Für eine Kaufempfehlung für das Weihnachtsmenü ist es eindeutig zu spät. Für Grundsätzliches zum Festwein hingegen ist gerade in der „trockenen“ Fastenzeit Platz – man will sich ja freuen auf das Ende der 40 Tage. Beginnen wir mit dem ersten Axiom zum Thema Wein-Einladung: Der Gast kann sich durch die Weinwahl auch wenig respektiert fühlen. Für ihn selbst stellt sein Besuch ja eine Ausnahme dar, der dafür gewählte Feiertag macht es für alle zu einem raren Ereignis. Ergo darf es nicht nur Außergewöhnliches sein, es MUSS praktisch!
Damit nicht genug der Beweisführung, schließlich gibt es ja noch die Variable P (wie pecunia), mit der wir den Budgetstand bezeichnen wollen, also die freie Finanzspitze. Ist P größer/gleich 25 Euro, wird sich der Plan, mit einer Doppelmagnum Grange den Osterschinken zu begleiten oder dem Kapaunen-Safterl einen extra-dekadenten Touch zu verleihen, mathematisch nicht ausgehen. Die Aporie: Aromatisch enttäuschen wollen wir nicht, billige Etiketten dürfen es für geschulte Gästeaugen (siehe Axiom 1) nicht sein, also bleibt die solide Überraschungswahl.
Ihr Auftritt, bitte, Urban! So nennt sich eine Abfüllung der autochthonen Südtiroler Lagrein-Rebe. Lange zum Jausenwein schlechthin degradiert, paart sich in den besten Exemplaren die südliche Kraft (geht sich nur in den wärmsten Lagen der Alpenprovinz aus) mit einer würzigen Stilistik, die in der Jugend als schroff durchgeht. Ob man an das Diffundieren der Dolomiten in die Trauben glaubt oder nicht, die Sorte muss manchmal erobert werden, als wäre sie die „Drei Zinnen“ in trinkbarer Form.
Der alpinistische Vergleich mag hinken, aber er erklärt, warum gerade ein praktisch als Synonym für einen Weißwein stehender Betrieb einen Roten wie diesen hervorbringt. Die Kellerei Tramin ist eine Genossenschaft, die auf eine seit 1898 währende Geschichte zurückblicken kann. Aber da Gründungsurkunden nur wenig zum Weinmachen beitragen, liegt es heute an Willi Stürz, dem Kellermeister der „Traminer“, aus den Trauben der fast 300 Mitbesitzer Harmonisches auf die Flasche zu bringen. Und der kennt sich mit der Gegend, den Schattseiten und Matten, den steinigen Plateaus und den Sonnenhängen aus; die verschiedenen Höhenlagen der insgesamt 250 Hektar, unter denen sich auch 850 Meter hoch gelegene Weingärten finden, geben beträchtlichen Spielraum. Sorten, die starke Tag-Nacht-Unterschiede bei der Temperatur lieben, fanden hier aber auch ideale Rieden. In den Rotten Vill und Auer etwa wächst der besagte Lagrein, seine Stöcke sind teilweise 100 Jahre alt und damit eine echte Rarität. Dass die Lage den Namen des Weinheiligen St. Urbanus trägt, scheint da schon passend (wobei eigentlich der Urbanhof namensgebend war).
Urban 2011, ein Überkompletter
Herzkirsche und ein Hauch Erdbeere stehen bereits im Duft für die südliche Charakterhälfte dieses 2011er Lagreins, Graphit leitet über zum anderen „Gesicht“, der Kombination aus Senfsaat und Eisenkraut, die einen würzigen Schleier über die intensiven, aber nicht üppige Fruchtnoten legt. Der erste Schluck lässt an Schlehenlikör (Sloe Gin) und Kornelkirsche denken. Herb, von einer säurigen Note geprägt, braucht der Wein Zeit im Glas. Der Wein ist ja auch noch nicht lange im Handel, dem Jahr im Barrique folgte auch noch eine Flaschenreife-Phase von vier Monaten.
Mit mehr Luft wird er deutlich weicher, die Kirsche wird sanfter, der Gerbstoff bleibt und klingt fast prickelnd aus, da sich im Finale auch eine Prise weißer Pfeffer dazugestellt. Damit und nicht nur mit der weiter oben erläuterten „Algebra des Angebens“ unter Weinfreunden, die schon alles kennen, erklärt sich auch die Wahl als Festtagswein. Denn die Säure arbeitet gegen fettes Geflügel oder Filet Wellington wie eine schöne Cranberry-Sauce (an die der Lagrein Urban 2011 durchaus auch erinnert). Seine Frucht umspielt kräftige, röstige Aromen ohne sie bitter zu machen wie viele barriquisierte Power-Cuvées das tun. Der Jahrgang 2011 mit seinem Herbst wie aus dem Bilderbuch für kleine Lagreins bekam von allem etwas mit.
Kellermeister Willi Stürz bringt es so auf den Punkt: „Der Wein hat südliche Kraft, unglaublich viel Farbe, aber auch die kühle Würze, die ihm das alpine Klima verleiht.“ Schön gesagt, wir nicken und erheben die Gläser, auf dass der Oster-Brunch schnell kommen möge.
Bezugsquelle:
Kellerei Tramin, Lagrein „Urban“ 2011, ist um EUR 20,90 beim Italien-Spezialisten Superiore erhältlich (Versand auch nach Österreich), www.superiore.de