Die unbekannten Verwandten – es gibt sie auch im Weinbusiness. Abseits der bekannten Orte und Gebiete stehen sie im Schatten der Aufmerksamkeit, liefern aber auch verlässlich Überraschungen, wenn man nicht nur auf „big names“ und schon vertraute Etiketten aus ist. Im kleinen Österreich ist das selten. Aber auch hier gibt es, in diesem Fall auch geographisch etwas vom Mainstream geschieden, einige Ecken, in die sich der Weinfreund mit offenem Kofferraum und ebensolcher Geldbörse begeben sollte. Eine klassische Situation etwa für alle Winzer, die zwar dem Gebiet Leithaberg und sogar seiner burgenländischen Seite angehören, aber aus Sicht des Seeufer-Straßennutzers eben jenseits des „Gebirges“ liegen. Wer nicht gerade in Loretto ein Kerzerl anzündet oder in Stotzing der Geschichte der Bergmänner nachgeht, bekommt von dieser Seite wenig mit.
Dabei gibt es kaum noch so lebendige Kult-Orte des Heurigen am Neusiedler See, wie Leithaprodersdorf einen darstellt. Nicht nur die Dichte an Betrieben, auch die Elaboriertheit der Speisen stellt hier einen Trumpf dar. Doch hier einmal ein Wiener oder auch nur Wiener Neustädter Auto-Kennzeichen zu sehen, hat eher Seltenheitswert. Womit auch die Weine kaum den Bezirk verlassen, allenfalls noch von ein paar Badenern „exportiert“ werden. Das fördert aber weniger Anbiederung, sondern mit einer gewissen Trotzreaktion auch Experimente. Der Gin-Boom der „Prodersdorfer“ mag ein Beispiel sein, der es dann auch überregional in die Gazetten schafft. Spannender zeigt sich aber die Entwicklung bei den Weinen, die vor allem mit längeren Maischestandzeiten – bis hin zu „Orange Wines“ – experimentiert. Auch Carina Pluschkovits ist Teil dieser Bewegung – und sie hat mit ihren Schwestern Edith (Weingärten) und Andrea (Marketing) auch tatkräftige Hilfe. Denn für die 30-Jährige steht mittlerweile fest: „Ich bin Winzerin“. Und so wird im elterlichen Heurigen nun der Wein kräftig in den Vordergrund gestellt – mit bekannten Sorten, aber etwas exprimentellerer Kellertechnik.
Dass einer dieser 2020er Weine, ein Grüner Veltliner übrigens, unsere volle Aufmerksamkeit hat, weil er den alten „Meister Eder“-bekannten Bayern-Fluch „Herrschaftszeiten“ als Namen trägt, sei nicht verschwiegen. Das ist kein Lagen-Name (obwohl man das in Österreich nie weiß), denn die Trauben wachsen rund um das Pfefferbüchsel, eine Art Einser-Lage des Weinorts. Die 2020er Version dieses Weines duftet nach Birne, sehr frisch und fältelt sich erst nach einiger Zeit klarer auf, was die Apfel-Duftnoten betrifft. Es ist „Golden Delicious“, den man riecht. Wer sich ein bisserl in Italien umtut, wird auch den leichten Ton einer Kaktusfeige (fico d’India) wahrnehmen. Zitrusnoten sind keine vorhanden, auch mit Pfefferl und säurigen Duftnoten ist es Fehlanzeige.
Erst am Gaumen kommen die herben Töne von Grapefruit-Zesten zum Vorschein. Sie sind aber nur der Herold für eine satte Apfelnote. Kühl, aber nicht fruchtig, ist der Charakter dieses „GV“, der an Lindenblätter, getrocknete Kamille und eben Apferl mitsamt Schale erinnert. Die längere Maische-Standzeit merkt man diesem Wein an, vor allem daran, was er nicht ist: „Zisch-frisch“ spielt es hier nicht, auch spritzig will der „Herrschaftszeiten“ nicht sein. Ganz entfernt hat er etwas von einem Weißburgunder; nobel und für die Wissenden, vor allem auch für jene, die gerade Risotto kochen. Aber auch eine Pasta mit heller Sauce, sagen wir mit Taleggio und Walnüssen, passt genau. Oder, wie die Macherinnen des „Herrschaftszeiten“ in ihrer Heurigenküche vielleicht sagen würden: Pfeigrad!
Weil aber jetzt nicht jeder Niederösterreicher oder Wiener um eines Veltliners willen die „Pass-Höhen“ des Leithagebirges erklimmen wird: Es gibt auch die burgenländische Paradesorte von den Pluschkovits-Damen. Der Blaufränkisch 2019 kommt aus der Riede Vordernberg und auch er ergeht sich nicht in Säure-Exzessen. Das geht so weit, dass ihn die berühmt-berüchtigte Blindkostrunde, weitgehend mit Burgenland-Rotwein sozialisiert, nicht sofort zuordnen konnte. Wobei seine Nase zwar den typischen Sauerkirsch-Ton des „BF“ mitbringt, in diesem Fall ein wenig in Richtung der dreieckigen WICK-Wildkirsch-Bonbons geneigt. Auch an frischen Weichselsaft darf man bei der säurig unterlegten, aber nachdrücklich rotfruchtigen Kirsch-Bombe denken.
Die feine Säure (!) hat auch am Gaumen den Vortritt, sie wird von den intensiven Granatapfel- und Preiselbeer-Noten gefolgt. Was die Weinrätsler eben ein wenig in Richtung Cuvée abgleiten ließ. Ja, der Gerbstoff ist noch jugendlich, das zeigen die beiden herben Früchte, die wir notieren. Das große Aber: Er steht dem Vorderberg 2019 durchaus gut. Im Blindtest wird er als „mild“ beschrieben, was man früher mit der heute in der Weinprosa etwas verpönten Vokabel „samtig“ umschrieben hätte. Und das ist der Wein in der Tat, was angesichts seiner Jugend erstaunt. Komplexere Noten zeigt er mit etwas Standzeit und Luft, da gesellen sich die leichte Paprikawürze und ein schöner Würzeton von Grünem Pfeffer dazu. Man könnte das als Leithaberger Pendant zum italienischen Tischwein betrachten: Er geht immer, unterfordert nicht, will aber auch nicht im Mittelpunkt stehen. „Huch, ich bin ein Lagenwein“, wird man von diesem Blaufränker nicht hören. Käme auch ein bisserl affig beim Heurigen. Und das nicht nur in Leithaprodersdorf!
Bezugsquelle:
Weingut Pluschkovits, Grüner Veltliner „Herrschaftszeiten“ 2020 ist um EUR 9,- zu haben, Blaufränkisch „Ried Vorderberg“ 2019 kostet EUR 9,50 im Webshop, www.pluschkovits.at