Der Amtsschimmel wiehert nicht nur in Wien. Diese Erkenntnis stand am Beginn der Österreich-Vorstellung des Londoner „Sipsmith-Gin“. Denn seit 1820 hatte kein Londoner mehr um eine Brennerei-Lizenz angesucht, als Sam Galsworthy und Fairfax Hall 2006 mit ihrer Gin-Produktion beginnen wollten. Inspiriert von der US-amerikanischen Craft-Bewegung, die sie u. a. als Manager bei der „Fuller’s“-Brauerei mitbekommen hatten, wollten sie handwerklich brennen. Die 300 Liter-Kupferbrennblase stand beim (mittlerweile verstorbenen) Bier- und Whiskyguru Michael Jackson im Büro, doch leider: Vor über 200 Jahren hatte die englische Krone einmal bestimmt, dass kommerzielle Brenner 1.800 Liter-Destillen (oder größere) brauchen. Was damals zur Qualitätskontrolle gedacht war, verhinderte jetzt das Start up! Man wird sich an Gordon Brown als Briten-Premier vielleicht nicht mehr erinnern, aber er sorgte – aus dem Brennerei-reichen Schottland stammend – dafür, dass „Sipsmith“ 2008 auch klein starten durfte.
Um jetzt Gin wie im 19. Jahrhundert zu produzieren, holte das Duo sich Historiker Jared Brown als Destillateur ins Boot. Keine Mazerate von Kräutern, sondern im so genannten „one shot“-Verfahren frisch destillierte Aromageber, verlangte er. „Das war bis 1880 das Standard-Verfahren“, begründete er das. Bis heute – und mittlerweile mit drei Brennkesseln in Chiswick deutlich größer als zu Beginn aktiv – ist man diesem Zugang treu geblieben. Der Gin mit dem Schwanenlogo (das auf die Form der Kupfer-Brennblase anspielt) verzichtet auf exotische Aromageber. „Es geht um das Erbe von Generationen von Gin-Brennern“, so Brown zu Trinkprotokoll.at, „wer bin ich, dass ich das ändern würde“?
Dann kosten wir den „historisch korrekten“ Brand im Portfolio von Beam-Suntory doch gleich mit Mister Brown: Die drei zitrusfruchtigen Botanicals – neben Zitrone und Orange gibt auch die Saat des Korianders dieses Aroma ab – kommen im Duft als süße Zitrusnote durch. Der 41,6 % starke „London Dry Gin“ verströmt auch ein kräftiges Parfüm, in dem sich neben den zarten herbalen Noten (uns erinnerten sie an Stangensellerie) auch Veilchenduft findet.
Das Mundgefühl fällt cremig aus, den Trick dahinter verriet Jared Brown: „Das kommt von den gemahlenen Mandeln“. Die herbe Note verdankt sich nicht nur dem Wacholder, auch die Wurzeln (Oris, Angelica und Süßholz) kommen hier durch. Ins Finale tragen den Sipsmith dann die kombinierten erdigen und zitrusfruchtigen Note, der Nachgeschmack erinnert an Zitronengras.
V.J.O.P.: Doppelt Wacholder in drei „Zubereitungen“
Auch wenn in der Versuchsanlage in Chiswick Spielereien wie ein „English Mustard“-Gin entstehen, steht der Wacholder bei allen regulären Abfüllungen im Vordergrund. So ging es auch beim Sipsmith, der in die wachsende Overproof-Kategorie (konkret sind es 57,7% Alkohol) fällt, nicht darum, dieses wachsende Segment für Juniper-Nerds zu bedienen. Vielmehr wollte Jared Brown alle drei Arten des Wacholdergeschmacks in einen Gin bringen. Also den in Alkohol mazerierten, den frisch mit-destillierten und den im Geistrohr „gedämpften“. Mit doppelt so viel südeuropäischem Wacholder als im klassischen Sipsmith, intern auch als „Green Label“ bezeichnet, wurde diese neue Variante angereichert. „Um die Balance der Aromen zu erhalten, mussten wir den Alkohol erhöhen“, so der Cocktail-Historiker, „denn es muss gut sein und das war es dann erst bei 57,7,%“. Das Ergebnis nennt sich V.J.O.P. – was für das schon eher selbsterklärende „Very Junipery Over-Proof“ steht.
Wie nicht anders zu erwarten bei dieser Wacholder-Dosis, dominiert das Gin-Gewürz den Duft. Der Alkohol braucht ein wenig, um der Nase den Weg zu den weiteren Duftnoten frei zu geben. Als da wären: grüner Pfeffer, Kampfer und etwas frischer Koriander. Im Mund ist der Eindruck zunächst vom wärmenden Alkohol bestimmt, dazwischen mengen sich unter den herben Wacholder-Schwall auch Gewürznoten wie Muskatnuss und etwas Moos. Das Finish fällt lang und wieder oszillierend zwischen dem „grünen“ Wacholder, der an Pfeffer erinnert, und seiner satteren, zart bitteren Erscheinungsform aus.
Er ist Jareds Empfehlung für einen trockenen Martini. Und wir fügen hinzu: für versierte Martini-Trinker, denn die 57,7% Alkohol haben es in sich. Andererseits schmecken bei einem mit V.J.O.P. gemixten Gin&Tonic „dann selbst die Bläschen nach Wacholder“, verspricht Mister Brown. Und er hatte recht!
Bezugsquelle:
Sipsmith, London Dry Gin ist um EUR 28,- erhältlich, der 57,5%-ige „V.J.O.P.“ um EUR 40,-, beide beim Weisshaus-Shop, www.weisshaus.at