Für die schweren Fälle hat Katharina Graner offenbar ein Faible. Mit ihrer Reputation als sympathische Bloggerin namens Fräulein Vino versuchte sie dem Sparefroh-Publikum der Arbeiter- und Schlafstadt Wr. Neustadt schrägere Weine nahezubringen. Die Vinothek Delicious hatte ihre Fans, aber keine, die auch das dauerhafte Überleben sicherten. Dem Wein blieb sie aber treu und sorgt als Wirbelwind vulgo Geschäftsführerin in einer Ecke des nö. Weinbaus für Leben, für die quasi das Lichtenberg-Zitat erfunden wurde: „Die Klassiker wollen weniger erhoben, als vielmehr getrunken sein“.
Denn kaum eine ernsthafte Studie des Weinbaus in Österreich kommt ohne den Zisterzienser-Lesehof aus, der 1141 in Thallern errichtet wurde. Bis heute kann man sich das Burgund-Flair von Clos de Vougeot holen, indem man rechtzeitig aus dem ÖBB-Fenster schaut. Oder auf ein Backhendl zu Florian Fritz fährt. Doch der Weinbaubetrieb, den das Stift Heiligenkreuz seit Jahrzehnten verpachtet hat, kann von diesem alten Ruhm nicht abbeißen. Fairer Weise muss man auch sagen, dass die Weine mit dem roten Kreuz durchaus durchwachsen ausfallen. Die berühmten Rieden Wiege und Student „performen“, wie die Generation Y sagen würde, doch der Rest hat es schwer.
Selbst in der Gebietsvinothek in Thallern, wo vor allem unglaublich alte Süßweine der Stiftsweingärten ein Highlight darstellen, haben es die „eigenen“ Weine mitunter schwer. Mittlerweile arbeiten fünf Winzer aus vier Betrieben daran, das zu ändern. Leo Aumann und Karl Alphart sind gemeinsam mit der steirischen Winzer-Familie Polz im Jahr 2011 am Freigut Thallern eingestiegen. Alpharts Part nimmt heute die nächste Generation wahr. Und neben Florian Alphart hat sich auch Alphart am Mühlbach-Winzer Lorenz Alphart 2015 einen Teil der Rieden gesichert. Für das Gumpoldskirchner Weingut Gebeshuber sind Paul und Ferdinand Gebeshuber die „Thallerner“.
Und beim Lieblingswein, der unter der neuen Ägide eingeschenkt wird, denken wir als ältere Semester an frühere Zeiten. Und das keineswegs aus idelologischen Gründen. Aber das wandelnde Gumpoldkirchen-Lexikon Günther Pozdina, der im Vorjahr verstorbene letzte Kellermeister des Deutschen Ordens, verwies in unseren Gesprächen gerne auf ein hohes Lob aus unseliger Zeit: Die Lagen des Weinorts erreichten als einige der wenigen im gesamten „Großdeutschland“ 1940 die höchste Qualitätsstufe. Mosel, Wachau, Rheingau – alles dabei. Und doch wuchs in „Gump“ herausragender Wein, so sein Mantra. Den Boden gibt es noch.
Und während wir mit dem „neuen“ Thallerner Rotgipfler aus dem Jahrgang 2019 ein wenig hadern, hat der Riesling „Ried Student“ Alte Reben plötzlich unsere volle Aufmerksamkeit. Weil dieser 2018er einen wunderbaren Duft mitbringt, der in seiner Schmirgelpapier-groben Sesam-Körnung und der rauchigen Zitrusfrucht eindeutig seine Sorte preisgibt. Lorenz Alpharts Sager hat schon was für sich: „Die Pfarrer haben schon immer gewusst, welche Lagen und Weingärten gut sind“.
Diesen Wein allerdings verantwortet Florian Alphart und er tut das mit feinem Händchen. Seine Abfüllung stellt einen wie erwähnt würzigen Sorten-Typus dar. Was bedeutet, dass er weniger über plakative Marille (die muss man suchen!), denn über die rauchige und strukturierte Seite des Rieslings funktioniert. Überraschend reif für einen 2018er kommt dieser Wein ins Glas und man darf die Güte der Anlage als den Betätiger des Würzestreuers vermuten. Denn auch Petrol schwingt leicht mit im Duft, der ansonsten kühl ist. Auch bei den tropischen Früchten hält man es mit den wenig plakativen Duo Pitahaya und Papaya.
Wer den Pfirsich unbedingt braucht, um dem Wein „ausgeprägte Steinobst-Noten“ zu attestieren, wird am Gaumen ein bisserl von dieser fruchtigen Ausprägung finden. Viel spannender ist die feine Säure, die sich im Hintergrund zu schaffen macht und dem „Student“ sein Gerüst gibt. Für die nicht unbedingt Riesling-berühmte Gegend (verzeih auf Deiner Wolke, Günther!) ist das ein großartiger Wein, der vor allem auch einen gefühlten Schmelz gegenüber den klirrenden Urgesteins-Rieslingen z. B. des Kamptals für sich hat.
Sagen wir es weniger technisch: Diesen Thallerner kann man jederzeit öffnen. Zur Bärlauch-Saison oder Kräutersuppe, wie es Kathi Graner empfiehlt, aber auch immer dann, wenn dosierte Kraft und wenig Säure gefragt ist. Lachs auf der Hauptseite gebraten, wäre eine Option. Aber auch als Solist ist diese Flasche schnell geleert. Denn auf diesen Typus können sich viel einigen, die vielleicht auch keine expliziten Riesling-Fans sind. Und das ist kein Makel, sondern ein Lob!
Bezugsquelle:
Freigut Thallern, Riesling „Ried Student“ Alte Reben 2018 kostet EUR 15,50 ab Hof bzw. im Webshop, www.freigut-thallern.at