Der Aufsteller am Heurigen-Tisch ist nicht zu übersehen: Man solle doch den „Siebena“ probieren, einen flaschenvergorenen Rosé von Josef Piriwe. Was angesichts der traditionellen Schank wie ein kleiner Stilbruch, ein Anbiedern an den Modernismus, anmutet, ist es mitnichten. Denn die nicht kleine Auswahl an Weinen im altbewährten Traiskirchner Winzerhaus hat sich schon vor Jahren um die Weinexperimente des Hausherrn erweitert. Die meisten von ihnen gehen taxfrei als „Naturwein“ oder „Orange Wine“ durch, wobei Gastroprofi Piriwe sie zu einer Gruppe zusammenfasst wie alle seine Weine. Statt „ausdrucksvoll & gereift“ oder „Die Speziellen“ gibt es auch die Weine der besonderen Machart. Um nicht zu technisch werden zu müssen, sind sie von „Nulla“ bis „Siebena“ durchnummeriert. Im Idealfall kauft man die Weine nach Geschmack und gar nicht so nach Rebsorte.
Bestes Beispiel ist der „Nulla“, der Jahrgangs-übergreifende einen Gemischten Satz und Rotgipfler kombiniert, alle beide mit längerer Maische-Standzeit, also „Orange“, gekeltert. Weil er den Dingen auf den Grund gehen will, nimmt „Pepi“ Piriwe auch das beste Traubenmaterial. Der „Sechsa“ in seiner eigenwilligen Zählung der experimentelleren Weine zeigt das mit reifsten Rotgipfler-Trauben, u. a. aus der Ried Rasslerin. Es ist in der Tat ein „Orange Wine“ für den Einsteiger. Denn der gefürchtete Gerbstoff, den die Auslaugung der Schalen bei der Maischegärung nun einmal mit sich bringt, ist hier mit der Lupe zu suchen. Dafür liefert der 2021er eine rauchige Note, die dahinter reife Hagebutten, Papaya und Mango, ja sogar Rosenblätter, freigibt. Die Intensität und Tropenfrucht lässt sogar in einer Blindverkostung Rückschlüsse auf die Sorte zu – was dezidiert nicht immer so ist in der Naturwein-Szene.
Der wahre Ritterschlag ist aber dann mit dem Kostschluck verbunden. Der „Sechsa“ kommt saftig wie ein ACE-Saft auf den Gaumen. Reichhaltig im Mundgefühl, das ja, aber nicht adstringierend und nachhängend bitter, wie man das mitunter fürchtet. Der Vergleich ist bewusst gewählt, denn auch an Karottensaft mag man bei diesem eindrücklichen Wein denken. Die süßere Papaya macht Platz für diesen Geschmack, den zum Ausklang eine feine Würzigkeit nach hinten hinaus krönt.
Das mag manchem Hipster-Sommelier vielleicht nicht „wild“ genug sein. Der behutsamere Zugang des Thermenregionswinzers allerdings öffnet einem Neuling eher die Augen, warum diese „Mode“ keineswegs eine ist. Und demonstriert auch, dass nicht alles „Orange“ mostig riechen und jeder Weißwein bitter schmecken muss, sobald Maischegärung draufsteht.
Leichte Fruchtbombe Laurent: der „Viera“
Undogmatisch wie der Winzer legen auch wir es an – nach dem „Sechsa“ erst kommt der „Viera“ in Glas. Denn er ist der einzige Rotwein der Serie und dementsprechend liegt der unkonventionelle Zugang hier anderswo. Nicht filtriert und mit minimalem Schwefel gefüllt, soll diese Machart die Frucht hervorheben und das tut sie mit Bravour! Dazu muss man die Rebsorte erwähnen und den niedrigen Alkoholwert: „Viera“ ist ein St. Laurent mit 12 Volumsprozent. Alles, was strahlen kann an diesem 2018er, tut das auch. Vom hellen Rubinrot im Glas über die Frucht – herrliche Sauerkirsche! – bis zum ersten Eindruck am Gaumen. Doch reichen wir noch die würzige Seite nach, die uns an der Rebsorte immer schon fasziniert hat. Schwarzer Pfeffer, Kräuter wie Estragon und Lorbeer und der herb-fruchtig-säurige Geruch von „Bockshörndl“/Carob ergeben ein komplexes Potpourri.
Der Lohn des neuen Ausbaus im Keller zeigt sich aber erst beim Trinken. Denn auch der rote Früchte-Mix strahlt richtiggehend. Unreife Cranberry (der „Viera“ hat auch noch Säure!), Himbeere, Kirsche, man könnte es noch fortsetzen als Studie in Rot. Spannender allerdings ist der Fokus auf die tragende Säure eines immerhin bereits 2018 gelesenen Weins. Das Mundgefühl fällt samtig aus, was man der fehlenden Feinfiltration zuschreiben darf. Auch das ist clever, weil es eine Fülle vorgibt, der der St. Laurent nicht hat. Und auch nicht haben will. Er ist pures Trinkanimo, ohne dass irgendwo etwas haken, ecken oder bremsen würde. Allerdings nur dann, wenn man es hält wie der Winzer: „Kühle tut ihm gut, ich trinke ihn am liebsten mit 15 Grad“. Wer beispielsweise die Frische von mittelkräftigen Rotweinen der südlichen Rhône (sagen wir: um die Dentelles de Montmirail) schätzt: Das kann auch dieser Traiskirchner mit dem lustigen Namen „Viera“. Und alle Bauernschnapser und Wirtshaus-Gänger können dem alten Spruch „Eine mi’m Viera ins Kastl“ nun eine neue Bedeutung geben: „Bitte noch eine Flasche vom Piriwe-Laurent“!
Keinen Besuch in Traiskirchen sollte man aber ohne den „PI“ belassen, den in Pfaffstätten gewachsenen Burgunder Josef Piriwes. Seit 2008, damals gleich mit internationalen Lorbeeren, keltert er diesen Wein, der taxfrei zu den fünf besten Blauburgundern des Landes zählt. Die Vorgeschichte und die ersten Eindrücke von diesem Pinot Noir sind in einem alten Trinkprotokoll hier nachzulesen. „Wir bevorzugen die kühlen Jahrgänge“, ist heute die klare Maxime zu dem nahezu auf 400 Meter Seehöhe – mit der Ried Kästenbaum das Maximum der nördlichen Thermenregion – wachsenden Wein. Der 2014er bestätigt diesen Eindruck, auch wenn es eine der raren Rest-Flaschen aus dem Privatkeller darstellt. Kräutrig und mit Frische stellt er eine Werbung für die Burgunderkompetenz des Winzers dar.
Anders hingegen der „perfektere“ Jahrgang 2019, der aktuell im Heurigenbetrieb verkauft wird. Pfingstrose, Cranberry, etwas Assam-Tee, Kirschkerne und auch Graphit zeigen die klassische Pinot-Oszillation zwischen roter Frucht und Würze. Sanft am Gaumen, kommt hier auch der letzte, vielleicht vermisste Baustein hinzu: Erdbeere. Präsenter aber verbleibt auch im Geschmack die Kirsch-Note, zu der sich Säure und ein markanter Pfeffer-Akkord gesellen. Man kann diesen Rotwein ganz gut charakterisieren, wenn man vom druckvollen Kern und der seitlich davon, also davor und danach, auftretenden Eleganz spricht. Feine Pikanz erhöht die Trinkfreude (Kennzeichen jedes guten Pinots!) noch. Vor allem im Finish tritt zarter Gewürzpaprika und schon fast zerstäubter, nicht gemahlener, Schwarzer Pfeffer auf. Das ist die andere, die vertrautere Seite der Piriwe-Weine. Doch sie ist in dieser Qualität um nichts weniger erstaunlich wie „Viera“, „Sechsa“ und Co. Und das gilt auch umgekehrt. Hier spielt man offenbar auf beiden Klaviaturen virtuos; Kammermusik und Free Jazz aus einem Keller!
Bezugsquelle:
Josef Piriwe, „Sechsa“ (Rotgipfler) 2021 kostet EUR 29, der „Viera“ (St. Laurent) ist um EUR 21,- zu haben, und der Pinot Noir „PI“ 2019 um EUR 31,50 erhältlich, alle ab Hof bzw. im Webshop, www.piriwe.at