Wer hätte zur Lachs-Ceviche einen Muskattrauben-Brand eingeschenkt? Wohl niemand. Es ist die erste Überraschung eines Abends, der lange dauert, rare Destillate vorstellt und dabei angenehm in die Tiefe geht. Ort des Geschehens ist das „Kabinett“, ein verborgener Raum im ersten Stock des Delikatessen-Imperiums Dallmayr in München. Die Protagonisten Annia Rainer-Rochelt und ihren Mann Alexander kennt man kaum, auch wenn man schon lange in der Edelbrand-Szene aktiv ist. Ihre Marke allerdings kennen auch Abstinenzler. Nicht selten werden Gastronomen angebettelt, doch die leere grüne Zangenflasche aufzuheben – oder nutzen sie selbst als Wasserkaraffe oder ähnliches. Die Flasche gehört zum Mythos Rochelt dazu. Wie eine klare Produktphilosophie, die einen Liter „Schnaps“ auf 800 Euro und mehr treibt, ist diese Verpackung ein Erbe Günter Rochelts.
Lange würdigen Tochter Annia und Schwiegersohn daher auch den Mann, der sich im Tiroler Fritzens weigerte, Fallobst und „Restln“ einzumaischen, wie es bei den Bauern üblich war. Das gute Obst musste schließlich verkauft werden. Günter Rochelt war aber Koch und wollte sich nicht mit zweitrangigen Zutaten abfinden. „Kein Koch redet viel über seine Pfanne oder Töpfe“, bringt Alexander Rainer einen Vergleich der einleuchtet, als es zu viel um die Brennblasen, ihre Form und Größe geht. Die Frucht war und ist bei Rochelt alles. Für sie werden Top-Preise bezahlt und teilweise auch von Bauern gekauft, die nur zwei Bäume haben. Für die „Wachauer Marille“ etwa, einen Klassiker des Sortiments, hat man 150 mögliche Lieferanten in der ganzen Wachau, um das Frostrisiko zu streuen. Die Ernte kann zwischen drei und 100 Tonnen betragen, liegt man beim Anspruch auf das beste Ausgangsmaterial völlig in der Hand der Natur.
Zumal Alexander Rainer als Rochelts Nachfolger am Brennhafen auch seine Art der langen Reifung der Destillate übernommen hat. Als Koch wollte Rochelt seine Brände nicht einfach herunterverdünnen. Stattdessen reifen sie in Glasballons und verlieren natürlich an Alkohol (startend von den 65-72% des Feinbrands). Es waren also die Jahrgänge 2016 oder 2017 die je nach Frucht eingeschenkt wurden beim Dallmayr. Auch dass man das Jahr wie beim Wein angibt, zeigt die Herangehensweise über die Frucht. Wann geerntet wurde, nicht der Tag der Destillation oder der Abfüllung, entscheidet über die Güte am meisten.
Wichtig ist gutes und vor allem wenig Wasser.
Alexander Rainer über 50% vol (und mehr) bei Rochelt
Wenn diese aber passt, gibt es auch Neues aus Fritzens. Etwa die „Wildpflaume“, die es seit 2012 gibt. Ins Glas kommt Jahrgang 2015 dieser nur Oliven-großen Sorte aus dem Piemont. Und diese Art einer gebrannten Zwetschke stand an diesem Abend über der Williamsbirne und der Wachauer Marille, wenn es um die drei Klassiker im Alpenraum geht. Wie Powidl mit etwas Schärfe wirkt dieser Brand, wie die meisten mit 50% vol gefüllt. Dazu kommt ein Holunder-herber Gerbstoff, vor allem aber ein dezenter Rum-Duft, in dem auch ein wenig Marzipan-Geruch mitschwingt. Diese attraktiven Eindrücke werden im Mund von einer argen Saftigkeit wieder aufgenommen. Weich und zugänglich ist dieser Brand, der Fruchtausdruck ist fein und doch persistent, der Druck, den der Alkohol mitbringt, passt hier vielleicht am besten von den verkosteten Fruchtdestillaten. Man merkt förmlich, dass auch wegen ihm die fruchtigen Akkorde so fein dahinströmnen.
Noch ausgeprägtere Frucht, wenn auch etwas enger geführt in ihrem Spektrum, bietet da nur die Waldhimbeere. 60 Kilo der wild gesammelten Beeren stehen hinter einem Liter, ein Aufwand, der den Preis ebenso erklärt wie der Schwund während der Reife am Dachboden in Fritzens. Wie in Schottland geht es um jährliche Verdunstung von gut zwei Prozent, ein „angels‘ share“, der offenbar gewaltig duften muss. Denn die „Waldhimbeere“ im Glas fällt dunkel und tiefgründig aus. Mitunter denkt man fast schon an Brombeere, wenn man diesen Duft genießt. Nichts ist hier kitschig oder lieb, wie man es aus vielen Himbeer-Geisten kennt. Dafür kommt am Gaumen eine zitrische Frische ins Destillat, bei der man schon vermeint, rosa Grapefruit zu spüren. Aber es ist die in Rot getauchte Säure der Beere, die entgegen aller Physik doch durch das Geistrohr in die Flasche entkommen konnte. Ganz fein ist diese Himbeere und doch breit und fast blumig (wenn man getrockneten Hibiskus kennt).
Letzteres merkt man, wenn man das Rehragout aus der Dallmayr-Küche dazu kostet. Das perfekt – lange und mit Wurzelgemüse – geschmorte Wild hat keine Chance gegen einen halben Zentiliter der Himbeere. Wie ein breiter Film aus Frucht legt sich der Rochelt-Brand über die keineswegs schüchternen Aromen des Ragouts. Die Alternative dazu wäre der „Inntaler“, eine der Variante, wie man bei Rochelt den Obstler neu denkt. Drei dieser Cuvées aus einzeln gemaischten und gebrannten Früchten gibt es. In diesem Falle sind Quitte und Williamsbirne die Partner der Himbeere. Die weichere Fruchtigkeit der Birne schmeichelt dem Wild, die Quitte gibt ein Art Umami-Note dazu, ihren Gerbstoff „schluckt“ die Himbeere. Sie hat den duftigen Ausklang dieses Destillats über. „Der Inntaler“ riecht zwar gelbfruchtig und sehr lebendig, wobei die Birne hier die Oberhoheit hat. Am Ende führt ihn aber die Himbeere mit einer feinen Klinge ins Rückaroma. Dieses Pairing machte deutlich mehr Freude. Auch wenn als Solist im Glas die Himbeere kaum zu schlagen ist.
Doch es sollte ja noch der Brand kommen, mit dem in Fritzens alles begonnen hatte. Wild gesammelte Vogelbeeren begründeten den privaten Schnaps von Günter und Dietmar Rochelt. Es brauchte viel Überredungskunst, bis der 50-Jährige dann 1990 zum Gründe wurde. Mit einem „Start up“, das hochprozentige Geschichte schrieb. Anfangs als Teil der „Quinta Essentia“-Gruppe mit Pfau, Gölles, Reisetbauer und Holzapfel. Dann als ein ikonischer Solist, der sich optisch, inhaltlich und preislich von allem entkoppelte, was man landläufig an Destillaten kennt. Doch bei aller Bedeutung für den Betrieb (mit gesamt 5.000 bis 8.000 Litern Jahresproduktion): Die Wildvogelbeere polarisiert. Das weiß auch Alexander Rainer. Entsprechend warnt er vor. Zumal sein Destillat auch nicht vom Stein-Ton, dem „Marzipanigen“, lebt.
Die Früchte, die aus Finnland kommen, sind eine andere Liga als jene im Alpenraum, ist man überzeugt. Und hier zeigt sich der Aufwand ein weiteres Mal. Denn die optische Sortieranlage, die per Computer-Muster und Pneumatik unterreife Früchte aussondert, kennt man eigentlich nur aus dem Weinbau und den besten Kaffee-Farmen Brasiliens. Doch auch der Lieferant des arktischen Obsts checkt so jede einzelne Vogelbeere. In der Nase zeigt sich dieser Brand auch ganz eigenständig: Erdig und fast nussig ist das Duftbild, bei dem man an blanchierte Mandeln denkt, ein wenig auch an Enzian. Das herbe Element, das auch nach mehreren Frösten die Frucht prägt, ist klar zu erkennen. Und auch das mit dem Nussduft war keine Einbildung: Im Mund ist es klar eine Andeutung von Erdnuss-Creme. Der acht Jahre gereifte „Wilde Vogelbeere“ bringt auch den schwer zu beschreibenden Geschmack von Erdmandel-Öl mit. Ein in jedem Fall extrem eigenständiges Destillat!
Wenn Alexander Rainer dann noch „von unserem komplexesten Schnaps“ spricht, wird es also interessant. Denn an sich ist „Schwarze Ribisl“, wie man die Johannesbeere in Tirol etikettiert, schon schwierig zu brennen. Doch was hier aus dem Glas steigt, ist in der Tat „flüssiges „After Eight““. Zum Glück können alle die Assoziation des Brenners nachvollziehen. Tief dunkel nach Schokolade duftet das Destillat, aber eben auch nach ätherischen Frucht-Noten und einem fast minzigem Element. Wie oft bei Rochelt-Bränden kommt ein pikantes Element hinzu, das man nicht als „grün“ mißdeuten sollte. Im Gegenteil, dieses botanische Grün (mit großem G) stellt eine Signatur der Herkunft dar. Wenn Rainer das erwähnt und man am Mix aus Cassis und Grüner Paprika riecht, dann erzählt dieser stängelige Duft tatsächlich vom Wald. Die aus der Steiermark kommenden Beeren stellen drei alten Tiroler Sorten dar, die man ins mildere Klima im Osten verpflanzt hat. Wie ein Schokofilm schliert dieses Destillat über die Zunge, die pikanten Töne des Paprika, wie sie jeder Cabernet-Fan kennt, sind dabei ein Antagonist. Und die vielschichtigen Eindrücke erhöht ein Gerbstoff, der die „hantigen“ kleinen Beeren ins Flüssige übersetzt. Extrem lebendig und doch tief befriedigend in seiner dunklen Anmutung ist diese Rarität.
Danach wartet noch das „Dessert“ aus Fritzens auf die Runde. Es kommt eigentlich aus Sizilien und findet sich auch in der Begleitung von Dallmayr wieder. Orangen kommen als Panettone der Pasticceria Fiasconaro auf den Teller, im Glas duftet dafür ein Destillat, das anfangs enttäuscht hat in Tirol. Denn das beste Fruchtfleisch ergab keinen Rochelt-würdigen Brand: „Alles was, die Orange ausmacht – Zucker, Säure und Saftigkeit – bleibt nicht im Destillat“, so Alexander Rainer. Seit man die ganzen Früchte häckselt, inklusive der ätherischen Öle der Schale, sieht die Sache aber anders aus. Schon beim ersten Schnuppern riecht die kleine Menge wie zwei Liter frisch gepresster Orangen-Saft. Alkohol scheint es keinen zu geben, was insofern irre ist, da wir den stärksten Schnaps des Abends vor uns haben: 58% vol. weist die gebrannte Orange auf.
Lediglich im Antrunk merkt man das an einer leicht „spicy“ ausfallenden Note. Dem taktilen Reiz der Zunge folgt aber eine Frische, die an Grapefruit mit Kernen erinnert. Fast spritzig wirkt der Brand kurzfristig, ehe der Blutorangen-Geschmack einsetzt, der lange am Gaumen verbleibt. Wer es wagt, wie beim Whisky selbst mit zwei Tropfen Wasser den Orangenbrand zu zähmen, wird feststellen, dass die Balance weg ist. Sanfter ist die „Orange“ aus dem Unterinntal dann. Aber eben nicht dieselbe. Es ist die letzte Erkenntnis eines richtigen Schnapsseminars in der Dienerstraße. Und mit ihr geht es in die Münchener Nacht.
Bezugsquelle:
Brennerei Rochelt, „Wildpflaume“ kostet EUR 232,- (0,35 Liter-Flasche), die „Waldhimbeere“ wird um EUR 448,- (0,35 Liter) gehandelt, während die „Wilde Vogelbeere“ um EUR 419,- (0,35 Liter) angeboten wird, die „Schwarze Ribisl“ um EUR 292,- (0,35 Liter) und die „Orange“ EUR 242,- (0,35 Liter) kostet – alle bei Dallmayr vor Ort bzw. via Webshop, www.dallmayr.com