Der blaue Lehm ist nicht sein Freund. Denn hier stoppen die Rebwurzeln der Podere Le Ripi im toskanischen Montalcino. Wie weit sich die weltweit höchste Stockdichte der Welt nach unten vorarbeiten würde, bleibt für Francesco Illy also weiterhin ein Rätsel. Der Querkopf aus Triest hat sich in Montalcino als weinbautechnischer Experimentator entpuppt. Auf einem Hektar stehen bei ihm 62.550 einzelne Rebstöcke, rund zehn Mal so viel als gemeinhin üblich. „Der Traktor und die Reblaus kamen zugleich“, haben seine Studien ergeben, beides waren Gründe für einen größeren Zeilenabstand, der ab dem 19. Jahrhundert die Weingärten veränderte. Diesen Schritt macht Illys Weingut rückgängig, „ich zwinge die Reben dadurch nach unten, um zu überleben“.
Dass arrivierte Berater über solchen laienhaften Zugang die Köpfe schütteln, war dem Spross der Kaffeedynastie egal. Er ist ein Laie mit Geld und ließ einmal machen. Und siehe da, die Mortalität der Reben ist mit 8% weit geringer als im konventionellen Weingarten. Das mag auch an der biodynamischen Arbeitsweise liegen, vermutet Illy im Gespräch mit dem Trinkprotokoll.at, „auf lange Sicht werden sie dadurch widerstandsfähiger“.
Liebe & Zauberei – Rosso di Montalcino 2009
Seit 2003 erntet er von seinen 14 Hektar Wein, „eigentlich wollte ich nur ein schönes Haus in der Toskana“. Mittlerweile nimmt er die Profession aber ernst: Will man im Winzerkomitee das Regulativ des Brunello mitten in der Erntezeit im Schnellverfahren lockern, ist es Illy, der die Kollegen aufrüttelt. Auch die Weine des Kaffee-Mannes können sich sehen lassen, die Probe begann mit einem 2009er Rosso di Montalcino. „Amore & Magia“ nennt sich der und duftet nach dunkler Schoko, viel Leder, aber auch Cranberry und Rumtopf. Läßt man dem „Liebe und Zauberei“-Rosso ein wenig Zeit, gesellt sich ein würzigerer Zug dazu, schwarze Olive und etwas Thymian, wären die Assoziationen. Gegenüber dem Duft beginnt der Illy-Wein am Gaumen fast schüchtern; mild im Beginn, dreht er aber kontinuierlich am Lautstärkeregler – schwarze Kirsche, ein für die Jugend (2009) nicht überraschender satter Gerbstoff-Akkord und gegen Ende ein würziges Finale, das Ysop und schwarzen Pfeffer durchschimmern läßt, bilden die drei Akte dieses Toskaners. Eindeutig noch sehr jung, aber mit einer idealen Prognose für die kommenden Jahre.
Wölfe, denen Nixen den Spiegel halten: Brunello Riserva 2008
Wunderbar sind die Geschichten, die Illy erzählt, von Widerständen handeln sie, aber auch von der Kraft des Faktischen. Das künstlich erstellte Wappen ist eines davon. Die Heraldiker lie es verzweifeln, zeigt es doch Wölfe und Nixen, eine Kombination, die es nicht gibt in den altehrwürdigen Lehrbüchern. Dem Winzer gefiel nicht nur der Entwurf mit den Spiegel-tragenden Meerjungfrauen, er adaptierte ihn gleich als Namen für seinen Brunello Riserva Lupi & Sirene. Der Jahrgang 2008 stellt schon in der Nase ein Vergnügen dar; Waldhonig und Brombeer-Marmelade, Leder, Hagebutten und ein dezentes Maß Sojasauce machen neugierig, wie denn das schmeckt. Die „Kindsmord-Schreier“-Fraktion, die das Kosten solch junger Weine generell ächtet, hätte wieder Oberwasser, denn momentan zeigt sich der „Lupi & Sirene“ fast scheu: Ein roter Beerenmix, satt unterlegt von Vanille, sorgt für einen schönen Trinkfluss, bis der Gerbstoff dazwischen grätscht.
Noch ist das zu adstringierend, die Frucht scheint zu dösen, wird aber ihren Dornröschenschlaf in fünf Jahren beendet haben. Das Warten sollte sich lohnen, die Kraft (15% Alk.), aber auch die Konzentration – bei nur 400 Gramm Traubenausbeute pro Stock! – im Alter aufzublühen hat die Brunello-Reserve in jedem Fall!
Am Weg zum Kultwein – Bonsai 2009
Doch nun ist es so weit, der dritte Jahrgang des weltweit einzigartigen „Bonsai“ kommt ins Glas. Seine zwei Gesichter sind schnell analysiert. Zum einen duftet der als Rosso di Montalcino klassifizierte Experimentalwein nach cremigen Dingen wie Karamell-Bonbons, Erdbeer-Campino-Zuckerl oder gesüßtem Schlagobers. Völlig anders hingegen – mit Sojasauce, Wermutkraut und Liebstöckl sowie Rindsuppe – zeigt sich die würzige Seite, die rasch die Oberhand gewinnt. Der Vergleich mit dem anderen Rosso aus dem gleichen Jahrgang, Amore e magia, zeigt einen zarteren, mit viel Luft auch weicheren, aber nicht unbedingt würzigeren Wein: Eindeutig haben wir einen Italiener im Glas, das Spiel zwischen Gerbstoffen und jugendlicher Säure deutet in diese Richtung. Aber wir sind bei keiner Blindprobe; dass Illy in der Toskana die Weinwelt verblüfft, wissen wird. Herzkirsche ist das verbindende Element zwischen dem Tannin und den weichen Vanille-Noten der vierjährigen Holzlagerung.
Man kann erahnen, wohin die Reise geht, wenn die Bonsai-Stöcke sich noch entwickeln; denn der salzige Boden, der in der Nase bereits zu spüren ist – die Suppe, erinnern wir uns! – wird sich dann auch am Gaumen stärker bemerkbar machen. Das Experiment (um eine von Francesco Illy gestellte Frage zu beantworten) ist zweifellos gelungen. Freuen darf man sich aber auf die Langzeitstudien, um bei den Science-Metaphern zu bleiben.
Bezugsquelle:
Podere Le Ripi, Rosso di Montalcino „Amore&Magia“ ist um EUR 23,20 erhältlich, der Brunello di Montalcino Riserva „Lupi&Sirene“ 2008 kostet EUR 84,40 und der Rosso di Montalcino „Bonsai“ EUR 144,90, exklusiv für Österreich erhältlich bei Wein & Caffé Berthold, www.berthold.cc