Nein, Bibi wohnt nicht am Blocksberg. Und ist auch keine Winzerin. Sondern der Name eines norwegisch-stämmigen Künstlers, der seit 2000 die Weinwelt revolutioniert. In Fiesole, das Cicero-Leser als Truppen-Sammelplatz des Verschwörers Catilina kennen, hat er seine Vision umgesetzt. Sie basiert auf einem einfachen Prinzip und zwei Rotweinen (Weißen macht er auf der Insel Giglio): Möglichst alte Rebstöcke der Toskana ergeben in Spontanvergärung in offenen Fässern den urtümlichen Ausdruck von Sangiovese, Canaiolo und Colorino. Keine Anlage ist unter 50 Jahre alt, die steinigsten und höchstgelegenen (620 Meter sind Rekord im Chianti!) Rieden liebt der Winzer Bibi Graetz. Auch seine Winery schaut direkt über Florenz, doch bei den Rebstöcken hat die Exponiertheit und Höhenlage andere Gründe als die schöne Aussicht.
So kommt es zur aromatischen Konzentration, denn in den Wuchs geht bei diesen Methusalems nichts mehr, etwa bei den Busch-Reben („alberello“) im Gemeindegebiet von Greve. Derlei Weinmachen hat natürlich seinen Preis und Bibi Graetz ist einer der Nicht-Frankreich-Winzer, die am Place de Bordeaux-Marktplatz gehandelt werden wie Masseto oder auch Opus One.
Der Jahrgang 2019 ist der 20. von Graetz vinifizierte und das zeigt auch das Jubiläumslogo, das wie alle Etiketten vom Winzer selbst gestaltet wurde. Mit diesem Wein endete die Serie, die im Wiener Restaurant Schakko verkostet wurde – ganze 15 Jahrgänge trieb Importeur Morandell noch auf.
Im Handel sind noch die Jahrgänge 2018 und 2019, doch die Reise zu diesen sehr zugänglichen – vor allem das Jubiläumsjahr zeigt einen fast verschmusten „Testamatta“ – war spannend nachzuvollziehen. Die Stilsuche, die von einigen schwierigen Jahren (2002 beispielsweise) in der Toskana nicht erleichtert wurde, war spannend für die handverlesenen Verkoster.
Ich spürte, dass da etwas Faszinierendes ist. Alte Reben und ihre geringe Ausbeute, das war alles gegen die Logik damals: In der Zeit trug ein Stock mitunter 20 Kilo!
Bibi Graetz über die Anfänge
Der allererste dieser Weine – Jahrgang 2000 – erwies sich als nahezu nicht zu toppen. Alterslos im Glas, kann dieser Wein 5, 7 oder eben 22 Jahre alt sein. Das ist italienische Rotweinkunst vom Feinsten! Der Duft erinnert in seiner Reife an Kakao, auch getrocknete Rosen aus einem Duftsäckchen sind da. Mit mehr Luft (immer eine gute Idee bei Graetz!) kommen dann auch Nussblätter und Zedernholz hinzu. Irre seidig zeigt sich der Erstling am Gaumen. Die größte Überraschung (und vermutlich auch ein Ergebnis der „kleineren“ Rebsorten-Anteile neben dem Sangiovese im Blend) ist die Säure, die dem 2000er nicht einen Anflug von Alter mitgibt. Ganz feine Würze am Gaumen und final auch wieder die erdigen Töne machen ihn sicher weitere 10 Jahre noch zu einem „strong buy“. Anders gesagt: Das möchte man jetzt einfach nur trinken!
2001 war für viele ein weiteres Highlight, er hat sicher noch viel Potential, denn auch nach zwei Jahrzehnten „arbeitet“ dieser Jahrgang noch; das Tannin fiel deutlich präsenter aus als beim 2000er. Eine fast pikante Schärfe kommt auch durch, die auf lange Strecke sicher erfreut. Ohne lange Zähne auf nicht mehr erhältliche Jahrgänge zu machen, seien noch zwei „Testamattas“ der Serie explizit erwähnt. 2005 war als 100%iger Sangiovese typisch für die Sorte und ihre „Fleischsaft-trifft-rote Frucht“-Noten. Als Österreicher darf man wohl von einem fast Grammel-artigen Duft im positivsten Sinn schreiben: Der Mix aus röstigen und fetten Tönen fasziniert. Und er gibt einen Vorgeschmack auf die pure Frucht am Gaumen, vor allem Weichsel, die final sogar einen Stein-Ton wie Mandelkekse zeigt. Der Nachhall bringt ein leichtes Prickeln von Chili mit. Ewig lange und einer der besten der Serie!
2013 hielt der Winzer selbst „für den besten Wein, den ich bis dahin gemacht habe“ und in der Tat bringt der nach Heidelbeeren und etwas Grünem Pfeffer duftende Wein eine faszinierende Innenansicht in die Mechanik der Rotwein-Reifung mit: Denn hinter dem saftigen Mundgefühl baut sich dieser „Testamatta“ gerade um: Das Tannin weicht vor der Frucht zurück wie das Rote Meer vor Moses. Feine Pikanz und Saftigkeit ohne Ende sind beide vorhanden. Der Nachgeschmack gehört Schwarzen Oliven, Lorbeer und anderen mediterranen Kräutern.
2018 ist der neue 2000er – von seiden-weicher Art!
Doch kommen wir zu den aktuellen Weinen! Zum 2018er reichen zwei Wörter, um seinen Duft zu beschreiben: Pure Würze! Der 100 Punkte-Wein (von „Decanter“-Magazin verliehen) bringt medizinale Töne (ja, man darf an Ricola und Hustensaft denken!) genauso mit wie getrocknete Erdbeere, Kirschblüten und etwas Lorbeer mit. Er kommt in der Art dem 2000er nahe; vor allem am Gaumen fasziniert die schlanke und seidige Art eines Pinot Noirs – wo er die Kraft und den Alkohol versteckt hat, ist bei dieser rotbeerigen Fruchtigkeit nicht festzustellen. Auch das Tannin ist hier bereits feiner geschmirgelt als bei einigen Vorgängern. Dieser 2018er macht jetzt bereits viel Spaß und hat seine Auszeichnung definitiv verdient. Das zeigt sich vor der Folie der Vorgänger besonders deutlich. Graetz selbst hat eine sehr pragmatische Erklärung für diesen Ausnahme-Jahrgang: „Durch Corona hatte ich nicht viel zu tun und noch mehr Zeit, eine perfekte Abstimmung zu finden“.
Anders, aber auch für Laien zugänglicher, ist sicher der 2019er, „Testamattas“ 20. Jahr überhaupt. Hier meldet die Nase sehr helle Frucht-Noten, die an Himbeercreme anklingen. Wir mögen uns täuschen, aber dieser Jahrgang wurde offenbar zugänglicher im Keller „gemacht“ als der normale „Testamatta“. Der Duft des Jubiläumsweins bringt einen fast luftigen Weichselduft mit, man denkt an Joghurtcreme, denn auch leicht laktische Noten sind ganz zu Beginn da. Das konterkariert der Schwarze Pfeffer, der allerdings ultrafein im Gleichschritt der Frucht marschiert. Das alles wohlgemerkt bei einem 2019er! Auch am Gaumen wirkt er weich, fast „silky“ und deutlich in Richtung softer, roter Frucht neigend. Es ist ein strukturiertes Vergnügen, das des Alkohols (14%) spottet. Und ein würdiger Einstieg, für alle die ihren ersten „Testamatta“ einlagern wollen. Sollte man durchaus tun – siehe die Jahrgänge 2000, 2001, 2013 oder 2016.
Bezugsquelle:
Bibi Graetz, „Testamatta“ 2019 kostet wie der Vorgängerjahrgang 2018 je EUR 99, beide bei Vinorama, www.vinorama.at