Mit einem starken Kontrast geht die Toskana-Reise weiter – auf die Wein-Erlebniswelt Antinori nel Chianti Classico folgt ein weitaus intimerer Rahmen. Genau gesagt: ein Privatissimum. Denn so bekannt die Weine der Tenuta Tiganello sind, das Weingut selbst ist nicht zu besuchen. Zum Glück öffnen sich aber die Tore zum ehemaligen Landsitz der Marchesi Antinori im Val di Pesa. Es ist eine gute Zeit für den Besuch, denn rechts von der Villa werden gerade Trauben übernommen. Woher sie kommen, sieht man unmittelbar von der Waage aus. Wie ein Seestern neigt sich der Weinberg Tiganello nach fünf Seiten. Sein nicht minder berühmtes Pendant, der „Solaia“ wird nur von einem Güterweg abgetrennt. Ähnlich nahe kommen sich die beiden Kultweine dann im Keller.
„Solaia“ wurde 1978 erstmals geerntet, er ist der jüngere der beiden Weine und bekam einen eigenen Keller, als sich auch mit dem Cabernet-lastigen SuperTuscan der Erfolg einstellte. So liest man auf dem moderneren Zubau heute „Solaia“, auch wenn ein Gewölbe weiter der „Tiganello“ reift. Wie lange, ist dabei ein Frage des Jahrgangs. „In der Regel sind es 18 Monate, aber wir hatten auch schon 16 oder 20, wenn der Wein es verlangte“.
Die Auswahl der drei Weine, die hier entstehen, stammt aus einem Jahrgang, der gemeinhin als der beste der jüngeren toskanischen Weinbau-Geschichte gilt. 2021 war eine der „langen“ Vegetationsperioden. Keine von der Sonne früh vollendete und keine wegen Regen (zu) früh geerntete. „Erst am 21. Oktober war die Lese beendet“. Traditionell mit Cabernet. Auch wenn der in unserem ersten Schluck nur die Nebenrolle spielt. Klein nur steht „Tenuta Tignanello“ am Etikett des ersten Weines: Seit 2011 wird die Riserva „Marchese Antinori“ erzeugt, mittlerweile auch sie nur aus den 130 Hektar Rebfläche des Weinguts. Anfangs war es eine Selektion der gesamten Toskana.
Mit 90% Sangiovese fällt der Rotwein in die Regelung für einen Chianti Classico – und das merkt man auch. Zugleich pfeffrig-würzig und blumig-geschmeidig fällt der Duft des 2021ers aus. Wie gewürzter Hibiskus duftet es aus dem Glas. Kakaopulver verrät die Fass-Reifung (es waren 12 Monate), macht im Duft aber Platz für die typische Kirsch-Note des Sangiovese. Man mag den „Marchese Antinori“ unterschätzen angesichts seiner berühmteren Kollegen, aber dieser Wein performt in jeder Hinsicht.
Der Trinkfluss speist sich aus einer milden, aber durchgängigen Säure, die zusammen mit der jugendlichen Frucht an Sauerkirsche erinnert. Der Gerbstoff bleibt ebenso ein sanfter Zeitgenossen, während etwas Vanille für einen zugänglichen Schmelz sorgt, der im Finale in eine weitere Würzenote – schwarzen Pfeffer nämlich – übergeht. Aktuell sollte man diese Riserva karaffieren. Zuwarten ist natürlich besser. In jedem Fall ist dieser Wein ein Preis-Leistung-Tipp für alle Freunde geschmeidiger Rotweine.
Sein größtes Problem vor Ort im Val di Pesa war aber das zweite Glas. Denn der „Tiganello“ befindet sich trotz seiner Jugend in einer großartigen Form. Das zeigt die vielschichtige Art an, mit der er sich der Nase präsentiert. Ein ausgeprägt dunkler Fruchtmix, der an Waldbeeren und feuchtes Moss denken lässt, ist Minuten später einer roten, frischen Beeren-Anmutung gewichen. Preiselbeeren und fast schon erdbeerige Töne sind das Ergebnis einer olfaktorischen Verwandlung. Dass nun auch Thymian und später wieder Brombeeren zu riechen sind, zeigt den komplexen Charakter dieses nicht ohne Grund gepriesenen Jahrgangs.
„Süße Tannine“ als ideale Vorstellung
Der „Tiganello“ bleibt auch kein Nasen-Wein. Schon beim ersten Schluck breitet sich druckvoll ein aus Schwarzbeeren gestampfter Teppich aus. Heidelbeeren und ein wenig Holunder könnten auch schwer am Gaumen lasten, doch hier ist das Tannin-Management (später beim „Solaia“ mehr dazu!) perfekt gewesen. Der geschliffene Gerbstoff lässt eine Fruchtigkeit und Dichte über die Zunge, die an einen Waldbeeren-Smoothie erinnert: Man nimmt die einzelnen Fruchtstücke, inklusive würziger Kerne, wahr. Und doch genießt man sie als Ganzes. Die hohe Eleganz zeigt sich in einem kurzen Cabernet-Moment, in dem die 20% (5% sind Cabernet Franc, 15% Sauvignon) verführerisch vorlugen. Doch die Cassis ist nur geduldet, der Sangiovese hat die Führung über. Und er legt sie als sanfter Regent an. Wie zuletzt schon der Jahrgang 2020 des SuperTuscans (hier für Sie beschrieben) hat man sich bewusst für frühe Antrinkbarkeit entschieden. Dennoch soll dieser „Tiganello“ auch weiter als Sammlerobjekt reifen können. Es wird eine Herausforderung, für alle, die sich diesen Jahrgang sichern. Zu verführerisch ist der 2021er ausgefallen.
Das zeigt auch der Vergleich mit dem zweiten Kultwein auf unserer Verkost-Unterlage. Der „Solaia“ 2021 stellt dabei sogar noch eine Vorpremiere dar; er wird im Oktober auf den Markt gebracht, traditionell um Monate nach dem „Tiganello“. Die Halbflasche, aus der er eingeschenkt wird, gibt es nicht im Handel, sie wird nur am Weingut für Verkostungen dieses raren Wein verwendet. Der im aktuellen Jahrgang aus 75% Cabernet Sauvignon, 7% Cabernet Franc und 18% Sangiovese besteht. Letzterer war zumeist mit 20% im Blend präsent, doch aktuell steigt der Anteil des Frische-Garanten „CF“. Tintendunkel und mit einer sehr offenen Frucht-Nase, die anfangs an Madeira erinnert, präsentiert sich der 2021er „Solaia“ in der ersten Begegnung. Die ganz andere Seite zeigt der Eindruck am Gaumen. Er ist zuvorderst ein taktiler: Seidig sind hier die Tannine, nichts Harsches hat die Cuvée trotz ihres in Summe 82%-igen „Cab“-Gewichts. Es ist der Moment, in dem man im Keller Giacomo Tachis zitiert.
Der eminente Önologe war an beiden SuperTuscans beteiligt und sprach immer davon, dass sich der Cabernet im Chianti „toskanifiziere“. Gänzlich anders als erwartet ist dieser Wein. Lebendig, elegant und „vertikal“ in seiner Struktur, wie man bei den Antinoris gerne sagt. Rosa Pfeffer, ein wenig Blutwurst bzw. Saft roher Steaks trägt zu einem als kühl empfundenen Gesamteindruck bei. Dieser „Solaia“ hat einen Nerv und eine erstaunliche Zugänglichkeit. Letztere hat allerdings ihren Preis. Denn die Gerbstoff-Seite ist in der Tat ein Parameter, den man in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit schenkt. „20% mehr Trauben müssen verwendet werden“, fällt ein entscheidender Satz nebenbei, um die gleiche Intensität wie früher zu erzielen.
Im Falle des „Tiganello“ gibt es aber gute Nachrichten. Ausgerechnet 2024, dem Jahr des 50. Jubiläums des Kultweins, konnte man den Weinberg wieder abrunden. Zwei Besitzer hatten sich von ihren Teilstücken getrennt – die neue Anlage wurde von den Antinoris in Terrassenform bepflanzt (auf unserem Photo links deutlich zu sehen). 12 Hektar mehr stehen damit für die Produktion bereit. Allerdings erwartet man die erste Ernte erst in drei Jahren. Doch bis dahin gibt es genug Gereiftes aus dem Keller in San Casciano, den kaum jemand gesehen hat.
Bezugsquelle:
Tenuta Tiganello, „Marchese Antinori“ (=Chianti Classico DOCG Riserva) 2021 ist um EUR 40,50 erhältlich, der „Tiganello“ 2021 kostet aktuell EUR 149,-, beide beim Versandhandel Vinorama, www.vinorama.at
https://trinkprotokoll.at/antinori-in-austria-60-jahr-feier-mit-tiganello-und-late-release/