Da muss jeder durch. Wer mit Mona Loch die Weine von Reichsgraf von Kesselstatt kosten will, muss seine Flüsse kennen. Da ist die Geschäftsführerin des in Schloss Marienlay beheimateten Weinguts hart. Schließlich arbeitet das 650 Jahre alte Unternehmen mit Trauben von der Saar, der Ruwer und der weltbekannten Mosel. Und diese Unterschiede sollte man erst einmal im jeweiligen „Ortswein“ erschmecken, ehe man sich ein Großes Gewächs oder eine Spätlese vom Scharzhofberg einschenken lässt.
Nun, im ersten Trink-Vergleich der drei Flüsse (die Ruwer wird der Einfachheit halber „upgegradet“ zum Fluss, ist aber ein breiterer Bachlauf) sticht vor allem die präzise Frucht des Rieslings von der Mosel heraus. Während den Wiltinger Ortswein 2016 von der Saar eine eher an Veltliner erinnernde Fruchtigkeit auszeichnet, wirkt der Graacher Riesling 2016 mit seiner typischen Pfirsich-Nase wie die Bilderbuchversion eines jungen Mosel-Weins. Der Gelbe Apfel im Duft wird zu einer frischen, sehr zitrusfruchtigen Note am Gaumen (man denke an Zitronenparfait beim Italiener! Das, wo sie gerne Grappa draufschütten). Der Graacher ist schön antrinkbar, sortentypisch und mit einem lebendigen Abgang, der von einer Mixtur aus frischen Kräutern gewürzt wird. Eine Sonderstellung selbst in diesem jungen Zustand nimmt die Ruwer ein – „ihr“ Ortswein, der Kaseler Riesling 2016 bringt den schönsten Duft hervor, hier mischen sich Grapefruit und Bergamotte mit einer dezenten Marille. Am Gaumen ist er ein wenig im diffus-gelbfruchtigen Bereich unterwegs. Ist das gelber Apfel? Quitte? Steinobst findet sich eher wenig, dafür belohnt er mit einem schön salzigen Finish. Das wird noch besser, sind wir überzeugt, was uns der Kaseler aber signalisiert: Ruwer-Weine sind kühler, haben Ecken und fordern. Das wollen wir!
Wie sich eine höhere Gradation auswirkt, zeigt dann der Kaseler Kehrnagel Riesling Kabinett. Seine 22,7 Gramm Restzucker machen ihn selbst bei 10 Volumsprozent zu einem Wein, den man kurz als „herrlicher Saft“ charakterisieren könnte. Nektarine, süße Ananas und rosa Grapefruit stehen zu Buche, wenn man in das Glas mit dem 2016er Ruwer-Riesling hineinriecht. Süß schon im Antrunk, wirkt er wie ein Biss in eine frische Nektarine. Zarte Säure hilft dem Trinkfluss, dieser Wein ist das, was britische Kollegen zu Recht „juicy“ nennen würden. Jetzt noch Hühnerleber-Parfait dazu – und alles ist gut.
Lang wie der Wein ist der Name der 2003er Auslese
Bei aller Liebe zur Ruwer kam der Wein des Tages dann doch von der Mosel. Sein elendslanger Name darf als Adelsprädikat gelesen werden: „Josephshöfer Riesling Auslese lange Goldkapsel 2003“. Er stammt aus der 3,8 Hektar großen Monopollage des Guts und beginnt mit einem alters- und standesgemäßen Petrol-Ton im Duft. Der verfliegt mit etwas Luft aber schnell zugunsten von Nuss-Schokolade, Kokosflocken und einer karamellisierten Ananas. Wir halten bei 93,5 Gramm Restzucker, das allerdings bei nur 8,5% Alkohol. Diese deutsche Spezialdisziplin – hoher Zucker, niedriger Alkohol und stützende Säure – lässt sich hier in Zeitlupe verfolgen. Aus den tropenfruchtigen Auftakt (Lychee vor allem) folgt kühlere, saftige Frucht, die uns an Gallia-Melone denken ließ.
Hier sind wir von jeder Pappigkeit der Süße entfernt, das gewachsener Fruchextrakt, den auch jenes Duo begleitet, das derlei Oeno-Präzisionsgeräte von Trinkmarmeladen unterscheidet: herben Noten und Frische a.k.a. Säurerest. Ein zartes Bitterl, irgendwo zwischen grüner Apfelschale (die Frucht dazu hat er ebenfalls) und Thymian, schließt den Josephshöfer 2003 ab. Wir schwärmen auch deshalb so lange davon, weil es noch Restflaschen gibt, wie Mona Loch verrät.
Abseits des geführten Tastings hatte sie auch den „Scharzhofberger Riesling Kabinett“ des Vorgänger-Jahrgangs 2015 mitgebracht. Er sollte noch präziser die Stilistik des Saar-Teils zeigen: Kühle Mango, dazu die cremig-karamellige Duftmischung der Marke „Türkischer Honig“, entsteigt dem Glas. Die Säure, die der mit knapp 28 Gramm Restzucker gefüllte Wein besitzt, kommt im Geruch auch (in Form von frisch angeschnittener Quitte) durch. Ein herrliches Spiel aus Süße und Säure, das für uns immer jene Rieslinge definiert, die uns faszinieren, beginnt in der Sekunde am Gaumen. Da ist ein kühler „Bellini“-Pfirsich, also die weißfleischige Variante der Steinfrucht. Parallel verstellt aber eine pikante gelbe Paprika diesem geradlinig klaren Aroma den Weg. Mal fordert die Würze den Gaumen, dann kühlt der Weingartenpfirsich und so geht das weiter.
Zitrusfrucht und Salz statt pappiger Süße
Selbst als Spätlese – hier sprechen wir von 70 Gramm Zucker – funktioniert der Scharzhofberger, wie wir das mit einem Griff ins Analogie-Regal der Limonaden gerne formulieren: Ein Geschmack wie „Bitter Lemon“, also ein von Frische geprägter herb-süßer Schluck, erwartet einen. Der fast schon hyperrealistische Pfirsich-Geschmack am Gaumen wird nämlich nicht nur von einer cremigen Nussnote begleitet, sondern trotz seiner Süße auch von einer Lebendigkeit, vor allem im Finish, das wieder mit einem Kräuter-Strauß für Garnierung des fruchtsatten Getränks von der Saar sorgt.
Dass 2015 nicht automatisch Zugänglichkeit bedeutet, zeigt dann das „Große Gewächs“ vom Scharzhofberg. Viel Tropenfrucht, wieder ist es Mango, diesmal eher die grüne Variante, wird begleitet von einer ausgeprägten Kräuterwürze. Wäre dieses „GG“ von Kesselstatt ein Parfüm, wäre es „Jardin sur le Nil“ von Hermés. Auch im Geschmack sind da ausgeprägte frische Kräuternoten, fast glaubt man das Basilikum- und Korianderblatt greifen zu können! Die Marillen-Frucht bleibt dagegen fast dezent im Hintergrund, zart herb klingt dieser 2015er Riesling aus. Er ist definitiv am Weg. Und der dürfte zu einem herausragenden Wein führen – man freut sich auf ein Wiedersehen um 2023 herum.
Und wie man danach wieder frisch wird, lernt man ebenfalls bei Mona Loch: Ein Schluck des „Alte Reben“ 2016 wirkt wie ein Gaumen-KÄRCHER nach den Restzucker-Rieslingen. Aus Material von Saar und Ruwer stammend, bringt dieser Wein eine kühle, zitruszestige Art nebst einer Steinobstnote (Pfirsich, gar nicht so expressiv diesmal) mit. Besonders ausgeprägt ist aber das an weißen Pfeffer erinnernde Finish. Die 60 Jahre alten Reben bringen hier einen würzigen Tiefgang mit, der den verhältnismäßig „kleinen“ Wein des Guts zu einer echten Empfehlung macht. Womit die Schwierigkeiten – trotz wieder erfrischtem Gaumen – aber erst beginnen: Welchen Wein soll man hier nicht kaufen?
Bezugsquellen:
Reichsgraf von Kesselstatt, „Wiltinger Ortswein“ 2016 ist um EUR 13,40 bei Kracher Fine Wine erhältlich, der Riesling „Alte Reben“ 2016 um EUR 17, www.finewineshop.com
Die Ortsweine „Graacher Riesling“ 2016 und „Kaseler Riesling“ 2016 sind um EUR 11,30 erhältlich; der „Kaseler Kehrnagel Riesling Kabinett 2016“ kostet EUR 13,40, der „Scharzhofberger Riesling Kabinett feinherb“ 2015 EUR 13, sie alle sind am Weingut bzw. im Webshop erhältlich. Der gereifte „Josephshöfer Riesling Auslese lange Goldkapsel“ 2003 ist auf Anfrage ebenfalls direkt beim Weingut zu beziehen um ca. EUR 30/0,375 Liter-Flasche, www.kesselstatt.com