Wenn Lorena Vásquez am Freitag Schluckauf ohne Ende hatte, dann war kein Landsmann der Master Blenderin aus Guatemala schuld. Im fernen Waldviertel hingegen wurde der Name der gebürtigen Nicaraguanerin, die seit 35 Jahren den Geschmack von Zacapa verantwortet, nahezu minütlich genannt. Und das mit Ehrfurcht. Denn was man in der Wein-Welt eine „Vertikale“ nennt, wurde in Burgerwiesen bei Horn von Adi Matzek organisiert. Als Grillweltmeister und -lehrer kennt der Genuss-affine Österreicher Matzek. Dass er privat ein Rum-Liebhaber und seit einem Erweckungserlebnis in Salzburg Zacapa verfallen ist, wussten nur seine regionalen Verkostfreunde.
Sie bildeten auch den Kern der 35 Zuckerrohr-Feinspitze, die sich im Rahmen einer Benefizveranstaltung (für den Inklusionsverein Ich bin Ich) längst vergriffenen Rums aus dem Reifelager auf 2.300 Metern Seehöhe widmeten. Was da in Summe aus den teils um vierstellige Beträge gehandelten Flaschen eingeschenkt wurde, stellte nicht weniger als eine Reise durch die 1976 in Guatemala begründete Markengeschichte dar. Spannend für die Auskenner war vor allem der Geschmack vor und nach 2011. Ab diesem Jahr übernahm der erfolgreichste Spirituosenhersteller der Welt Diageo den globalen Vertrieb von Zacapa.
Angeführt wurde das Feld der acht Rums daher auch von jener Abfüllung, mit der viele Genießer die Kategorie neu entdeckt haben. Abseits vom Cocktail, als so genannter „sipping rum“, öffnete man auch die Gastronomie für Premium-Rums. Der „23 Sistema Solera“ ist der Inbegriff des Blendens aus unterschiedlichen Fässern und mit deutlich verschiedener Reife (auch als Solera-Methode bekannt). Sechs bis 23 Jahre – daher der Name – sind die Qualitäten alt, die sich in einem Bukett aus Milchkaffee, Salznüssen, Ahornsirup und Vanille manifestieren. Die weiche, Patisserie-ähnliche Duftigkeit stellt sich aber erst mit etwas Luft ein; anfangs ist der „23er“ überraschend kräftig im Alkohol für seine 40% vol.
Dieses Erscheinungsbild dreht sich am Gaumen um. Hier beginnt der Zacapa, den alle kennen, rund und mit viel schokoladigem Geschmack. Eine leichte Note von dunklem Malz und Trockengewürzen („hard spices“) ist nicht zu leugnen. Wer früher gerne zu den „Maltesers“-Kugeln griff, wird sich hier geschmacklich daheim füllen. Die Kraft kommt dann im Finale zum Tragen – auch hier ist die trockene und dezent alkoholische Komponente aus der ersten Nase wieder zu fühlen.
Pikante Toblerone gab es nur bis 2008
Doch das war ja nur der Kalibrierungsschluck. Oder die Messlatte, die man braucht, um Probe Nr. 3 zu würdigen. In diesem Glas ist die alte Fassung des „23 años“, die vor 2008 erzeugt wurde. Sie trägt bereits das charakteristische Band aus Königspalmen-Blättern, das der Hersteller Industrias Licoreras de Guatemala 2004 eingeführt hatte. Hier waren offenbar andere Fässer, ältere Qualitäten und auch mehr Zucker im Spiel als es heute als Welterfolg (Zacapa gibt es in 122 Ländern) noch möglich wäre. Milchschokolade und geflämmte Orangenschalen sind zu riechen. Dazu ein intensiver Karamell-Touch, der in seiner leicht salzigen Art an „Daim“ erinnert. Zimtrinde und Piment halten mit gewürzigen Akzenten dagegen.
Reichhaltig wie die Nase ist auch der Eindruck im Mund. Wie schmelzende Nuss-Schokolade kleidet der historische „23er“ den Gaumen aus. Die Süße ist merklich und doch hat man parallel drei Arten von Schokolade auf der Zunge. Denn auch Bitterschokolade ist zu schmecken. Ein weicher Zug von Milchschoko wiederum stärkt die „süße“ Seite. Und doch wird einem das nie zuviel, zumal der Rum auch viel Länge und gut dosierte Kraft mitbringt. Die überraschendste Note kommt einem hier als letzte zu Bewusstsein: Im Finale wird es sogar leicht salzig. Man darf im Nachklang an eine Art pikante Toblerone bei dieser Abfüllung denken.
„White Label“: 43 Jahre aufs Kosten warten
Der Rum, mit dem alles begann, war natürlich das begehrte „centerpiece“ der Verkostung bei Adi Matzek. Dabei wirkte der „23 años White Label“ alles andere als exklusiv, sobald die Haube der mit geflochtenen Palmblättern (petate) umhüllten Flasche gelüftet wurde. Der weiße Plastikverschluss ändert aber nichts daran, dass diese Flasche unter 1000 Euro nicht zu haben ist. Vor allem aber wird diese Qualität, die bis 2002 erzeugt wurde, heute nicht einmal am Sammlermarkt mehr angeboten. Der noch ohne Solera-System gereiften Rum (ergo war jeder Tropfen 23 Jahre bei der Abfüllung alt, der Glasinhalt also schon mind. 44 Jahre!) löste für die Industrias Licoreras de Guatemala viel aus: Er war der erste Rum des Landes, der 1998 international Gold holte – bis heute ein Faktum, das die Brennervereinigung Guatemalas (ANFAL) stolz erwähnt. Und nicht zuletzt kam aufgrund der Erfolge das „joint venture“ der Familie Botrán mit Diageo in der Folge 2011 zu Stande.
Der typische Duft ist bereits in dieser Flasche vorhanden gewesen, macht der Vergleich sicher: Filterkaffee, Kakaopulver, etwas cremige Duftnoten (erkaltete „Heiße Schokolade“ aus der Konditorei) lassen die Süße erahnen. Die lag damals zumindest doppelt so hoch als beim aktuellen „Solera 23“ mit seinen 17 Gramm Dosage. Was man aber nicht herausriecht, denn eine feine Würze von Eberraute bricht durch die schokoladig-geschmeidige Duftwolke.
Feine Schärfe ist der erste Eindruck am Gaumen, doch der gesuchte „White Label“ ist ein Spätzünder. Und genau da zeigt er seine Klasse. Denn vor allem der leichte Eichenholz-Touch geht nach hinter herrlich würzig auf. Wie auf einer Lafette wird von diesen Vanille- und Holz-Tönen die Fülle der „hard spices“ (Piment und Muskatnuss vor allem) abgefeuert. Noch Minuten nach dem Schlucken lässt sich eine Fülle an Eindrücken im Rückaroma festmachen. Vor allem diese Balance und Länge zeigt, wie außergewöhnlich dieser Zacapa war. Und er ist es noch. Alterstöne sind dank der lichtgeschützten „Bastflasche“ in keiner Weise festzustellen.
Der historischen Sternstunde für Rum-Lover folgte dann ein ebenso einzigartiger Vergleich, der diesmal dem „XO“ galt. Auch hier startete die aktuell erhältliche Version, bei der man im rotwein-fruchtigen Hall klar an den höheren Sherry-Fass-Anteil in der Komposition denken konnte. Die „alte“ Fassung stellte hier der „ XO Solera 25 años“ dar, der als optisch dunkelste Abfüllung des Abends auch im Duft an Sacher-Torten-Masse (samt Schokoguss) erinnerte. Gesalzene Honig-Nüsse, als Snack eher ein pikant-süßes Vergnügen der perverseren Art, spannten einen faszinierend breiten Duftbogen. Balanciert schmeckte auch der Kostschluck, der neben der angenehmen Süße und cremigen Schoko-Seite auch einen herben Ton aufwies. Der zeigte eine Prägung durch die Fass-Hölzer. Und auch hier kam im Nachklang der an Rotwein, Weichseln und Himbeeren erinnernde PX-Sherry-Akkord durch.
Ganz anders hingegen zeigte sich jener Rum, den die heute 68-jährige Lorena Vásquez zum 30. Jubiläum von Ron Zacapa 2006 aufgelegt hatte. Der „30 Aniversario“ ist zur leichten Verwirrung mit maximal 25-jährigen Rums geblendet worden, doch die mittlerweile für gut 1.000 Euro gehandelten Flaschen erzielen Höchstnoten auf den Rating-Plattformen der Kenner. Der Duft beamt einen jedenfalls in die Kindheit – diese Rarität riecht exakt wie die Milchkaramellen im weiß-braunen Einwickelpapier mit der Kuh darauf! Es ist aber nur der Auftakt. Für tiefe und dunkle Fruchtigkeit sorgt der Mix aus zartbitterer Schokolade und Zwetschken („Kastners Rum-Pflaumen“, wenn wir schon im Süßwaren-Laden sind). Etwas Colanuss kann man auch im Duftbild entdecken, dazu einen Mix aus Kakao und Chai-Gewürzen.
Bei dieser Abfüllung kann jedenfalls man eine ganze Reihe von Geschmackseindrücken ankreuzen. Der Milch-Karamell-Geschmack wäre wieder da, dazu erneut die Zimt-Kardamom-Mischung, aber auch ein bislang nicht zu riechendes Element bietet sich der genussvoll schnalzenden Zunge: Nussigkeit in mehreren feinen Unterscheidungen prägt ab dem mittleren Gaumen den „30 Aniversario“. Dunkel und fast rauchig wie Pekan, aber auch weicher und salzig, als wären ein paar Peanuts in diesen Nuss-Mix gefallen, bietet sich ein ungewöhnliches Spektrum. Dass in dieser Komplexität keine Note vorwitzig durchkommt, sondern alle zusammen für Nachdruck und Finesse sorgen, macht die Faszination dieser Flasche aus. Es war eindeutig unser Favorit unter den offiziellen acht Rums.
Denn wie zu einem Grillmenü von Matzek ein Dessert (diesmal Topfenlasagne) vom Rost gehört, gab es auch einen hochkarätigen Epilog zur Waldviertler Rum-Reise. Mit einer Überraschung seitens Diageo als 50%-Eigentümer der Marke ging es bei einer nicht minder grandiosen Zigarre (Masterblend „Meir“ von Meerapfel Cigars) in die Verlängerung. Der von Florian Mittendorfer spontan ausgeschenkte „Zacapa Royal“, seit unserem Erstkontakt 2018 ein Liebling aus dem Portfolio, brachte dann die trocken-pikanten Noten der edelsten französischen Eichenfässer – nachzulesen hier – ein. Was für ein Abend!
Bezugsquellen:
Ron Zacapa, Solera Gran Reserva 23 Years ist um EUR 58,90 erhältlich, die Vorgänger-Version (keine Solera!) wird um EUR 699,- angeboten und der Zacapa Centenario XO – Alte Edition (vor 2012) kostet EUR 999, alle beim Spezialisten Rumzentrum, www.rumzentrum.at
Der „23 años White Label“ oder „30 Aniversario“ sind nur selten auf dem Sekundärmarkt zu finden. Viel Glück dabei!