Die „100 Cases“-Serie, die 2009 mit einem Blauen Portugieser begann, kann man getrost als Christian Fischers Spielwiese bezeichnen. Mehr als die namensgebenden 100 Kartons (also 1.200 Flaschen bzw. 900 Liter) werden nicht in die von Kurt Welther aus Berndorf gestalteten Kartons gefüllt. Pinot Noir, Merlot und St. Laurent aus der Thermenregionsgemeinde gab es schon, nun lässt Fischer seinen ersten Rotgipfler folgen.
Der wie ein Rotwein – also mit drei Wochen Maischestandzeit – gekelterte Weißwein ist aber nicht nur der erste „orange“ Wein, wie man diesen Ausbau bezeichnet. Der Rotgipfler stellt auch den ersten bio-zertifizierten Wein des Sooßer Paradebetriebs dar. Die Riede befindet sich hart an der Grenze zur Stadt Baden am Römerberg und bringt einen kräftigen Wein hervor. Fischer griff wenig in die Vinifizierung ein, der Schwefel konnte minimal gehalten werden, die Vergärung erfolgte spontan im 500 Liter-Holzfass.
Orange ohne Schaum vorm Mund
Mit weniger Erfahrung im Rotwein-Ausbau, als sie Fischer besitzt, wäre daraus vielleicht ein problematischer Wein geworden, doch den Kardinalfehler vieler „Orangen“, die flüchtige Säure, findet man hier nicht. Der Wein ist blitzsauber, aber eigenwillig von der ersten Minute an. Daher seien, ehe wir uns dem Wein „trinkprotokollarisch“ nähern, ein paar Vorbemerkungen gestattet.
- Der orange Wein ist weder per se besser oder schlechter als klassischer Weißwein. Es stellt eine für Österreich relativ neue Ausbautechnik dar, die aber beachtliche Vorbilder im istrischen Raum für sich ins Treffen führen kann. Was davon bleibt, wir die Zeit weisen. Wir erinnern uns an die ersten Barrique-Rotweine, die nach heutigem Wissensstand (der Winzer) und Trinkgewohnheit (auf Konsumenten-, also Zahler-Seite) vielfach als Trink-Marmeladen gelten würden. Heute geht der Trend vielfach weg vom neuen Holz und „heavy toasting“, das große Holzfass ist wieder Gebinde der Stunde.
- Auch braucht man sich nicht „einzutrinken“, wie von Anbetern jedes neuen Trends gerne gelehrt wird, um die Pole position in Sachen Avantgardismus zu behaupten. Doch: Hat der Kaiser keine Kleider an, dann ist das so. Man darf „nackt“ schreien, auch wenn andere glauben, das g’hört so. Und schon am Schulhof war das neue Tricotronic nicht besser als das alte, der mit dem neuen Spiel forderte nur die paar Minuten seines Ruhmes ein. Gekauft wurde das Game nur, wenn es spannender war Pluto aus einem zweistöckigen Haus in Vollbrand zu retten als mit Mario auf Blumen zu hüpfen.
Zurück zum Orange Wine heißt das nicht mehr oder weniger, dass er als Getränk überzeugen muss – wie jeder andere Wein auch. Die einen werden Christian Fischers orange Kapsel und den ebenso gefärbten Schriftzug als Warnschild deuten, die anderen die Flasche „ung’schaut“ verklären. Beides wäre falsch. Wahr ist vielmehr, dass der „100 cases“ viel Luft braucht. Zumal in seiner jetzigen Jugend reicht ein Burgunderglas nicht aus, man sollte es auch einige Minuten stehen lassen. Dann verändert sich der anfangs von naturtrübem Apfelsaft und Lagerapferln geprägte Duft des 2013er Rotgipflers in eine immer floralere Richtung. Märzenbecher und Tulpen, aber auch ein ganzer Strauß von Alpenkräutern fächern sich auf: Wir haben es also mit herben und kräutrig-würzigen Noten zu tun, speichern wir ab.
Der vollmundige erste Schluck lässt sich ähnlich an. Zunächst wirkt alles aus einem Guss, ehe sich auch hier eine ganze Reihe unterschiedlicher Nuancen einstellt. Wohlgemerkt: Hier zerfällt nichts, hier faltet sich eine Palette auf. Dem zart bitteren Duft entspricht eine mehr von der Schale, als vom Saft der Orange gespeiste herbe Komponente, auch Ingwer blitzt kurz auf, dann denkt man wieder an gelbe Paprika. Und in Momenten, wo die sortentypische Tropenfrucht sich Bahn brechen will, schimmert kurz kandierte Ananas auf.
Kurzum: Wer im idyllischen Heurigen des Sooßer „Urhauses“ Fischer sitzt und sich denkt, jetzt wär ein Rotgipfler zur gebratenen Ente schön, der wird vielleicht überrascht schauen. Wer vorurteilsfrei nach neuen Weinen Ausschau hält, kann die Ente weglassen – und sich lieber 20 Minuten dem Glas „100 cases“ widmen.
Bezugsquelle:
Weingut Christian Fischer, Rotgipfler „100 Cases“ 2013, ist um EUR 38 ab Hof erhältlich, www.weingut-fischer.com