Böse, böse: Der Mitbewerb zwischen Islay und Kentucky spricht gern vom „braunen Wodka“, wenn es um kanadischen Whisky geht. Das suggeriert: Idealer Weise sollte man den leichten Kanadier mit Cola mischen (wie das lange ja der Fall war, wenn man an den für Highballs beliebten Canadian Club denkt). Vor Ort klingt das dann naturgemäß anders. Denn vor allem die doppelte Destillation und der Roggen hoben den im Ahorn-Land destillierten Brand als eleganter von den schwereren Farm-Mixturen der US-Nachbarn ab. Er war eine Weiterentwicklung, keine Verwässerung des hehren Getreidebrands. Vor allem der US-Bürgerkrieg 1860 und der Ausbau der relativ grenznahen Industrie in Provinzen wie Alberta und Ontario sorgten dafür, dass kanadischer Whisky um die Jahrhundertwende die größte Destillerie der Welt aufwies – und massiven Export Richtung Süden.
Ontarios Whisky-Gigant blickt nach Detroit
Torontos Distillery District rund um die Gooderham & Worts-Brennerei, eben jenen Giganten des Jahres 1900, erzählt diese Geschichte. Dass auch Whisky ohne Roggenanteil als „Canadian“ durchgeht, schildert indessen Don Livermore, der promovierte Destillateur und Mikrobiologe, bei unserem Besuch in Windsor/Ontario. Corby Distillers, der Erbe der Gooderham-Rechte, und Pernod Ricard betreiben hier, eine Flussbreite von Detroit/USA – das kurioser Weise nördlich der Destillerie liegt! – entfernt, ihre Whisky-Brennerei. „Hunderte Marken entstehen hier“, so Livermore, allein der jährliche Verdunstungsverlust von 3% mache 4.800 Fässer aus im gut gefüllten Lager. Die Superlative im Schnell-Durchlauf: 39 Gärtanks mit einem Volumen von 200.000 Litern, 114 Tanks für die Erstellung der Blends und 12 Mio. US-Gallonen Jahresausstoß (ca. 45,4 Mio. Liter; die Hälfte davon für externe Kunden) sind die Eckdaten.
Zwar muss kein Roggen im Whisky sein, um als „Canadian“ durchzugehen, doch die Verkostung beginnt natürlich mit einem 100%-igen Roggen-Whisky. Es ist der „Lot 40“, der als „Roggen in seiner reinsten Form“ von Master Blender Livermore angepriesen wird. Da die einzelnen Getreidebrände in Kanada traditionell einzeln destilliert und gelagert und erst final vermischt werden, ist hier der Blender der Star, nicht der Brenner. Das sei der fundamentale Unterschied zu den bereits gemeinsam vergorenen Whiskys der US-Nachbarn. In diesem Fall hebt der Whisky mit der typischen Würze des Roggens an, wird im Duft aber schnell von süßeren Noten – Schokobanane und die „Milky Way“-Mischung aus Schokolade und Milchcreme – überlagert. Im Kostschluck schlüsselt sich die Würze des Lot 40 allmählich auf; der 43%-ige Canadian Rye lässt zunächst Muskatnuss, dann weißen Pfeffer erkennen, der fast zu Staub gemahlen wird – denn das Finale ist ein trockenes, mit viel Würze.
Pike Creek: Übler Kanal, mächtige Rum-Noten
Eine andere technische Finesse des kanadischen Whiskys diskutieren wir angesichts des „Pike Creek” mit Doc Livermore (am Foto rechts). Denn auch der Zusatz importierter Spirituosen ist zulässig, sofern es nicht mehr als 9,09% im fertig gereiften Blend sind. Der Hintergrund dieser ein wenig nach willkürlichem Aromen-Zusatz klingenden Gesetzesregelung ist aber das US-Steuerrecht. Enthält ein Destillat, das in die USA importiert wird, nämlich Brände aus den 50 Bundesstaaten, gibt es Steuererleichterungen. Für den Export in die EU, die solche Aroma-Zusätze generell ablehnt beim Whisky, ist die Regelung allerdings irrelevant.
Warum also der komplexe Ausflug in juristische Gefilde? Weil der 10-jährige Pike Creek eine markante Rum-Stilistik aufweist. Zwar erfährt der Whisky ein „Finish“ in gebrauchten Rumfässern, konkret befand sich Demerara-Rum von „Lamb’s“ darin, aber es war eben nur das Fassholz und kein zugesetzter Rum, beteuert Livermore. Basis hierfür ist ein doppelt gebrannter Mais-Whisky, der mit seinem Duft nach Walnuss, Rosine und Rum in die süßere Richtung weist.
Weich und überaus süffig ist dieser Faserschmeichler dann auch im Mund: Schokopraline und Mandelkeks ließe sich assoziieren, dazu etwas Milchkaffee – alle drei Analogien weisen aber in Richtung Cremigkeit. Erst ganz am Schluss kommen noch die Gewürze zu diesem satten, kuchenartigen Basisgeschmack: Zimt, Piment und etwas Nelke runden den „Whisky für Rumfreunde“ ab.
Der namengebende Pike Creek in Windsor ist übrigens ein brackiger Kanal mit Ferienhäusern. „Das Wasser für den Whisky stammt nicht von hier“, betont Don Livermore daher extra beim Vorbeifahren an diesem Wasserlauf, den man am Weg von der Destillerie ins Whisky-Lager quert.
Torontos Whisky, eine blend-ende Auferstehung
Der legendäre Name der kurzfristig weltgrößten Destillerie Gooderham & Worts lebt im derzeit nur in Kanada erhältlichen Blend „Four Grain“ weiter. Der mit 44,4% mit einer im wahrsten Sinne des Wortes Schnapszahl abgefüllte Whisky aus Roggen, Mais, Gerste und Weizen beginnt mit einer leichten, gelbfruchtigen Duftmischung. Am Gaumen spielt es sich dann allerdings ab. Ohne zu lange Zähne auf das Produkt zu machen (Importüberlegungen nach Deutschland laufen angeblich): Rund und mit leicht medizinalen Tönen, aus denen sich Schwarztee schält, beginnt der Gooderham & Worts. Es ist allerdings Tee mit Zitrone, denn auch Zitrusfrüchte mischen aromatisch mit. Dazu gesellt sich viel (Roggen-)Würze. Wer darauf steht, kann sogar Umami entdecken, es kommt in Form von Steinpilzen auf die Zunge.
Der Roggen-Anteil, dem sich diese „spicy“-Komponente verdankt, wird am Ende von einer fast spritzigen Orangen-Note abgelöst, die eine wahre Werbetafel für Blended Whiskys darstellt. Wenn der Preis auch beim geplanten EU-Import hält (in Kanada sind umgerechnet Euro 34/Flasche fällig), dürfte hier mancher einen neuen Kanada-Favoriten finden. Und das gänzlich ohne Cola dazu!
Bezugsquelle:
Pike Creek „10 years“ ist um EUR 25,90 (0,7 Liter-Flasche) erhältlich, der Roggenwhisky „Lot 40“ um EUR 33,50, beide bei Whiskyzone, www.whiskyzone.de