Es ist keine Übertreibung, Dr. Bill Lumsden als den experimentierfreudigsten Whisky-Kopf Schottlands anzusehen. Während die Kern-Range bei Glenmorangie in Tain schlank bleibt, kommen jährlich mehrere Abfüllungen heraus, die ganz im Sinne der Wissenschaftstheorie nur einen Parameter des Whiskymachens verändern. Mal sind es die Hefen, mal wird mit neuem Getreide „gespielt“, vor allem aber mit unterschiedlichen Fässern. „Dr. Bill“, wie ihn die Single Malt-Community nennt, scheinen jedenfalls die Ideen nicht auszugehen. Das gilt auch für die mittlerweile fünfte Variante der „Barrel Select Releases“. Hier sind es bewusst besondere Fässer, im Idealfall Premieren in den Lagerhäusern von Glenmorangie, um die es geht.
So waren bereits Malaga-Weinfässer am Start, in den der Whisky aus den hohen „Giraffen-Brennblasen“ nachreifte. Aber auch die beiden Sherry-Typen Palo Cortado und Amontillado sorgten für neuen Aromeneintrag beim sanften Whisky aus dem nördlichen Ross-shire. Doch ungeachtet der Herkunft dieser Fässer: Was das Wesen eines „Finishs“, auch als Double Wood-Reifung bekannt, betrifft, geht es stets um zwei Parameter. Die aromatische Qualität der Vorbelegung – längerer Kontakt bedeutet hier einfach mehr Geschmack – und die Dauer der Nachreifung des Whiskys.
In beiden Kategorien kann der Neue aus Tain namens „Calvados Cask Finish“ punkten. Im Pays d’Auge, dem normannischen Kernland des „Calva“, reifte der Brand volle 20 Jahre lang. Und auch bei der Lagerung des Single Malts ließ man sich viel Zeit. Zwei volle Jahre gaben dem 12-jährigen Whisky ein gehöriges Apfel- und Birnen-Aroma (30% davon dürfen maximal in die französischen Brennblasen) mit. Die ausgeprägte Nase erinnert an noch warm aus einem Apfelstrudel gezupfte Früchte, an denen auch Zimt und Rosinen haften. Zu den gebackenen Äpfeln kommt sodann ein Hauch von Marzipan. Doch selbst die Sorte der Früchte ist in dem klaren Duftbild zu benennen – es sind „Golden Delicious“-Noten, die hier im Glas einladen.
Überraschend für den sonst so leichtfüßigen Stil von Glenmorangie ist das Mundgefühl – so viskos, fast schon ölig, war schon lange keine Abfüllung vom Dornoch Firth. Zuletzt vielleicht der „Companta“ vor zehn Jahren, an den sich Kenner der Destillerie erinnern dürften.
Das Geschmeidige sollte beim „Calvados Cask Finish“ nicht die einzige Abweichung vom klassischen „12 years“ bleiben! Denn nach gelbfruchtigem Auftakt (Birne ergänzt die „Golden Delicious“-Note) und einem Schwung dänischer Butterkekse verlangen die 46% vol. dieses Single Malts ihr Recht. Pfeffrig und beherzter im alkoholischen Biss, als man das von der Brennerei gewohnt ist, fällt das Finish aus. Der Nachklang liefert dann aber erneut Bratapfel-Reminszenzen. Es ist die vertraute Dramaturgie eines Glenmorangies – fruchtiger 1. Akt, weiche Mitte und dann ein 3. Akt mit mehr „spice“. Doch alles wirkt intensiver als sonst beim „Calvados Cask Finish“. In dieser Hinsicht kann man zum jüngsten Versuch „Dr. Bills“ nur sagen: Experiment gelungen!
Bezugsquelle:
Glenmorangie, „Calvados Cask Finish“ ist um EUR 75 bei Clos 19 im Versand erhältlich, www.clos19.com