Der einfache Weg hat Christine Brugger nicht interessiert. Als Sensorik-Wissenschaftlerin, die am Bodensee auf einem bio-dynamischen Obsthof aufgewachsen ist, hat sie sich allmählich das Destillieren erarbeitet. Zunächst sorgte ihr Gin für Sie und Ihn („Ginn & Ginnie“) für Aufsehen. Als wir uns das letzte Mal trafen, hatte die Gründerin der 2014 etablierten Organic Distillery in Friedrichshafen gerade den „Nationalbaum“ Vorarlbergs in ein Destillat verwandelt. Der Geist der Arve war aber nur der Startpunkt für eine ganze Serie, die sie Essenzen nennt. In farblich zugeordneten Aromenfamilien werden so „Schlüsselaromen für Köche, Barkeeper und Genussmenschen zugänglich gemacht“. Am Ende von Bruggers Projekt der hochgradigen Geschmacksrettung soll eine in Kapitel wie „fruchtig“, „erdig“ oder „herbal“ eingeteilte Essenz-Bibliothek stehen.
Alle verwendeten Pflanzen dafür stammen aus kontrolliert biologischem Anbau und werden in 50 ml-Fläschchen angeboten. Die ersten zehn Essenzen umfassen Argentinische Minze, Eucalyptus, Rosen-Monarde, Koriander, Cistrose, Mandarine, Zitronen-Verbena, Vogelbeer, Brombeere und Silber-Wermut. Für die genaue Dosierung der intensiven Aromen sind die Fläschchen mit Pipetten aus Natur‐Kautschuk oder Sprühköpfen versehen. „Meine Destillate sind ungefiltert, basierend auf dem sensorischen Optimum variiert der Alkoholgehalt bei den einzelnen Essenzen“, so Christine Brugger. Das „E-Wort“ ist in diesem Falle wesentlich; denn die „Organic Distillery“-Geiste (= destillierte Mazerate, also Aroma-Auszüge in Alkohol) sind keine Getränke im engeren Sinne!
Der Alkohol trägt die natürlichen Aromen aber perfekt und hilft Glanzlichter – etwa auf Cocktails – zu setzen. Ein paar Tropfen auf die Eiweißhaube eines „Sours“ zu setzen etwa, parfümiert den Drink zusätzlich. Speziell mit unserem Test-Exemplar, dem Geist der Mandarine, lassen sich vorweihnachtlich natürlich einige Dinge anstellen. Im Duft mit leicht grünen, an die Schale erinnernden, Noten kombiniert, hat das Aroma der Zitrusfrucht hier nichts mit überzüchtet süßen Früchten zu tun. Trotz der merklichen Schärfe der 55%, die immer wieder mal hereinweht, ist das Duftbild klar und bringt die vertrauten Duftnoten der Satsuma mit, die der Großvater einst immer so hingebungsvoll schälte. Sie ist zwar botanisch keine Mandarine, aber die Assoziationen kann man nicht einfach abschalten (vor allem, wenn sie einen in die Kindheit katapultieren als wären die Essenz-Tropfen Marty Mc Flys DeLorean-Auto).
Am Gaumen rollen die vorsichtig dosierten Kost-Tropfen einen Teppich an Zitrus-Intensität aus. Ewig klingt das alkoholstarke Finish der „Citrus nobilis“ nach. Ob das nicht auch in der Zuckerglasur der Weihnachtskekse „mandarinig“ wirksam gemacht werden kann? Wir werden sehen…
Bezugsquelle:
Organic Distillery, „Essenzen“ sind zwischen EUR 21 (z. B. für die Mandarine) und EUR 23 (jeweils pro 50 ml-Fläschchen) direkt über die Brennerei erhältlich, www.organic-distillery.com