Das Nord-Licht unter den Spirituosen ist der große Unbekannte im Schnapsregal. Dabei fände eigentlich jeder seinen persönlichen Aquavit-Liebling. Wenn denn der Aquavit zu uns fände. Also haben wir uns aufgemacht nach Dänemark, wo man gerne Akvavit schreibt, und zum Akevitt (norwegische Lesart). Vorweg gleich eines: Als Banause outet man sich schon mit der falschen Trinkweise. Denn die Empfehlung, Aquavit – ähnlich dem norddeutschen Kümmel oder Köm – eiskalt zu trinken und ergo im Gefrierfach zu lagern, gilt nur für den dänischen Stil. Je klarer, desto kälter gibt uns Lars Kragelund als Faustregel mit. Und der Mann, der aussieht wie ein Werbeagentur-Chef, muss es wissen. Er verantwortet bei Marktführer Arcus die Produktion des nordischen Spirituosen-Hits.
Doch was ist Aquavit überhaupt? Im Grunde erklärt man das anhand von Gin. Beide werden auf Basis eines neutralen Agraralkohols mit aromagebenden Stoffen versetzt. Kümmel statt Wacholder – wäre ganz grob die Beschreibung. Denn auch Dille spielt eine Rolle. Anis wiederum ist des Schweden liebstes Botanical, doch über die Nachbarn schweigen sich Dänen wie Norweger aus. Letztere sind die strengeren Brenner, wie man in der ältesten noch existenten Kartoffel-Destillerie (1855 gegründet), „Atlungstad“ in Stange erfährt. weiterhin produziert. „Der Mann für die Botanicals ist 91, ich werde heuer 70“, lacht Halvor Heuch zur Begrüßung. Der äußerst gut als Käpt’n Iglo-Lookalike geeignete Hausherr stapelt tief. Kaum jemand kennt Norwegens 200 (!) Akevitte besser.
„Kartoffeln haben die Norweger gerettet und das Destillieren hat die Kartoffeln gerettet“, macht er klar, was er von Getreide-basierten Aquaviten, wie man sie in Aarhus und anderswo im Dänischen brennt, hält. Noch genauer, es müssen 95% norwegische Kartoffel sein. Dazu kommt die vorgeschriebene Lagerzeit von sechs Monaten in Sherryfässern unter 500 Liter Fassungsvermögen. Norwegischer Aquavit muss diese Anforderungen erfüllen, alles andere wäre Aquavit aus Norwegen, ein entscheidender Unterschied für Kenner. Auch die Alkoholstärke liegt meist bei 41,5%, was allerdings kein Gesetz, sondern die Tradition bestimmt. „Keine Ahnung, wo das herkommt“, muss auch Auskenner Heuch passen.
Die Äquator-Taufe als Namensgeber
Bestellt wird in Norwegens Wirtshäusern meist ein „Lysholm“. Hinter dem Namen verbirgt sich die Familie, die das Verfahren entdeckte, nach dem heute der bekannte „Linie Aquavit“ entsteht. Nach wie vor müssen die Fässer für diese Spezialität zwei Mal den Äquator überqueren. 1.000 Fässer sind in Containerschiffen der Wilhelmsen Lines, einem jahrzehntelangen Partner des Herstellers in Hagan bei Oslo, auf hoher See unterwegs. Auf jeder Flasche findet sich ein Code, um die genaue Reiseroute zwischen Oslo, New York und Sydney nachzuvollziehen. Der zarte Vanille-Ton der Fasslagerung kennzeichnet die meisten norwegischen Aquavits.
Mittlerweile sei man bei Kümmel wieder Selbstversorger, so Halvor Heuch, der Anbau in Norwegen hatte die starke Abstinenz-Bewegung der 1920er Jahre stark zurückgedrängt. In einem sind sich die ungleichen Destillateure Kragelund und Heuch einig: Aquavit passt ideal zu Fisch. Denn die Monoterpene Limonen und Carvon sind im Kümmel und Dill ebenso vorhanden wie im klassischen Fisch-Begleiter Zitrone.
Der Klassiker „Linie“ duftet anfangs mehr nach Anis (vor allem den Anis-Plätzchen, wenn’s wer kennen sollte), denn nach Kümmel. Auffällig ist im Geruch auch die süße Note, die an eine Mischung aus Orangenschale und Lakritze erinnert. Am Gaumen wird zunächst ein ölig-sanftes Mundgefühl spürbar; auch hier denkt man angesichts der Vanille-Aromatik kurz an Weihnachtsgebäck. Aus dem süßen Eindruck schält sich allmählich eine holzige Würze, die Zigarrenraucher mit dem Zedernholz ihres Humidor in Verbindung bringen könnten. Die Stunde des Sherrys schlägt im Finish, wenn sich „hard spice“-Noten wie Zimt und vor allem Piment deutlicher bemerkbar machen.
Ein Tipp für alle, denen diese Richtung gefällt: Noch schöner, fast samtig wirkt diese Mischung im „Double Cask“ von Linie Aquavit – er hängt an die Zeit im Sherry-Fass noch eine Runde in ehemaligen Portwein-Gebinden an. Es wird Zeit, dass er auch hierzulande erhältlich wird. Da schnalzen selbst die, die eh schon alles kennen, mit der Zunge. Zum Martini-Gansl wäre er ein idealer Abschluss, liebe Getränke-Importeure!
Bezugsquelle:
Linie Aquavit, ist um EUR 17,99 (0,7 Liter-Flasche) bei Killis Getränke erhältlich, www.killis.at