Völlig ungefährlich ist die Online-Verkostung. Aber sie war in Corona-Zeiten ähnlich rasch in der Ausbreitung wie der Virus (vielleicht, weil es auch um Tröpfchen geht, gute allerdings!). Und manchmal ist der Erkenntnisgewinn für die tasten-klopfenden Schwarmintelligenz doch beträchtlich. Wenn sich nämlich ein Brauer wie Karel Boon über zwei Stunden Zeit nimmt, um seine belgischen Bier-Spezialitäten zu erläutern. Zu sagen gibt es zu den spontan vergorenen Geuze, Lambic und Kriek nämlich genug, die aus der 1975 gegründeten Brauerei stammen. Etwa, dass sein Vater in einer Zeit mit diesen Bierstilen begann, „als das nur mehr etwas für alte Leute oder die Region um die Brauerei war“.
Bei den Geschichten rund um die Sauer- und Fruchtbier muss man mijnheer Boon dann fast drängen, dass er für das Bildschirm-Publikum die erste seiner sechs Abfüllungen auch öffnet. Das tut Markus Betz als Gastgeber seitens BeerLovers aber als versierter Moderator des E-Tastings recht charmant. Für Stammleser des Trinkprotokolls löst Karel Boon in Flämisch-Brabant damit auch gleich das Kirsch-Paradox. Denn über die – hier nachzulesende – Problematik, dass ausgerechnet die berühmten Fruchtbiere aus dem Senne-Tal immer seltener aus belgischen Kirschen entstehen, spricht er ebenfalls zwischen zwei Schlucken vom „Boon Kriek“: „Wir brauchen 300 Tonnen Kirschen im Jahr“, rechnet der Brauer aus Lembeek vor, „und wir sind mit 20.000 Hektolitern im Jahr ein mittelgroßer Betrieb“. Die berühmten heimischen Schaarbeekser, „der Pinot Noir unten den Kirschen (© Karel Boon), ergeben mit 20 Tonnen gerade einmal einen Sud des speziellen „Kriek“. Aromatisch allerdings schlägt er die Normalabfüllung – das „Kriek Lambic“ – deutlich.
Während das leichte, mit 4% Alkohol gefüllte Bier, einer der Boon-Topseller, mit seinem dunkel-roten Schimmer Kirsche pur im Duft mitbringt, ist das „Oude Schaarbeekse Kriek“ noch um einiges komplexer. 400 Gramm Kirschen pro Liter werden mit einem Mix aus jungen und bis zu drei Jahre gelagertem Sauerbier in Eichenfässern fermentiert. Das naturtrübe Fruchtbier (6% vol.) riecht sauer wie eine Orangenbrause im Strandbad von 1980, dazu kommen unreife Marillen und eine leichte Senfsaat-Note. Der bemerkenswert lange Nachgeschmack, der nicht nur säurig, sondern auch prickelnd ausfällt, verlängert das markante Kirscharoma würzig-elegant.
Viel süßer fällt das „Kriek“ aus, das mit eine wenig Marzipan im Duft aufzeigt. Der Gaumen gehört der Kirsche, der Nachtrunk ist nur zart sauer und hat für ungeübte Trinker dieser belgischen Spezialität immer etwas von Fruchtsaft an sich. Gesteigert wird das vom „alten“, also mit gelagertem Sauerbier bereiteten „Oude Kriek“, einer weiteren Variante aus der flämischen Brauerei. Sie kommt ohne Zuckerzusatz aus und hier ist es reife Weichsel, die zusammen mit den würzigen Note von heller Sojasauce aus dem Glas steigt. Pure Weichsel-Noten, mit pikant-saurem Finish, das ein wenig an Mixed-Pickles-Sud gemahnt, stehen auch in der Kost-Notiz zu Buche. Zu pikanter zubereiteten Schweins-Bärlauch-Dim Sum stellen wir es uns gerade als Begleiter vor, als ein weiterer Online-Mittrinker seine Erfahrungen mit dem griechischen Spinatkuchen postet. Ja, als Speisebegleitung können die Boons in jedem Falle was.
Quitten-Joghurt im Sesam-Rauch: „Mariage Parfait“ 2016
Für die Terrasse, um deren Getränke es in unserer Mini-Serie geht, hingegen hat das „Basis-Bier“, die Geuze mit dem sprechenden Namen „Mariage Parfait“, von uns die höchsten Weihen. Dunkles Bernstein und schön hoher Schaum im Glas (bei den Fruchtbieren eher selten der Fall) leiten ein Bier ein, das Karel Boon mit „eine Rauchigkeit wie manche Whiskys“ beschreibt. Uns erinnert dieser helle Smoke-Ton immer an gerösteten Sesam, aber er ist unleugbar da. Zusammen mit einem an Quittenkäse erinnernden, säuerlich geprägten Duft, der auch in Richtung Yoghurt weist – immerhin haben wir es mit einem Sauerbier zu tun. Entsprechend wird auch nur „zwei Jahre alter Hopfen verwendet, denn wir wollen keine Zitrustöne oder andere zu frische Noten, die mit dem Bier interagieren“. Das Ergebnis bringt einen süffigen Zug voller zitrusfruchtiger Noten mit, den man an heißen Tagen schätzt wie kaum etwas.
Wir sagen einfach: Wer Radler trinkt, wo es diese Geuze gibt, ist selber schuld! Mandarinen-Schale, präziser noch Yuzu, Sesam und ein ganz, ganz zartes Malz-Tönchen sind zu schmecken. Und wer die aromatische Kurzfassung „Quitten-Joghurt mit Sesam-Rauch“ schräg findet, wird sich nicht wundern, dass das „Mariage Parfait“ auch untern den Biertrinkern polarisiert. Sommers aber ist es unschlagbar. Aber nur dann, wenn es nicht am Bildschirm, sondern „in echt“ getrunken wird. Proost, Karel!
Bezugsquelle:
Brouwerij Boon, das Kirschbier „Boon Kriek“ kostet EUR 5,30, das „Oude Schaarbeekse Kriek“ EUR 6,70, das „Oude Kriek“ ist um EUR 7,- zu haben und die Geuze „Mariage Parfait“ um EUR 5,30 – alle in der 0,375 Liter-Flasche und bei BeerLovers im Online-Store, www.beerlovers.at