„Der erste Tag zum Draußensitzen wär‘ schon“. So beginnen in der Regel die Aufforderungen Freund B.‘s zur Heurigen-Tour. In unregelmäßigen Abständen geht es zu den „local dealers“ in Sachen Spitzenwein – für Bewohner der Thermenregion eine Disziplin, in der man von Kindesbeinen an sozialisiert wird. Aber heuer: Schnecken, Herr Lehrer! So hätte es der Großvater selig zusammengefasst, was der Schutz vor Corona alles verunmöglicht. Also auch kein Besuch beim Frühlingsfest Weinstieg, mit dem die Saison immer so entspannt in Gumpoldskirchen begann.
Doch die Genuss-Handwerker hätten ihren Beruf verfehlt, wenn sie nicht den (Wein)Berg zum Propheten bringen würden. Ergo schnürte der Weinbauverein Gumpoldskirchen unterm neuen Obmann Robert Grill ein Paket mit den Weinen, die den Ort national berühmt gemacht haben. Denn der „Gumpoldskirchner“, den man nur von Herzen gern haben kann, wenn man eine Reblaus Hans Moser’schen Formates ist, bestand aus Zierfandler und Rotgipfler. Dass auch „Spätrot“ ein Synonym des im Weingarten nicht ganz unproblematischen Zierfandlers ist, macht die Sache heute ein bisserl vertrackt, wenn man die Südbahn-Weine nicht kennt. Denn beide semantisch „Rote“ sind aromatische Weiße.
Wie sehr das auf den Zierfandler zutrifft, zeigt mit Hannes Hofer der Youngster unter den Winzern von Gumpoldskirchen. Kennengelernt haben wir uns über einen knapp 16% starken Wein, den er in seiner Versuch-und-Irrtum-Phase gekeltert hat. „Not for the faint-hearted“, würde der Brite sagen. Und bei Hofers Heurigen-Terminen gab es in der Folge immer Unkonventionelles zu kosten. Allerdings kristallisierte sich neben dem Bratlfettn-Brot eine zweite Konstante heraus: Der „Stocknarrn“. Ja, wir haben ihn zuerst wegen des Namens bestellt. Leider heißt die Riede nicht „Stocktrotteln“, dann wäre die Kundschaft für diesen Zierfandlers tendenziell unbegrenzt. So schätzen aber Freunde kräftiger Wein und lokaler Spezialitäten diesen Wein aus der Wind-verwöhnten Südlage. So werden die Trauben reif, aber nicht zu üppig.
Sei kein Stocktrottel; trink lieber Stocknarrn 2018!
Der „Spätrot“ hatte ja den kantigen Part über. Das war sein Atout in der Cuvée „Gumpoldskirchner“. Wollte man so einen Spätrot-Rotgipfler aus anderen Sorten nachbauen, wäre er vermutlich aus Riesling und Chardonnay zusammengesetzt. Findet man praktisch nie zusammen, diese beiden – aber Zierfandler und Rotgipfler ergänzen sich eben. Das Kantige muss ins Breite, könnte man einen Fußballer-Spruch abwandeln. Doch ehe es noch darauf hinausläuft, dass uns die Bundesliga fehlt – zurück zu Hannes Hofer! Zurück zum Wein!
Zitronen-Creme lässt sich bei aller Wucht (14,5% Alkohol sind halt was) wahrnehmen. Die Tropenfrucht ist da, aber verhalten, vielmehr lässt der 2018er „Stocknarrn“ an die ungewöhnliche Kombination säuerlicher Röstaromen denken. Sie sind so selten wie die Sorte selbst. Aber Safranfäden bringen sie mitunter mit. Und die hat er auch im Duft, dazu eine erdige Würz-Note, die zwischen Enzian und Kurkuma liegt. Der Kostschluck ist kompakter, hier kommt das kleine Eichenfass zum Tragen, etwas Vanille begleitet einen schmelzig-fruchtigen Mix aus Honigmelonen, Nektarine und Orangen.
Einmal mehr empfiehlt jeder Schluck die Sorte Zierfandler zur Asia-Küche. Pikante Noten schluckt die Frucht, Würze wie Ingwer oder Kardamom, erst recht Currypulver, akzentuiert der „Stocknarrn“. Falls sich ein deutsch-sprechender Chef eines „Indian Restaurants“ auf diese Seite verirren sollte: Zum „Butter Chicken“ wird kaum etwas besser passen. Es muss ja nicht immer Bratlfettn sein!
Ebenfalls mit einem Heurigen der unpeinlichen Art ist Christian Schabl zugange. Die Präzisierung ist wichtig. Denn Gumpoldskirchen leidet immer noch unter dem Ruf eines Folklore-Dorfs der Quetschnspieler für Bustouristen. Die Fehler der Vergangenheit waren Anno 1985 zwar keine Fehler. Man hat nur lange gebraucht, um ein zeitgemäßes Tourismus-Narrativ für die Millennials (sagt man so?) folgen zu lassen. Denn die trinken weniger als ihre Omas und Opas, bessere Qualitäten und stoppeln den iPod auch beim Heurigen nicht aus. Schwere Zeiten für Schokostangerl-Verkäuferinnen und Zigeunerweisen-Fiedler! Aber dafür gibt es ja den Weinstieg und Heurigen wie Hofer und Grill, den Vorreiter Spätrot nicht zu vergessen. Die wissen, wie es geht.
Weg mit der Sambakrone, her mit der Süffigkeit!
Der 42-Jährige Schabl, Spitzname: Che, hat für unseren virtuellen Heurigenbesuch den Rotgipfler beigesteuert. Der „Schwaben“, ebenfalls ein 2018er, hat für ihn „seit Jahren eine sortentypische Nase“. Für uns bedeutet das stets Mango-Chutney. Was nichts Ehrenrühriges ist, sondern die süß-saure Art dieses Weines charakterisiert, ehe man ihn gekostet hat. Wobei „süß“ hier „tropenfruchtig“ meint. Weil der Rotgipfler als Sorte ab einer gewissen Reife auf den karibischen Autopilot stellt und die Tropenfrüchte Duftwolken-weise abgibt, braucht er aber einen Gegenspieler. Sonst wird es breit. Wuchtig. Historienschinken-artig. Ein trinkbares „Quo vadis“, das zwar Monumentales erzählt, bei dem man aber das Ende schon kennt. Zur erfrischenden Novelle wird der Rotgipfler, wenn er prickelnde Elemente enthält.
Nicht im Sinne von Kohlensäure, sondern so, wie es der 2018er „Schwaben“ anlegt. Auch er ist ein Fall für das Burgunderglas und das allein zeigt die Kraft und das langsame Preisgeben der Nuancen, um die es geht: Papaya, Pink Grapefruit-Zeste, reife Mandarinen und eine leicht pfeffrige Note stehen zu Buche. Und das alles bei einem Wein, der keine zehn Euro kostet. Und noch lange nicht am Höhepunkt ist. Dass der „Schwaben“ heute so dasteht, hat sicher auch mit den acht Monaten Flaschenreife zu tun. So konnte sich die primäre Frucht abschleifen. Immer wenn jetzt die Mango ihre Samba-Krone aus Obst feist schwenken will, fällt ihr die Säure in den Arm. Wer braucht auch eine Samba-Krone beim Heurigen?
Was wir brauchen, sind Weine, die aromatisch nicht einknicken, wenn das Glas mal eine Runde Liebeskummer-Trost-Gespräch lang ruht. Oder wegen Ex-Kollegen-Gossips, akut zu erzählender Anekdoten oder dramaturgischer Verbesserungsvorschläge zum Stück „Welt“. Wären wir jetzt beim „Che“ im Heurigen, würden wir ihm also sagen: „Das ist Dein bisher bester „Schwaben““. So schreiben wir es eben hier. Bis bald, in Gump!
P.S.: Und schaut bitte, dass dann genug Bratlfettn da ist.
Bezugsquelle:
Hannes Hofer, Zierfandler „Stocknarrn“ 2018 kostet EUR 15,40 im Webshop des Weinguts, https://www.weingut-hofer.at/
Christian Schabl, Rotgipfler „Schwaben“ 2018 ist um EUR 8,50 im Webshop des Weinguts erhältlich, http://www.schabl.me/