Kindsmord, schreien die Winzer. Kein Platz, meinen Gastronomen und leisten sich selten genug ein „Altwein“-Lager. Wir reden von weißen Weinen aus Österreich, denn auch diese belohnen nach der Phase der so genannten Primärfrucht, dem jugendlichen, von Säure gedopten Sorten-Aroma, mit Noten, die sich der Lagerung verdanken. Längst arbeiten die Winzer bei ihren Lagen-Reserven auf eine zumindest zehn Jahre währende Haltbarkeit hin, doch nur wenige Weinfreunde lassen die Flaschen auch lang ungeöffnet. Und so liegt es oft am Handel, den Reiz des reifen Weines zu promoten. Die Zeiten, wo Ladenhüter als „Kellerfund“ bepreist werden, sind vorbei, die Suche nach Firnen, den unguten Alterstönen, kann meist auch entfallen bei Jahrgängen, die 2002 und später gefüllt wurden – ja, mitunter steht auch ein jahrzehntealter Weißer da, dass man sich die Augen reibt.
Mit reifen Weinen haben viele auch keine Erfahrung, wie das wirklich schmeckt.
Armin Tement, Winzer
Freilich sind dazu Proben wichtig, um sich an den reifen Geschmack heranzutasten. Man muss keinen zwölf Jahre alten Riesling mögen, aber man muss wissen, warum man ihn ablehnt. Und dazu kommen auch die „Reifeprüfungen“ im eigenen Keller. Denn nur mit dem Kalender vor der Flasche zu verharren, bis er endlich „ten years after“ (um irgendein Intervall zu nennen) anzeigt, kann gefährlich sein. Ab dem dritten Jahr nach der Füllung (nicht der Ernte!) sollte man einfach Jahr für Jahr eine Flasche kosten, bis man den Eindruck hat, dem Reifeplateau nahe zu sein. Auch die Winzer helfen mit konstant gepflegten Rückstell-Flaschen, diesen Moment zu erleben. Vor zehn Jahren hat etwa der steirische Topbetrieb Tement begonnen, „große Reserven anzulegen. Wir bieten Weine bis 2000 zurück an“, erzählte Armin Tement.
Er hatte zwei Lagenweine bei der Verkostung mit, die wohl vielfach bereits ausgetrunken sind, nämlich den 2011er Gewürztraminer „Wielitsch“ und einen Sauvignon Blanc vom Grassnitzberg. Diese Reserve-Qualität, ebenfalls aus dem Jahrgang 2011, brachte einen vielschichtiegn Duft nach Eukalyptus („Sportgummi“), Butterkeks, Marille und Fencheltee (Milupas Variation) mit. Am Gaumen war neben dem sortentypischen grünen Paprika des Sauvignon auch Ananas und Cassis zu schmecken, die Säurestruktur ist nach wie vor jugendlich, hier beginnt die Reife gerade erst, was auch die Zitrusfruchtnoten im langen Hall zeigten.
Auch der Gewürztraminer, aus der Magnum eingeschenkt, zeigt nach der ersten Fruchtphase ein komplexes Bouquet an Duftnoten: Haselnuss-Krokant, Papaya, überhaupt tropische Noten, aber auch Agrumen, vor allem Pomelo, dazu die markante Rauchigkeit. Saftig, wieder zwischen reifen Aromen (Banane) und frischer Säurigkeit (Pink Grapefruit) oszillierend, zeigt sich der Gewürztraminer Wielitsch am Gaumen. Kumquat und Ananas führen dieses Spiel am mittleren Gaumen weiter, dazwischen gesellen sich aber auch kühlere Einsprengsel in diesem hocheleganten Wein, der vom kühlen Ton-Boden profitiert, wie Armin Tement dieses Feuerwerk an präzisen Eindrücken technisch erklärte.
Wiener Riesling, ten years after – wo ist das Problem?
Der Riesling, so formulierte es Vinaria-Chefredakteuer Peter Schleimer, „gehört zu den zur Reifung prädestinierten Sorten Österreichs“. Bei der weißen Reifeprüfung von Del Fabro, deren Highlights wir hier vorstellen, widmete sich ein eigener Dreier-Flight der Sorte. Tatsächlich zeigte sich der älteste Wein, ein 2006er Riesling vom Nussberg aus Wien, als der herausragendste. Fritz Wieninger hatte den „Ried Preussen“ im heißen Jahrgang 2006 mit satten 14 Volumsprozenten geerntet. Doch nicht die Frucht, zu der wir gleich kommen, sondern die Finesse, inklusive noch vorhandener Säure, beeindruckte. Zitronengras und Grapefruit, beide keine Indikatoren für Überreife, notierten wir im Geruch, auch das sortentypische Pfirsich-Naserl ist da, gemischt mit einer kräftigen Dosis Bienenwachs. Saftig von Beginn weg, prunkt der Riesling des Stammersdorfer Könners mit reifen Noten wie Papaya und Honig, ab der Mitte wird aber die Säure markanter. Sie sorgt nicht nur für die Jugendlichkeit des Weines, sondern verleiht dem kräftigen Wein auch eine elegante Seite, die sich vor allem im filigranen Finish zeigt. In jeder Hinsicht großer Stoff und lange noch nicht am Ende!
Doch auch die heimische Paradesorte in Weiß, der Grüne Veltliner, reift bestens. Ilse Maier vom Geyerhof im Kremstal bewies mit einer 2007er Gutsreserve, dass auch hier Geduld belohnt wird. Anfangs mit leichtem Klebstoff-Ton versehen, der sich aber aus dem Glas „ausschütteln“ ließ, verwandelte sich der GV aus Furth in einem an Beerenauslese erinnernden Typ Wein: Maracuja, Honig und reife, üppige Fruchtnoten erfreuen die Nase. Auch am Gaumen ist die Tropenfrucht ausgeprägt, diesmal kommt eher Mango und auch Ananas durch, in keiner Phase zeigt sich der Wein vom Alter beeinträchtigt. Bei aller Üppigkeit und dem Fruchtcharme sind auch würzige Akzente – uns erinnerte es an Kurkuma – vorhanden, auch kühlere Phasen sorgen bei aller Kraft für einen balancierten Wein, der aktuell viel Freude bereitet.
Auch so geht’s: 47 Jahre, voller Leben und mit Säure
Auch die Überraschungsflasche des Nachmittags, der 1969er (!) Achleiten war ein Grüner Veltliner. Es wurde der Moment eines Monuments. Der höhere Zucker und ein in der Jugend kaum zu bändigender Gerbstoff haben sich im Alter prächtig entwickelt. Frisch und sogar mit einem Rest von Säure belohnte da ein 47 Jahre (!) alter Österreicher. Als Auslese von den Freien Weingärtnern in Dürnstein (heute: Domäne Wachau) gefüllt, hat der Restzucker sicher Anteil an der Form, in der sich der Wein – leider nicht mehr im Handel und außer Konkurrenz verkostet! – heute zeigt. Deutliche Rosinennoten, dazu Erdbeer-Marmelade, als wäre es eine rote Beerenauslese, prägen einen dunkelfruchtigen Duft. Mit seinen Beeren-Tönen erinnert er weniger an Weißwein. Am Gaumen kommt der leichte Gerbstoff-Ton von Apfelschalen durch, er weicht aber bald einer süßen Marillen-Apfel-Mischung, zu der sich auch zarte Strudelteig- und Zimt-Aromen gesellen. Wie noch so viel Säure, die vor allem im Abgang merklicher wird, in diesem Wein sein kann, zählt zu den Rätseln, die uns nur reife Weine aufgeben. Doch statt Kopfzerbrechen liefern sie echte Erlebnisse. Quod erat demonstrandum!
Bezugsquelle:
Weingut Tement, Sauvignon Blanc „Grassnitzberg“ 2011 kostet EUR 33,70, der Gewürztraminer „Wielitsch“ 2011 ist in der Magnum (1,5 Liter) um EUR 73,50 erhältlich;
Fritz Wieninger, Riesling „Preussen“ 2006 ist um EUR 20,40 erhältlich;
Geyerhof, Grüner Veltliner „Gutsreserve“ 2007 um EUR 26, alle bei Getränke Del Fabro,