Mit Bordeaux ohne Dünkel haben wir hier die „französische“ Seite des Fine Wine Shop schon vorgestellt. Beim Jahrgangstasting kamen aber auch Guillemette Giraud Ferrando und Andreas Lenzenwöger nebeneinander zu stehen. Wenn man Gerhard Kracher und Hans Martin Gesellmann kennt, war das kein Zufall. Denn beide stehen für einen Stil, mit dem Châteauneuf du Pape wieder hochinteressant geworden ist. Die Weingüter Famille Ferrando und Definitely Red haben mit einem minimal invasiven Stil den Staub von der päpstlichen Tiara geblasen – zumindest auf den Flaschen von der südlichen Rhône. Allerdings sollte man die Weine nicht zu sehr vergleichen, die Unterschiede sind deutlich, sieht man von der berückend seidigen Textur ab.
Bei Lenzenwöger in Bédarrides ist es reinsortiger Grenache, in Saint Préfert aber ein über 20 Jahre ausgeklügelter Blend aus (zumindest) vier Sorten, der so erst seit drei Jahren exisitiert. Denn Isabel Ferrando, die Mutter von Guillemette, hat die Filetstücke ihrer drei bisherigen Weine zum neuen, großen Châteauneuf du Pape verbunden. Es gibt am Weingut nur noch diesen Wein aus der Appellation – und er ist großartig. Den Blend des aktuellen Jahrgangs 2022 machen 65% Grenache, 5% Syrah, 10% Mourvèdre und 20% Cinsault aus. Gegenüber dem Erstling 2020 hat man den Cinsault und den Syrah zu Lasten des Platzhirschen Grenache erhöht. Und es wäre nicht Châteauneuf du Pape, wenn nicht „da und dort auch noch einzelne Stöcke anderer Sorten in den Weingärten stünden“, so die 27-Jährige (kl. Bild).
Die offene Art dieses Rotweins bringt einen floralen Duft mit, bei dem man an Hibiskus und Clematis denkt. Er ist aber kaum zu trennen von einem Potpourri gerade reifender, roter Früchte wie Granatapfel, Weichsel und Kornellkirsche. Dass sich hier saftige, säurige und herbe Töne zugleich abzeichnen, nimmt die Komplexität dieses noch so jungen Rhône-Roten vorweg. Doch auch Graphit und schwarze Olive dürfen im Hintergrund wie ein Bläser-Satz die leichtfüßige Melodie des 2022ers begleiten. Im Mund ist der Saint Préfert pure Seide. Mehr braucht man dazu nicht zu sagen. Hauchfein gesponnen sind die Fruchteindrücke, so wie die aus mehr Luft als Teig bestehende Qualität eines Kirsch-Macarons. Auch den feinen Marzipan-Ton, der an Mandelmehl anklingt, ahnt man mehr, als man ihn wirklich schmeckt.
Und wo wir bei Minimalismus sind: Nach zwei Jahren in gebrauchte, großen Eichenfässern (foudres) und Amphoren fällt vor allem auf, was nicht da ist. Tannin nämlich. Wie weggeschliffen wirkt der Gerbstoff bei Isabel und Guillemette Ferrandos Wein. Auch, dass 14,5% vol am Etikett steht, wollen wir nicht glauben. Praktisch ohne Widerstand, subtil und doch voller feiner Verästelungen im Geschmack, rinnt der 2022er über die Zunge. Es mag daran liegen, dass wir in letzter Zeit mit Pinot Noirs aus dem Burgund schlechte Erfahrungen – zugegeben in schwierigen, da verhagelten und kalten Jahrgängen – hatten. Aber das Versprechen der elégance löst der aktuelle Châteauneuf du Pape der Famille Ferrando müheloser ein als so mancher weltberühmte Grand Cru.
Dem steht die taktile Qualität des 2021ers von Andreas Lenzenwöger um nichts nach. Dass es nicht sein 2022er ist, den wir trinkprotokollierten, liegt auch daran, dass er selbst sagt, dass seine Weine Zeit brauchen. Der Jahrgang 2021 hat sie ausgiebig gehabt und er bringt die Handschrift des Sommeliers, der Winzer in Frankreich wurde, deutlich zum Ausdruck. Wie es dazu kam, dass Maschinen-Verweigerer Lenzenwöger erst bei Willi Sattler und dann an der Rhône Wein machte, haben wir bei unserem ersten Beitrag über ihn hier schon einmal erzählt. Mittlerweile hat sich die kleine Produktion, die auch auf Trauben aus dem Châteauneuf du Pape (aber nicht ausschließlich) basiert, zum Geheimtipp gemausert. Auch hier bedarf es fast nicht mehr des Kostschlucks, um die Güte des Grenache zu erkennen.
Wunderbar hell präsentiert er sich dem Auge, der Nase liefert der „Def Red“ 2021 aus jeder Richtung etwas. Wild und würzig, da erkennt man Hagebutten, aber auch sanft nach Erdbeere duftet dieser Wein. Gequetschter Rose Pfeffer, die gute alte Schinusbeere eben, sorgt für feine Gewürzspuren. Aus dem dunklen Duftfundus gesellt sich der herb-erdige Duft einer Schiefertafel dazu. Der geschmackliche Eindruck ist ebenso reichhaltig. Doch zuvor ist auch hier die Textur zu loben, die nicht anders als „burgundisch“ zu nennen ist. Ein Hauch von nichts ist es, was die Zunge spürt, doch dieses fragile Gespinst liefert Wohlgeschmack in steter Abfolge: Orangenzesten sind der erfrischende Auftakt.
Und dann stellten wir uns die Gewissenfrage: Darf man Ayran in einer Rotweinnotiz schreiben? Denn es ist der feine Säurenerv, der zusammen mit der Geschmeidigkeit an das Trinkjoghurt erinnert. Keinesfalls soll aber der Eindruck eines Gärfehlers („Joghurt? Bäh!“) entstehen. Im Gegenteil, die vibrierende Lebendigkeit speist sich aus dieser ungewohnt milden, aber persistenten Säure des Grenache. Zu diesem Eindruck trägt auch der zarte Gewürzpaprika bei, der im Finish drübergestreut wird. Für Winzer Lenzenwöger selbst ist der 2021er auch „der frischere“ seiner beiden Weine am Kosttisch. Das stimmt jedenfalls, wobei die Frische hier alle anderen Eindrücke stützt. Als hätte man die Bleistift-Skizze eines Pinot Noir mit einem Tuschepinsel nachgemalt. Für weniger poetische Leser und jüngere Semester sagen wir’s anders: Geiler Stil!
Und sein Wein war die zweite, nunmehr Edith Klinger-intensive Aufforderung, sich bitte, bitte, bitte mehr mit Châteauneuf du Pape auseinander zu setzen. Dort entstehen aktuell einige der besten Weine unter 100 Euro. Vraiment!
Bezugsquelle:
Domaine Isabel Ferrando, Châteauneuf du Pape 2022 kostet EUR 88,90;
Andreas Lenzenwöger, Definitely Red 2021 ist um EUR 59,90 zu haben – beide Weine im Fine Wine-Webshop, www.finewineshop.com