Slurp! Dieser Kostschluck kostet. Ungefähr 55 Euro wären für den Rum fällig, der hier im Park Hyatt Wien analysiert wird. Jamaican Independence klingt zwar nach Ganja-Schwaden, Gewehrsalven und Marcus Garvey-Postern, doch auch einer der rarsten Rums der Welt trägt diesen Namen. „Ich habe ihn von meinem Vorgänger übernommen“, schildert Joy Spence ehrfürchtig, wie sie die 26 Fässer in Empfang nahm, die 1962 mit Appleton Estate befüllt wurden. Der verdunstete Anteil beträgt in der Karibik 6% pro Jahr; der summierte „Angels‘ share“ ließ also am Ende – gefüllt wurde anläßlich der 50-jährigen Unabhängigkeit 2012 – nur mehr 13 Fässer übrig, die gerade 800 Flaschen ergaben.
55 Euro-Schluck vom 50-jährigen Rum
Vielschichtig steht bald einmal in Tasting notes, in diesem Fall ist es eher untertrieben: getrocknete Marille, Butterkeks, eine deutliche Holznote (die fast an Xyladekor erinnert), dazu Bienenwachs und getrocknete Orangenschale. Am überraschendsten war aber der leichte Lychee-Geruch, den man vom Rhum agricole der (ehemals) französischen Antillen kennt. Im Alter kehrt also auch der Zuckerrohr-Charakter wieder. Am Gaumen ändert sich der Eindruck dramatisch, mit geschlossenen Augen könnte es auch ein Islay-Whisky sein, den man gerade genießt. Jod, Algen, Salzigkeit, alles ist da, wie man es vom Single Malt kennt. Dazu kommt eine satte Kaffee-Note und eine leichte Bitterkeit, die an Zichorie und herbe Schokolade erinnert. Und dazu bleibt er noch ewig lang haften mit seiner ungewöhnlichen, auf reine Aromenvielfalt reduzierten Art.
Dass nicht jeder die mindestens 4.000 Euro für die edel in einer schwarzen Box ruhende Flasche auslegen will, ist klar. Die 2 cl schlügen schließlich mit mehr als 110 Euro zu Buche – doch Appleton Estate macht ja nicht nur Raritäten. Schließlich ist man in Kingston schon seit 1749 im Rum-Geschäft und weiß, welche unterschiedlichen Geschmäcker man mit den Reifestadien bedient. Denn die drei verkosteten Varianten neben dem „outstanding“ 50-jährigen Appleton unterscheiden sich deutlich. Die aromatische Klammer, „die Orangen-Note als Markenzeichen“, wie es Master Blenderin Spence nennt, gibt es aber ebenfalls. Schuld sei das Wasser, ein sehr weiches hier im Nassau Valley, vor allem aber die spezielle Aromatik des Zuckerrohrs.
Der jamaikanische Karst
Diese – und jetzt staunen wir – verdankt sich einer vulkanisch-kalkigen Verwerfung, die tatsächlich Karst heißt wie in Istrien. Selbst Polje sagen die Jamaikaner zu den langgestreckten Ebenen, in denen das Zuckerrohr für die Rumproduktion ein gutes Jahr heranwächst. Verwendet wird die Molasse, dazu kommt eine hauseigene Hefe, die die Vergärung einleitet. Kupferne Potstills und die Lagerung in amerikanischer Weißeiche sind die weiteren Behältnisse, ehe der Rum dann von den Blendern verschnitten wird. 240.000 Fässer hat Joy Spence zur Auswahl, das Alter am Label (etwa: 12 Jahre) ist immer ein „minimum age statement“ im Gegensatz zum in Südamerika gern verwendeten „average age statement“: Es ist also der jüngste Bestandteil eines Blends, der am Etikett angeführt wird.
Jüngster in der Range war der „V/X“, der eben zwischen 5 und 10 Jahren gereifte Rums beinhaltet, 15 verschiedene sind es, wie Spence uns verrät. Die erste Nase erinnert an Zwetschkenbrand, dann setzen sich Toffee und Schokolade durch. Am Gaumen kommen die Rum-Aromen schnell zur Sache: Vanille, braune Banane, Schokolade, dazu Toffee und gegen Ende eine röstig-würzige Art, die am Haselnuss und Bitterschokolade erinnert.
Zwei Gesichter: Appleton 12 yrs.
Während der als Mix-Spirituose favorisierte V/X noch etwas kurz wirkte, zeigt sich der 12-jährige vor allem im Finish wild und lang anhaltend. Davor schmeichelt er sich über den Duft ein: zarte Kirsch-Noten, dazu eine satte Portion Kokosnuss und Earl Grey-Tee (die erwähnte Orangen-Note des Appleton-Hausstils). Mit etwas Luft dominiert dann die anfangs verhaltene Vanille. Am Gaumen hingegen folgt auf das milde und süße Aromen-Paar des Anfangs, also Butterkeks und Orange, eine unerwartete Schärfe. Man könnte sie für Alkohol halten, doch mit 43% ist das nicht zu halten. Zumal genaues Verkosten (nebenan wurde leider wieder gespuckt, was bei Spirituosenproben noch unverzeihlicher – weil wahrnehmungs-verkürzend und aromen-amputierend – ist als bei Weinen) ergibt, es ist die Würze. Vor lauter Pfeffer, Kardamom, Zimt und Co. brennt er fast nach. Es ist aber auch Länge, die sich auf diese Weise einstellt und dem vermeintlichen Schmeichler ein zweites Gesicht verleiht. Auch so kann Rum schmecken.
Zur Freude gereift: 21 yrs.
Der Liebling der meisten Anwesenden war der 21-jährige Appleton. Er zeigte die besagte Orangennote am deutlichsten; wie nach frischen Mandarinenschalen duftet es aus dem Glas, dazu kommt eine Kokos-Milchschoko-Mischung (Marke: Bounty), Kaffee auch Pekan-Nuss. Weich und fast viskos schmiegt sich dieser Jamaikaner an den Gaumen, mal läßt er einen Stoß Vanille frei, dann schwebt Orange über den Gaumen oder Kokos macht sich bemerkbar. Auch er ist – vielen Vorurteilen gegen reifen Rum zum Trotz – keineswegs eindimensional süß, nein, er ist gar nicht süß, im Gegenteil, auch hier gibt’s im Finale eine Zugabe. Denn dann dreht auch der 21 years in Richtung Würze ab und läßt vor allem zarte Muskattöne zurück.
Nach dieser Probe sollte man glatt die Hymne Jamaikas anstimmen, die im schönen und simplen Refrain gipfelt: „Jamaica, land we love“.
Bezugsquelle:
Appleton Estate, „V/X“ ist um EUR 14,99, der 12-jährige „Extra“ um EUR 18,99 und der 21-jährige Rum um EUR 79,90 bei Killis Getränke erhältlich, www.killis.at
Den 50-jährigen „Jamaican Independence Reserve“ gibt es auf Anfrage um EUR 5.300 bei www.killis.at, glasweise führt ihn das „Park Hyatt Wien“ in der Zigarrenlounge.