in Sachen Bitternoten gefunden.
Bezugsquellen:
Bollinger, Anaë Gin kostet EUR 40,- (0,7 Liter-Flasche) im Webshop des Importeurs Kate+Kon, www.kateandkon.com