Mittlerweile kann man auch das stärkste Rotwein-Gebiet Niederösterreichs zu den Habitués bei der jährlichen ÖTW-Verkostwoche in Schloss Grafenegg zählen. Carnuntum hat seine Rieden gut abgegrenzt und schon lange trugen die besten Weine hier Rieden-Namen. Der „Bärnreiser“ von Philipp Grassl stellt dafür ein gutes Beispiel dar. Er kam aus dem Jahrgang 2020 ins Glas und brachte die Trias Zweigelt/Merlot/Cabernet Sauvignon in eine elegante Form. Rote Blüten, vor allem Hibiskus, steigen im fast flirrend-spielerischen Duft aus dem Glas. Kochschokolade gibt dazu eine Ahnung vom Fass-Ausbau bei Grassl (40% neue und gebrauchte Barriques sowie 500 Liter-Fässer aus franz. Eiche); dazu kommt ein Quäntchen Vanille.
Druckvoll breitet sich eine Welle Wohlgeschmack, getragen von Kirsch-Fruchtfleisch, wieder Vanillemark und Nougat, am Gaumen aus. Bei der Probe wurden die Carnuntumer Rotweine ein wenig zu kalt eingeschenkt, was dem „Bärnreiser“ aber sehr gut stand. So kann er die kühleren Noten aufblitzen lassen, ehe es molliger und dunkelbeeriger wird im Mund. Klare Einlager-Empfehlung!
Wie richtig der Beitritt der Region zur Vereinigung ÖTW war, unterstrich vor allem eine Lage, der Rosenberg. Während die „Spitze“ karg und kiesig ist, zeigt der untere Teil auch Lehm, was eher dem Zweigelt taugt. Walter Glatzer ergänzt die Hauptsorte Blaufränkisch daher um Merlot und Zweigelt. Dieses Rezept, das zur Hälfte in neuen Barriques heranreifen darf, beeindruckt auch 2020: Herzkirsche, die duftet, wie frisch vom Baum gepflückt, trifft da auf Traubenkern-Öl, ein Alzerl Kokosnuss und auch Blutorange. Das lässt Saftigkeit vermuten – und so ist es dann auch! Hibiskus und viel rote Beeren, intensiv und klar wie in einem Früchte-Tee, kleiden den Gaumen aus. Der Holzeinsatz ist nachgerade perfekt gelungen. Man schmeckt schmelziges Nougat und keine harte, „gerbige“ Bitterschokolade. Das samtige Element erhöht nur die Freude an diesem Glatzer-Rotwein.
Ebenfalls auf eine Cuvée vom Rosenberg setzt Gerhard Markowitsch, er sieht „den besten Ausdruck dieser Lage im Zusammenspiel der Sorten“. Lediglich die wichtigste Sorte stellt bei ihm der Zweigelt dar. Die lange Lebensdauer dieses Rotweins signalisiert schon die erste Nase. Frucht muss man in der Jugend suchen, die Strukturgeber – Bitterschokolade alias Tannin und Rauchpaprika, also Würze – sind bestens ausgeprägt. Das Mundgefühl ist bereits sehr geschliffen, man denkt an ein Seidenstecktuch, über das die Finger gleiten. Eine dezente Extraktsüße des Zweigelts ordnet sich in den kirschfruchtig-schokoladigen Gesamteindruck perfekt ein. Wenn man wo „sicheres Reifepotential“ schreiben darf, dann hier. Beim Hauswirten trinken wir aktuell gerade Markowitschs 2015er „Ried Rosenberg“. Falls wer Evidenz zu dieser Einschätzung schätzt.
Die nächste Flasche mit der Riedenbezeichnung „Rosenberg“ stammte von Martin Netzl, der ebenfalls auf den Blend aus Zweigelt, Blaufränkisch und Merlot setzt. Der Rotwein des noch nicht so bekannten Winzers stellte die Überraschung schlechthin dar. Denn in seiner Cuvée durfte sich die Würze und der kalkige Anteil, den es am Rosenberg auch gibt, voll austoben. Die Nase bereitet diese Eindrücke mit einem zart medizinalen Duft vor, in dem auch Liebstöckl und intensiver Consommé-Geruch ihren Platz haben. Wie bei Markowitschs „Rosenberg“ (die Lage heißt übrigens wirklich nach Wildrosen) versteckt sich die Frucht hinter der Struktur.
Großartig ist auch hier die ätherische Art, mit der eine kräftige Cuvée wie diese sich auf den Gaumen legt. Wer an plakativem Zweigelt immer herummatschkert und ihn auch in Cuvées „aufspürt“, bekommt bei Netzl ein Gegenmodell serviert. Dieser Jahrgang 2020 hat Pikanz, man kann den Geschmack mitunter mit Peperonata, mildem Chili und frischem Rauch vergleichen. Die Kühle und Kreidigkeit tut ein Übriges, hier einen wunderbar filigranen Rotwein abzuliefern. Wobei man das ja nicht mit Leisetreten verwechseln sollte. Denn nachdrücklich ist auch diese ungewöhnliche „Ried Rosenberg“, dem wir viele Liebhaber mit Burgundergläsern zur Hand wünschen. Höchst gelungen!
Bezugsquellen:
Philipp Grassl, Cuvée „Ried Bärnreiser“ 2020 kostet EUR 29,80 ab Hof bzw. im Web-Shop Grassls, www.grassl.wine/shop
Weingut Markowitsch, Cuvée „Ried Rosenberg“ 2020 ist um EUR 35 ab Hof bzw. im Webshop erhältlich, www.markowitsch.at
Glatzer Carnuntum, Cuvée „Ried Rosenberg“ 2020 ist ab Mai 2023 um EUR 26,90 ab Hof oder via Online-Shop zu haben, www.weingutglatzer.at
Weingut Martin Netzl, Cuvée „Ried Rosenberg“ 2020 ist ist ab Mai 2023 um EUR 30 ab Hof bzw. im Webshop erhältlich, www.netzl.net/shop