Es gehört zu den Eigenheiten von Bibi Graetz, dass er gerne überrascht. Um nicht zu sagen, er liebt es. Das gilt z. B. für den Schwesterwein seines „Colore“, den wir zuletzt hier in einer Vertikalverkostung vorstellten. Zum 20. Jahrgang hat der Maler ihm spontan ein neues Etikett verpasst. Was der Winzer in Fiesole nun für den neuen Jahrgang des „Colore“ machte, hat aber weniger mit Kunst als mit Philosophie zu tun – Dekonstruktion lautet das Schlüsselwort. Denn für seinen Sangiovese-Erfolg, den er mittlerweile über den „place de Bordeaux“, die Börse der raren Weine, handelt, stützt er sich auf vier Weingärten. Olmo, Vincigliata, Siena und Lamole sind ihre Herkünfte. Man kann sie aber auch als „Spielzeuge“ eines kreativen Kopfes sehen.
Denn so betitelt Graetz die neue Weinserie, mit der er bei der weltweit verfolgten Jahrespräsentation vorstellig wurde. „Balocchi“ heißt das Spielzeug auf Italienisch und mit drei markanten Weinbergen, die er der Einfachheit halber durchnummeriert hat, zeigt Graetz, wo der „Colore“ seine Wurzeln hat. Dass die Nummern nicht fortlaufend sind, sondern es den „Balocchi di Colore“ mit 1, 3 und 8 gibt, freut einen Mann wie den norwegisch-stämmigen Winzer sicher extra. Vielleicht wurde es deshalb auch so heiter, während Graetz seine globale Fangemeinde durch das neue Rotwein-Trio führte, das nun neben den bekannten Abfüllungen „Colore“ und „Testamatta“ steht. Die Freude an diesen Neuzugängen und ihren Etiketten (dazu später mehr) war jedem Kichern über das Internet anzumerken im Schlossquadrat zu Wien.
Am ehesten dem „Colore“ selbst verwandt, ist der 2020er aus Vincigliata, „den hat noch mein Vater gepflanzt“, so der Winzer. Der „Balocchi di Colore No. 1“ erhielt statt einem Gemälde des Vaters eines der ältesten Tochter Margherita Graetz. Der reinsortige Sangiovese reifte knapp zwei Jahre im Holz, sein floraler Duft überrascht daher umso mehr. „Balsamisch“ sei diese Qualität, die dafür sorgt, dass dieser Weingarten in jedem „Colore“ vertreten war. Hibiskus, getrocknete Rosenblätter und auch Malve ergeben eine anfangs fast pudrig intensive Duftwolke. Sie lässt erst sukzessive auch Fruchtnoten – Erdbeere und Kirschen vor allem – erkennen. Doch auch im Mund straft der „No. 1“ sein jugendliches Alter Lügen. Abgeschliffen wie ein Bachkiesel in Kirsch-Rot zeigt er keine Spuren von Gerbstoff. Dafür geht er nahezu ansatzlos in eine würziges Kräuter-Finale über. Dieses bestreiten Grüner Pfeffer und Provence-Kräuter, unter denen Thymian die Führung übernimmt. Die letzte Balance mag noch nicht da sein, aber eine bestechende Frühform, die den Wein aus Podere di Vincigliata zu einem Favoriten der Verkostung machte.
Wie gewaltig der Rebenschatz ist, auf den die Winery aufbauen kann, zeigt dann eine Nebenbemerkung, als es ans Kosten der „No. 3“ geht. Denn dieser reinsortige Colorino (ebenfalls aus Vincigliata) stellt „den jüngsten Teil der Kollektion“ dar. Mit wohlgemerkt 50 Jahre alten Rebstöcken, die noch der Vater von Bibi Graetz ausgepflanzt hatte. Von Tochter Ingrid stammt das Label für diese Sortenrarität, die ein anderes Toskana-Duftbild zeichnet. Dicht und konzentriert sind hier die dunklen Früchte; vor allem, Brombeer-Gelée und Schwarze Johannisbeere evoziert dieser „Bolocchi di Colore“. Attraktiv legen sich Noten von Eukalyptus und später auch waldige Einschlüsse (wie Piniennadeln) über diesen Fruchtkern.
Der Beeren-Charme findet sich auch im Kostschluck wieder, die Kraft von 14% Alkohol wird hier von einem noch jugendlichen Gerbstoff begleitet. Man merkt, dass dieser herbe Teil des „No. 3.“ schon begonnen hat, sich gut in die Fruchtnoten zu integrieren. Man könnte sagen „we are almost there“, aber schließlich ist so ein Wein aus 2020 auch kein quengelndes Kind am Rücksitz. Hier kann man gerne noch warten, ehe man mit diesem Colorino die „Simma schon da?“-Frage im Keller eindeutig bejahen kann.
Für den letzten Wein der Serie – er stammt aus Olmo – griff Sohn Ludovico zu den Farbstiften. Der Achtjährige kolorierte das Label eines 100%-igen Canaiolo, der als „Balocchi di Colore No. 8“ gefüllt wurde. „Die Sorte erfährt oft nicht die richtige Aufmerksamkeit“, meint Graetz senior dazu, „sie ist aber die Zukunft unseres Weinguts“. Denn 2020 hat er erneut weitere Weingärten mit der Traube bepflanzt. Das Ergebnis jedenfalls gibt ihm recht, wenn man das Glas mit dem 2020er beschnuppert. Rosa Beeren gehen gleich in die Duftattacke über, dahinter verbergen sich kühlere Kirschen-Töne, aber auch etwas Granatapfel. Mit Luft nimmt diese herbere Duftnote dann auch noch zu. Ähnlich abgestuft funktioniert die „No. 8“ dann auch am Gaumen, nämlich in Form eines Dreiteilers: Im Trinkverlauf wechseln sich die Frucht, das geschliffene Tannin und eine pikante Note, die an Rauchpaprika erinnert, ab. Bei aller Vehemenz, die dieser Canaiolo auf den Gaumen bringt, bleibt da immer eine jugendliche Frische. Sie animiert den Rotwein mittels ihrer markanten Säure.
Das Flaggschiff selbst, längst um 240 Euro im Handel zu finden (wenn man ihn denn findet), kam am Ende auch noch ins Glas. „Colore 2020“ verdankt seine Würzigkeit auch dem kleinen Anteil Canaiolo, der aus Olmo stammt. Dass der Paprika erneut auftritt im Duft, überrascht daher nicht. In diesem Fall wirkt der Duft wie gekochter Paprika („Letscho“-Style), wobei er gegenüber der dunklen Frucht, die man getrost den Chargen aus Vincigliata zuschreiben darf, zum Beiklang wird. Der Geruch von Brombeere, herb, reif, aber immer auch zart säurig, steht im Mittelpunkt. Tatsächlich versteht man nach der Dekonstruktion mit dem Winzer mehr von diesem Wein. Denn während sich vornweg die jugendlich verspielte Säure bemerken lässt, kommt dahinter die bereits bekannte „balsamische“ Qualität des Sangioveses mit seinen Blumen-Akkorden von Hibiskus durch.
Am Ende steht ein weit gespanntes Geschmacksbild, das zu diesen schon erwähnten Eindrücken einen im Umbau begriffenen Gerbstoff und erneut die pikanten Noten aus Podere dell’Olmo ergänzt. Im Kern ist dieser „Colore“ rund, wie es Bibi Graetz sich wünscht. An den Rändern aber spielen umso attraktiver die Frische, der schmelzige Blumenton von Vincigliata und auch die Pikanz des Bodens von Olmo auf. Letzteren durfte man beim „Balocchi di Colore No. 8“ schon kennenlernen. Die Mischung aus Lehm und Kalk ergibt dort so etwas wie „Salz und Pfeffer“ (© B.Graetz) für den „Colore“. Diese Würze wird es auch sein, die ihn bei aller Reife in den nächsten Jahren so attraktiv machen wird. Das ist keine Dekonstruktion. Sondern eine Vorhersage.
Bezugsquelle:
Balocchi di Colore, die drei Flaschen des dekonstruierten „Colore“ (No.1, No.3 und No.8) sind zusammen mit drei Flaschen Jahrgang 2020 dieses Kultweins um EUR 2.028 in einer Box erhältlich, Anfragen an: info@vinorama.at