Jeder hat so seine Utopie. Mark Livings im fernen Brisbane träumte etwa von einer „eine Cocktailkarte, auf der alle gewohnten Drinks auch in einer alkoholfreien Version zu haben sind“. Und was soll man sagen? Nach drei Jahren Vorlaufzeit hat sie der Australier. Lyre’s nennt sich die Range von 13 Destillaten, die keinen Alkohol aufweisen. Der eigenartige Name spielt auf einen Vogel an, den „lyre bird“ (=Leierschwanz), der genau das macht, was auch Mister Livings tut: gute Nachahmungen liefern. Denn der südostaustralische Leierschwanz gilt als bester Stimmen-Imitator. Und so ziert er mit seinen tierischen Freunden die markanten Flaschen der „non alcoholic spirits“, wie man es beim Hersteller abweichend von der europäischen Nomenklatur (sie schreibt für „spirits“ zumindest 15% Alkohol vor) nennt.
Doch derlei Vorgaben lassen Mark Livings eher kalt, wie sich in unserem Mix aus Interview und Verkostung in Wien 2 schnell ergab. „Für meine persönliche Definition würde ich sagen, eine Spirituose ist jede hoch konzentrierte Flüssigkeit mit einem starken Eigengeschmack“. Diese nachzubauen war die Challenge, die er mit führenden Sommeliers anging. „Plötzlich durften sie aber nicht mehr kritisieren, was einem Getränk fehlt, sondern mussten schauen, wie sie den Geschmack ohne Alkohol hinbekamen“.
Vor allem die fass-gelagerten Spirituosen (z. B. der Rum-Ersatz „Dark Cane“) erwiesen sich als „tricky“, während alkoholfreie Gins vergleichsweise leicht sind. „Alkohol zieht ja auch Speichel an und erhöht so die Geschmackseindrücke. Dazu bringt er Blut in den Gaumen, weil das Nervensystem auf die Schärfe des Alkohols reagiert“. Das zu simulieren, fällt schwer, wenn man auf Hilfen aus dem Chemiebedarf wie Glyzerin verzichtet. Und so fallen die Produkte allesamt deutlich „schlanker“ im Mundgefühl aus als ihre Vorbilder mit Promille.
Wobei: Die ausführliche sensorische Beschreibung, die wir sonst in unseren Trinkprotokollen pflegen, wird bei „Lyre’s“ etwas schwierig, zumal die meisten auch gar nicht zum Pur-Genuss gedacht sind. Eine Ausnahme bildet das Trio der italienisch inspirierten Nicht-Liköre, die sich an Vorbildern wie Aperol und Campari orientierten. Der „Italian Spritz“ erinnert mit seiner Rhabarber-Nase und dem an Mandarinen-Schale und auch zart an Gewürznelken angelehnten Geschmack in der Tat an italienische Bitters. Dank weniger Zucker und auch sanfteren Mundgefühls geht er auch als – gut gekühlter – Schluck zwischendurch. Aber natürlich läuft er mit Soda zur Hochform auf.
Sehr schwer hinzubekommen sind Rauch-Noten, denn die werden immer irgendwie „schinken-artig“, da hast Du schnell etwas Produkt, das wie „Speck-Wasser“ schmeckt.
Mark Living, Gründer von Lyre’s
Das teilt er mit dem „Italian Orange“, der an Campari orientiert ist. Und die herbe Natur kommt hier im Duft ordentlich durch – Grapefruit-Schale, etwas Rhabarber und auch Blutorange ist zu riechen. Der Kostschluck bringt zu den leichten Bitternoten der Zitrusfrüchte auch einen Touch Malve und Weichsel mit – vor allem das Finale wird nach dieser Fruchtigkeitsouverture noch einmal richtig herb. Wer die Sommer-Drinks in Rot liebt – vom „Americano“ bis zum „Spritz“ – sollte sie mal in dieser Variante versuchen. Der Geschmack ist ziemlich nahe am Original, wenn auch vielleicht mit ein bisschen weniger Süße.
Der kantigste aber ist der „Aperitif Rosso“, ein nicht-alkoholischer Ersatz für Roten Wermut, der auch ein deutliche Holzigkeit und Kakao-Raspeln im Duft mitbringt. Auch etwas Chinarinde bzw. ein Anflug von Chinin ist zu spüren, das hier offenbar statt (oder: mit dem) Wermutkraut für Bittere sorgt. Aber da mögen wir uns auch täuschen. Sicher ist nur, dass dieser „non alcoholic spirit“ sich mit dem erstaunlichsten Produkt der Range gut verträgt. Mit dem „American Malt“ wird daraus ein „Manhattan“ ohne Promille. Und das soll ja die Auswahl der 13 Varianten ermöglichen – auch ein nicht alkoholischer „Negroni“ geht sich dank Alternativen zu Gin, Wermut und Campari aus.
Doch zurück zum „Bourbon“, denn auch dafür hat Mark Livings einen Ersatz gefunden. Und der wurde von uns bei gleich zwei Freunden des klassischen Whiskey-Longdrinks (mit Cola) erprobt. Beide hielten die Mischung sogar für recht alkoholisch! Die Holz-Note, die sich mehr auf Eichengeschmack selbst, denn auf süße Sekundäraromen wie Vanille, konzentriert, lässt diesen Eindruck entstehen. Eine gewisse Rauchigkeit, das schaffte man bei Lyres’s, gab man dem Pseudo-Whiskey ebenfalls mit.
Und so ergibt sich abseits der zeitweiligen Abstinenz auch eine weitere Disziplin, in der die australischen Alkfreien punkten: Beim auf’s Glatteis-Führen von Cocktailfreunden. Mitunter macht ja auch das Spaß. Und am Ende hat keiner einen Rausch!
Bezugsquelle:
Lyre’s, alle genannten alkoholfreien Destillate wie „Italian Orange“ oder „American Malt“ kosten EUR 25,90 (0,7 Liter-Flasche) im Web-Shop des Unternehmens, https://de.lyres.eu