Die Mischung aus Seewinkler Schmäh und weltmännischem Wein-Know How begeistert immer noch. Man merkt das vor allem, wenn Neulinge Gerhard Kracher erstmalig über Prädikatswein sprechen hören. Und im Verkostraum in Illmitz waren es wieder einige, die so vielleicht auf den Geschmack des „süßen Golds“ kommen. Dass es keineswegs leicht zu „schürfen“ ist, wissen jedenfalls alle, die am Weinlaubenhof die Jahrgangspräsentation 2020 besucht haben. „Es war ein Jahr, in dem wir viel Angst gehabt haben“, skizzierte der Winzer dort nämlich die Ausgangslage in diesem heißen Jahrgang – „die See-Fläche war um ein Drittel kleiner“.
Doch am Ende kam dann doch auch 2020der graue Pilz, der alles ermöglichte. Botrytis alias „noble rot“ setzte ein am Neusiedler See. So wie alle 59 Jahrgänge davor. Denn 2024 feiert das Weingut, das Österreichs Ruf in der Genuss-Welt maßgeblich mitgestaltet hat, seinen 65. Geburtstag. Und so wird am Ende des Tastings dann auch das alte „AK“-Etikett herumgereicht. Die Initialen von Alois Kracher finden sich auf dem Hommage-Wein, der 2019 zum 60. Bestehen des Betriebs vorgelegt worden waren. Er enthält eine Trockenbeerenauslese (TBA) aus den Sorten Scheurebe, Chardonnay und Welschriesling. Vergoren wurde auf der Vollhefe, so wie es der Großvater einst 1959 praktiziert hat. Gegenüber der Vorstellung vor fünf Jahren (hier bei uns zu lesen) hat sich die „60 Years Anniversary TBA“ grandios weiterentwickelt. Quittenkäse, vor allem aber Safran in Reinkultur, prägen den Geschmack.
Und diese Flasche gibt reichlich Anlass zum Illmitzer Edutainment, Marke Kracher. Da wird gelacht: „Wenn es bei uns g’heißen hat „Heut gibt’s keinen Wein“, dann waren es nur zwei Flaschen“. Doch man lernt auch. So erfährt der Laie nebenbei, warum es selten Prädikatsweine roter Rebsorten gibt: „Die dickere Schale nimmt die Botrytis nicht so an“. Immerhin gibt es mit der TBA No. 1 aber auch in diesem Jahrgang eine „rote“ Ausgabe. Sie stammt vom Zweigelt und zeigt einen attraktiven Kupfer-Ton im Glas. Eine zarte Oxidationsnote vergeht schnell, denn die nachdrängenden Noten entwickeln sich mit Sauerstoff in drei Richtungen. Malven stehen für die blumig-rotfruchtige Seite, während ein Touch von Kräuterzuckerl (Hustinette) die herbe Seite der roten Sorte durchschimmern lässt.
Auf dem Frucht-Konto hat – ganz sortentypisch – diesmal die Zwetschke viel eingezahlt. Man denkt an Zwetschkenkrampus, ganz leicht auch an Nuss, die er ja oft auch mitbringt. Am Gaumen regiert anfangs die dunkle Fruchtigkeit eines Waldbeeren-Mixes, in dem vor allem Brombeere zu schmecken ist. Ab dem Mittelteil darf man wieder eine Variante von Zwetschke wahrnehmen. Die Frische im Abgang erinnert einen daran, dass man es hier mit Zwetschkenröster zu tun hat. Vor allem diese jugendliche Unbekümmertheit des doch 152 Gramm aufweisenden Süßweins punktet voll.
Der nächste Wein ist der Traminer 2020 (a.k.a. TBA No. 2), dessen goldene Robe allein schon attraktiv schimmert. Ein Duft nach Toastbrot geht in Vorlage, ehe die Früchte ihn einholen, überholen und übertrumpfen. Dann riecht diese TBA aus der Lieblingssorte von Gerhard Krachers Großvater nach karamellisierter Ananas, Mango und auch nach kandierter Cedratzitrone. Das ölige Mundgefühl bereitet einen allerdings nicht auf das Spiel vor, dass sich dann Süße und Säure liefern: Wie ein frisch gepflückter Pfirsich vereint der Traminer beide Komponenten. Auch ein wenig Lychee schmecken wir. Die würzige Seite nimmt dann zu; Ginger Beer-Noten, aber auch edelsüßes Paprikapulver sorgen final für einen „spicy“ Ausklang. Er bietet den 180 Gramm Restzucker dieser TBA schön Paroli.
Wie immer nach Zuckergehalt aufsteigend nummeriert, gibt es aus dem Jahrgang 2020 nur sechs TBA-Abfüllungen. TBA No. 5 stellt reinsortigen Rosenmuskateller dar. Er wurde – ein weiteres Informationsnugget! – 2006 erstmals gekeltert, dem letzten Jahr, in dem die drei Winzergenerationen gemeinsam am Werk waren (Alois Kracher jun. verstarb 2007). Zur No. 3 wurde 2020 dann mit 209 Gramm Restzucker die Scheurebe. Sie schmeckte nach Marillen-Gelée mit rosa Pfeffer, Mango und kandierten Orangenschalen. Erneut ein grandioser Prädikatswein, doch dann kamen noch zwei andere ins Glas…
Die „Grande Cuvée“, der mengenmäßig wichtigste Wein in der TBA-Kollektion wurde dabei im Jahrgang 2020 noch aufgewertet. Er trägt die No. 4 am Label. Und da es 2020 keine reine Chardonnay-TBA gibt, gingen alle Trauben in die Cuvée mit Welschriesling. Das dunkle Gold im Glas hat einen so starken Farbton, dass er anderswo als „Tutanchamun-Gold“ beschrieben wurde. Trifft es irgendwie! Dagegen braucht der Duft ein wenig Zeit, um auf Touren zu kommen. Dann aber öffnen sich Nashi, Zuckermelone, Honig und Piment. Wer gerne in indischen Restaurants isst, wird sich an den Safran-Sirup-Duft von „Amla“ erinnern. Genau so riecht die TBA No. 4!
Regelrecht mundfüllend ist die 2020er „Grande Cuvée“, bei deren Geschmack man z. B. an die Rosen-Gelée-Würfel beim Türken denken kann (deren Name uns jetzt nicht einfällt). Klarer noch als in vielen anderen Jahrgängen der Cuvée sieht man hier beide Bestandteile ihr aromatisches Werk verrichten. Als blicke man auf die Unruh in einem Uhrwerk, liefert der Chardonnay die Frucht-Noten (Ananas, Nektarine, Mangosteen) verlässlich ab, während der „Welsch“ ebenso präzis für die Struktur sorgt. Man muss das aber nicht abstrakt sagen: Im Finale wird dieser Wein immer pikanter am Gaumen. Dann schmeckt er nach Peperonata und Gelbe Paprika. In diesem Nachhall ist die würzige Seite enorm ausgeprägt.
Eine salzige „Geburtstagstorte“: TBA No. 6
Und diese Erkenntnis von der „Grande Cuvée“ alias TBA No. 4 kann man gleich mitnehmen zur TBA No. 6 des Jahrgangs, dem puren Welschriesling! 304 Gramm Restzucker und sein entsprechend niedriger Alkohol (8,5%) stecken hier die technischen Parameter ab. Das Gelbgold lädt richtig ein, auch die Fruchtnuancen sind Anfang in sattes Gelb getaucht – man riecht Ananas und Salzzitrone gleichermaßen. Erst allmählich schält sich auch eine weißfleischige Birne aus diesem Potpourri. Sie wird als saftiger Zug auch am Gaumen noch einmal auftauchen.
Doch zunächst spürt man diese TBA mehr, als dass man sie schmeckt; die Viskosität im Mund ist auffällig. Dabei liegt der edelsüße Welschriesling aber nicht schwer wie ein Bonbon auf der Zunge, sondern entwickelt dank der Säure (8,4 Gramm) ordentlich Druck. Wie in Wellen kommen daher die Tropenfrüchte zur Geltung. Mango vor allem. Doch zuvor sind es Nektarine und Marille, die man schmeckt und die, wie erwähnt, richtige hohe Saftigkeit zeigen. Doch es wäre kein Kracher-Welschriesling, wenn nicht die Salzigkeit als zweites Element auch stark ausgeprägt wäre. Vor allem das letzte Drittel zeigt diese saline Note merklich. Für uns war das ganz klar 😍der schönste Wein😍 der 2020er-Serie. Und ein höchst würdiger Schluck zum Kracher-Geburtstag!
Bezugsquelle:
Weinlaubenhof Kracher, TBA No. 1 Zweigelt 2020 kostet EUR 55,01 (0,35 Liter-Flasche), die TBA Scheurebe No. 4 2020 ist wie auch die TBA Grande Cuvée No. 4 2020 um EUR 59,- erhältlich und die TBA No. 6 Welschriesling 2020 kostet EUR 69. Alle Trockenbeerenauslesen im Webshop des Weinguts, https://shop.kracher.at