Da waren selbst wir sprachlich gefordert, als es darum ging, die Feinheiten der Riesling-Nomenklatur an eine geschwätzige Londoner Blogger-Runde zu kommunizieren. Stichwort: „Grosse Lage Niederberg Helden Auslese Lange Goldkapsel“ – yes, that‘s just one wine! Denn der Trip zum atemberaubenden Schlosshotel Lieser an der Mosel beinhaltete neben auch einen Besuch beim „Nachbarn“. Thomas Haag hatte das Weingut, das nach dem Tode der Baronesse von Schorlemmer-Lieser (1990) vom Schloss selbst getrennt wurde, Mitte der 1990er mit seiner Frau Ute übernommen. Gekommen war man eigentlich als Weingutsleiter, doch für die Abfüllung von Fasswein war sich der Spross des Weinguts Fritz Haag doch zu schade. Zumal er das Potential der Lagen erkannte, die man hier direkt an der Mosel zur Verfügung hatte.
Heute figuriert Schloss Lieser als eines der wenigen Weingüter in allen namhaften Guides an der Spitze. Das hat auch einen Grund. Denn die Herkunftspyramide steht bei Schloss Lieser praktisch auf dem Kopf. Auf vier Gutsweine folgen lediglich zwei Ortsweine – das „Heldenstück“ aus Lieser und das „Goldstück“ aus Piesport. Dafür hat das Weingut eine ganze Liste von Grossen Lagen im Sinne der VdP-Klassifikation zu bieten. Brauneberger Juffer, Wehlener Sonnenuhr, Piesporter Goldtröpfchen und Niederberg Helden stehen in der Liste, aber sogar am berühmten Bernkasteler „Doctor“ hält Haag (kl. Bild rechts) Anteile. Das Spiel zwischen den Böden der gut 30 Fahr-Minuten im Umkreis des Schlosses verteilten Lagen und die Restsüße als weiterer Parameter ergeben eine Fülle an Sorten-Interpretationen.
Am Beginn steht der „einfachste“ Riesling des Hauses, der „SL“ heißt und als 2018er die Probe eröffnet. Wie bei vielen deutschen Spitzenerzeugern stellt dieser Gutsriesling bereits eine unglaubliche Qualität vor – besonders dann, wenn man auf das Preisschild sieht. Ein Zehn-Euro-Riesling mit der Komplexität ist rar. Die Schiefer-Böden geben einen Touch Rauch mit, dazu kommt ein Zitrusfrucht-Körberl, gefüllt mit Mandarinen und Yuzu. Die acht Gramm Restzucker, die Thomas Haag hier zugelassen hat, bringen dem 2018er eine fruchtsüße Grundierung ein. Gelbe Kiwi und Marillenröster sind da, nach hinten hinaus meldet sich wieder die Mineralik. Bei allem Schmelz offeriert sie auch einen Widerhaken, der zum Nachschenken reizt. Das zeigte auch der Ausruf der Londoner Girlies am Kost-Tisch: „I could drink it like water“.
Das gilt auch für den Ortswein aus Lieser, der früher als „Spätlese trocken“ geführt wurde. Doch „Heldenstück“ klingt nicht nur besser, es führt auch ungeübte Weißweintrinker nicht in die Irre. Der typische Schiefer-Ton, das „Möselchen“, ist vorhanden, fast „flinty“ (Feuerstein-artig) kommt der 2018er daher. Die feine Klinge wird aber am Gaumen geführt. Pfirsich und säurige Zitrusfrüchte sind so eng verwoben, dass es fast nicht möglich ist, sie analytisch auseinander zu halten. Pink Grapefruit und eine frische Art wie bei einer Limonade lassen ein Spiel beginnen, das sich die saftigeren Steinfrüchte mit dem saureren Geschmack der Agrumen liefern. Will man jemandem die Sorte erklären, wäre das „Heldenstück“ 2018 perfektes Anschauungsmaterial.
Wer denkt, dass auf diese beiden prototypischen Guts- bzw. Ortsweine nicht noch ein Quentchen Finesse draufgepackt werden kann, kennt die Lagenweine des Schloss Lieser nicht. Die Spätlese der „Wehlener Sonnenuhr“ 2018 beispielsweise paart rauchige Noten mit Kletzen-Birnen und kreuzt Weingarten-Pfirsiche und Mandarinen zu einer ganz neuen Frucht. Doch Thomas Haag legt schon mit der „Juffer Sonnenuhr“, einer Auslese aus dem Jahrgang 2018, nach. Der Unterschied zeigt sich hier in einem weniger feuersteinigen Rauch-Tönchen, dafür erinnert dieser Riesling an frische Sesam-Brötchen. Beim Geschmack hingegen muss man länger grübeln, woran die leicht herbe, dabei frische und fruchtige Auslese erinnert. Es ist tatsächlich „Bitter Orange“, die fast verschwundene Tonic-Variante. Denn auch sie hat ein ähnliches Oszillieren zwischen Fruchtschmelz und Säure zu bieten wie dieser nur 7% Alk. starke Wein.
Dass sich hier 90 Gramm Restzucker im Glas befinden, macht die Komnination aus niedrigem Alkohol und der knackigen Säure fast vergessen. Das ist eben „German Riesling-art, Ladies“! Immer enger zieht sich das aromatische Netz, im Finale dann klingt die „Sonnenuhr“ noch lange nach. Vor allem aber regt dieser Schluck den Appetit an. Soviel zum Klischée vom Dessert-Wein! In Wahrheit kann diese Kollektion alles begleiten, vom Apéro bis zum Wiener Schnitzel. Letzteres beweist dann die Küche Wolfgang Preßlers im Schlosshotel. Und spätestens am Tisch unter dem strengen Blick Kaiser Willhelm II. gehören die beiden Mosel-Nachbarn dann kurz doch wieder zusammen.
Bezugsquelle:
Schloss Lieser, Riesling „SL“ 2018 kostet EUR 10,20, der Riesling „Heldenstück“ 2018 (=Spätlese trocken) ist um EUR 18,40 zu haben und der Riesling „Juffer Sonnenuhr“ Auslese 2018 um EUR 32,90, alle beim Weinhandel Gawein Bruckner, www.gawein.at