Irgendwann an diesem Abend kommt dieser eine Satz auf. Gefolgt von ehrfürchtigem Schweigen. Er lautet: „Keiner in diesem Raum ist älter als dieser Whisky“. Tatsächlich trägt die Flasche mit der Aufschrift „Shirakawa“ das Herstelldatum 1958. Damit endet aber schon fast wieder, was man über diesen Single Malt aus dem fernen Japan weiß. „A lot around it is a mystery“, formuliert es der Schotte, der die Rarität vorstellt. Scott Adamson begegnete uns schon bei seiner eigentlichen Brennerei Tomatin (deren Malts hier gewürdigt wurden). Die Entdeckung des einzigen Shirakawa Single Malts geht auf seinen Chef in den Highlands, Stephen Bremner zurück. Der war „fast besessen von der Geschichte Shirakawas“, wie es Scott bei unserem Treffen formuliert.
Nachvollziehbar ist das für Whisky-Freaks. Denn eine der ersten Single Malt-Brennereien war nicht nur aus dem Spiel, als der Boom des Japan-Whiskys unter westlichen Sammlern begann. Die Brennerei war da bereits dem Erdboden gleich gemacht. Lediglich von 1951 bis 1958 destillierte man in der Präfektur Fukushima unter dem Eigentümer „Takara Shuzo“ Single Malt. Der wurde als Komponente für den japanischen Blend „King“ gebraucht, der in der Nachkriegszeit einen Boom als Mix-Spirituose erlebte. Doch schnell ging man zu Importen aus Übersee über, der Produktionsschwerpunkt in Shirakawa verlagerte sich erst auf Shōchū, ehe mal als Abfüllstandort 2003 gänzlich demoliert wurde.
Als der Tsunami das Atomkraftwerk von Fukushima 2011 beschädigte, wurden am alten Brennerei-Gelände Notunterkünfte für die Bevölkerung eingerichtet. Doch als reine „lost distillery“ sollte Shirakawa nicht in die Geschichte des japanischen Whiskys eingehen. Dafür aber als ihr Methusalem! Denn Stephen Bremners Recherchen führten ihn ins Hunderte Kilometer entfernte Kyushu. Ein Stahltank beinhaltete alles, was von der Single Malt-Brennerei übrig war. Und es war nicht wenig – 1.500 Flaschen des 1958 gebrannten Whiskys konnten gefüllt werden.
Die Geschichte ist damit zwar lückenlos, allerdings klaffen gerade an ihrem Anfang, bei der Reifung im Holzfass aus japanischer Mizunara-Eiche, Lücken. „Wann der Whisky zuerst in Keramikflaschen, dann in den Tank umgefüllt wurde, weiß man nicht“. Die 350 Liter-Fässer der unmittelbaren Nachkriegszeit aus dem heute gesuchten Mizunara-Holz machen den ältesten je gefüllten Japan-Malt aber noch interessanter. Und es war ein Privileg, an dieser Zeitkapsel nicht nur schnuppern zu dürfen. Importeur Rudolf Ammersin ließ zu Ehren dieses Jahrhundertfunds den 65-jährigen Whisky auch aus der Flasche. Hier unsere Eindrücke der „once in a lifetime“-Verkostung!
Die erste Nase dieser Zeitkapsel ist vertraut, aber ungewöhnlich: Wie ein Patchouli-Räucherstäbchen lässt sich der „Shirakawa“ an. Es ist der erste von vielen Geruchseindrücken, die beinahe minütlich wechseln. Die Konstante stellt dabei der Duft dunkler Schokolade dar. Sie zeigt sich einmal als Rum-Kokos, dann kommt sie wieder als fast rauchige Espresso-artige Intensität durch. Selbst medizinale Anklänge – mit etwas Holzleim-Anmutung – hat dieses Duftbild zu bieten.
Am Gaumen haben die Mizunara-Fässer ihre Spur im leichten Mango-Geschmack hinterlassen, der typisch für die japanische Wassereiche ist. Erstaunlich ist auch die Sanftheit des mit 49% vol. abgefüllten Japan-Whiskys. Interessanter Weise zeigt der Whisky, der nur den kürzesten Teil seiner 65 Jahre wirklich im Holz verbracht hat, dennoch Eichen-würzige Töne: Piment, aber mehr noch Sägespäne, im Trinkverlauf dann Ingwer-Pulver und mehr als nur eine Ahnung von Lebkuchen. Doch süß wird es nicht beim „Shirakawa“ – das Finale fällt trocken und lange nachfedernd aus. Die zart herbe Note von getrocknetem Lavendel nimmt eine bereits im Duft vorhandene Spur wieder auf. So schließt sich der Kreis bei diesem komplexen, aber aufgrund seiner speziellen Lagergeschichte auch durchaus fordernden Single Malt. Was für eine Geschichte aus der immer wieder überraschenden Whisky-Welt!
Bezugsquelle:
Shirakawa Distillery, Shirakawa „1958“ ist in gerade zwei Flaschen für Österreich erhältlich. Auch bei dieser Rarität nennt Trinkprotokoll.at als Leser-Service den Preis: Es sind EUR 32.900 für die flüssige Geschichtsstunde aus Japan. Anfragen an Ammersin!