Es war ein flüssiger Zeitzeugen-Bericht, den Tim Mondavi einen ganzen Nachmittag im Schatz Imhof gab. Der Familien-Name allein klingt in der Wein-Szene wie Donnerhall, doch die Geschichte seiner 100 Jahre im kalifornischen Weinbau tätigen Familie ist zudem mit einer Reihe globaler Rotwein-Legenden verknüpft. Als oberster „winemaker“ im Imperium seines Vaters Robert Mondavi († 2008) war er dreißig Jahre für die Geschicke der Kalifornier – und ihrer Joint Ventures verantwortlich. „2023 war meine 50. Ernte“, streut Mondavi nebenher ein, während er Anekdoten über längst kanonisierte Weinpersönlichkeiten wie Philippe de Rothschild, Lodovico Antinori (dessen Weingut wir hier porträtierten) oder Vittorio Frescobaldi einstreut.
Doch im Wesentlichen lässt er die Weine sprechen, der vorbereitete Powerpoint-Vortrag mit vielen historischen Bildern, verkommt eher zum Stichwort-Zettel, der in diesem Fall halt an die Wand projiziert wurde. Etwa dann, wenn es um den zweiten Wein nach dem Verkost-Auftakt von der Robert Mondavi Winery – Cabernet Sauvignon Reserve 1992 – geht. Eduardo Chadwick holte den jungen Absolventen der UC Davis, Amerikas renommierter „Wein-Uni“, nach Chile. Vier Jahre suchte man nach den idealen Weingärten für jene Ikone, die der „Seña” im Nachhinein schnell werden sollte . Mit Blick zum Anden-Gipfel Aconcagua, der schon in Argentinien aufragt, fand man sie. Zwei Lehren gehen auf diese Erfahrung zurück: Die Bevorzugung von höheren Lagen für seine Rebanlagen und deren möglichst naturnahe Bewirtschaftung.
Der 1995er Seña verströmt den schwärzesten Duft nach Waldbeeren wie Heidelbeere und Cassis. Dunklere Tönung verlieht ein Quäntchen Kakaocreme. Saftig und scheinbar alterslos netzt der Wein den Gaumen mit einer Fülle an Beeren-Saftigkeit. Das ausgeprägte Tannin garantiert hier noch 15 Jahre Reifepotential, während Tim Mondavi die „Rotklee-Note als Signatur des Carménère in den besten Jahren“ herausstreicht. Dieser leicht pikante und herbe Nachhall macht einen attraktiven Schlussteil aus, in dem man auch Pomodori Secchi erkennen kann. Ein wahres Vergnügen in jedem Fall!
„Every year is a another opportunity for progress“.
Tim Mondavi, kaliforn. Weinlegende (72)
Ohne die Weine im Detail zu trinkprotokollieren, die allesamt nur mehr als „Blue Chips“ am Sekundärmarkt zu finden sind, sei das Line up dieses denkwürdigen Kost-Nachmittags genannt: Luce della Vite, das Partner-Projekt mit den Frescobaldis in Montalcino, war mit Jahrgang 2001 vertreten. Liebstöckl, Ockerpigment und getrocknete Kirschen ergaben mit der Schwarzen Olive des Sangiovese einen ebenfalls noch jugendlichen Wein.
Auch beim Opus One Jahrgang 1996, den das Fine Wine-Team einschenkt, ist das Genussplateau bei weitem noch nicht erreicht. Sommer-Trüffel und Steinpilz würzten mit erdiger Kraft eine klar vom Cabernet getriebene Fruchtigkeit. Der Nachklang von Gewürzpaprika, vor allem aber Kaffee, zeigt, dass hier der Gerbstoff noch lange nicht abgeschliffen ist. Und er hielt enorm lange an.
Auf das Joint Venture mit Baron Rothschild folgte mit dem Ornellaia des Jahrgangs 2003 ein Rotwein, hinter dem das Königsdrama der beiden Florentiner Markgrafen Antinori und Frescobaldi, seinerzeit ein Klatschthema aller Weinenthusiasten, stand. Lodovico Antinori hatte das rasch zu Kultstatus gelangte Weingut 1999 bzw. 2002 in zwei Tranchen an Robert Mondavi abgegeben. Letztere brachten die konkurrierenden Marchese Frescobaldi als Partner mit. Mondavi, damals bereits Börse-notiert, konnte sich nicht lange dieses italienischen Juwels erfreuen. 2004 verkaufte die Familie an Constellation Brands.
Die Suche nach Spannung im Wein: Continuum
In Tim Mondavis Version der Geschichte hatten die Financiers die Gründer aus dem Weingut vertrieben, das weiterhin Robert Mondavi Winery hieß. Eine Milliarde Dollar soll der Deal umfasst haben, doch für die Söhne – Tim und seinen älteren Bruder Michael – war der Schritt hart. „Kurz davor gab es den großen Bilanz-Skandal bei Enron, wo sich das Management selbst die Taschen mit Firmengeld füllte. Für Anleger waren plötzlich alle „Insider“ verdächtig. Bei uns hieß das: die Familie Mondavi“. Die alten Aktienregeln, wo selbst ein 6%-iger Anteil dem Gründer die Kontrolle der Stimmrechte erlaubte, hatten keine Gültigkeit mehr.
Das alles liegt aber hinter Mondavi, der sein Leben mit 53 Jahren neu überdenken musste. „Es war dasselbe Alter, in dem sich mein Vater 1966 selbständig gemacht hatte“, sieht er rückblickend ein gutes Omen darin. 2005 gründeten Tim und seine Schwester Marcia Mondavi dann Continuum. Diese Bezeichnung war sprechend: Der klingende Name von Napa sollte weiter für herausragende Rotweine stehen. Er tut es oberhalb von St. Helena in einem Weingarten namens Sage Mountain. Und unter dem markanten Signet „Light of the Vine”, das Chiara Mondavi, eines von fünf Kindern des 72-Jährigen, geschaffen hat. Die Schattenmalerei eines Cabernet-Rebstocks ziert die Flaschen hinter dem abschließenden Flight, den Mondavi in Wien kommentiert.
Continuum 2006 repräsentiert dabei die Anfangsjahre. „Da kamen die Trauben noch aus dem berühmten Weingarten To Kalon“ – erst seit 2013 ist der Wein „fully Estate-grown“. Der Duft von Liebstöckel steigt aus dem Glas, Weißer Pfeffer und Piment unterstreichen die Würzigkeit dieses Weins. Doch gegen die fast zu riechende Saftigkeit der Cuvée haben sie das Nachsehen: Maulbeere und Heidelbeere machen Lust auf den Kostschluck. Dicht, saftig und druckvoll fällt dieser aus: So frucht-getrieben, wie es der Duft des 2006ers vermuten ließ, zeigt sich der Geschmack. Das Tannin bei diesem Blend aus Cabernet Sauvignon (59%), Cabernet Franc (25%) und Petit Verdot (16%) ist noch prononciert – es ist noch nicht ganz zum Partner der durchgängig dunkel Frucht und dem würzigen Flirren dieses lebendigen Mix‘ geworden.
Das allerdings gehört zur Philosophie des Winzers, die sich nicht nur aus 50 Jahrgängen speist, die er in einigen der besten Weingärten der Welt verbrachte. „Alle Weine werden ungefiltert abgefüllt, das hat schon mein Vater bevorzugt. Er war davon überzeugt, dass die Weine damit besser altern – ich teile die Ansicht und halte das auch so“. Das Traubenmaterial selbst stammt aus Lagen auf 400 bis 500 Metern Seehöhe. Die sortenspezifischen Würze-Töne akzentuierte noch das rote Gestein vulkanischen Ursprungs, das diese Lagen prägt. „Die Spitzentemperatur ist niedriger“, schildert Mondavi die Vorzüge gegenüber den Lagen am Talboden von Napa, „die Nächte sind wärmer“.
2019 ist der aktuelle Jahrgang von Continuum, allerdings auch derjenige mit dem bislang höchsten Anteil an Cabernet Franc (37%). Und das riecht man bereits in einem Duftbild, das von kontroverser Anziehungskraft bestimmt wird. Zum einen sind die Noten von Brombeere stark ausgeprägt, zum anderen bietet Schwarzer Olive als Widerpart eine würzige Spannung. Das allein wäre bereits attraktiv, doch das florale Parfum von Malven und Veilchen ergänzt den Geruch noch um eine weitere Facette.
Am Gaumen zeigt sich beim 2019er eine ebenso tiefgründige, dunkle Beerenfrucht (Brombeere und Holunder), aber auch hier wird die von der jugendlichen Säure und kraftvollem Gerbstoff begleitet. Das ergibt ein herrliches Spiel aus tiefer Frucht, zarter Bitterkeit und Frische. Und im Trinkverlauf weicht die intensiv wie Beeren-Saft wahrnehmbare Frucht-Power einem Nachhall von Holunder und Kaffee. Wenn wo das Wort vom „sicheren Reifepotential“ Geltung hat, dann hier!
Vor allem steht dieser Wein in einer Reihe mit den sechs anderen verkosteten „big names“ der Rotwein-Welt, die neben Tim Mondavi als begleitendem Önologen noch etwas Zweites gemeinsam haben: Sie wirken alle weit jugendlicher, als es der Zahl auf dem Etikett entspricht. Aber der Mann, der schon in Chile darauf gedrängt hatte, höher gelegene Lagen im Schatten eines Sechstausenders zu wählen, bedient auch heute kein Klischée von „fetten“ Kalifornien-Weinen. Knapp 20 Jahre ist es nun her, dass man ihn zwang, einen neuen, eigenen Weg zu suchen. Aber er geht ihn auch mit 72 noch mit festem Schritt.
Bezugsquelle:
Continuum Estate, Napa Valley Sage Mountain Vineyard 2019 kostet EUR 329 (0,75 Liter-Flasche) bei Kracher Fine Wine, www.finewineshop.com