„Vornehme Zurückhaltung“ steht offenbar nicht in der Job-Beschreibung weißer Erfolgsrebsorten. Es ist der Neuburger, den Erwin Tinhof so charakterisiert und der Winzer aus Trausdorf ist einer der größten Fans der Sorte. Zart erhebt der wegen seiner Frühreife und dem „Nusserl“ geschätzte Neuburger aber sein geknicktes Haupt, es sind immer mehr Winzer, die ihm wieder eine Chance geben. Chance mit R geschrieben, wie „reinsortige Abfüllung“. Trinkprotokoll.at stellte die Ambitionen von Michael Wenzel (als Riesen-„NB“-Fan in der Tinhof-Liga), Günter Schönberger und zuletzt auch Gregor Schmalix bereits vor. So akribisch wie mit Vater und Sohn Tinhof kann man sich der Sorte aber selten näheren.
Neuburger-Optimismus seit 27 Jahren
Was er ins Wein-Bistro MAST mitgebracht hat, geht zum einen bis 1990 zurück, der „Fuchsenriegel“ war vor 27 Jahren der erste reinsortige Neuburger Tinhofs. Damals noch in Eisenstadt, entstehen die Weine jetzt unübersehbar rechts vom Trausdorfer Kreisverkehr im modernen Keller hinter den schmuck angeordneten Schau-Rebstöcken. Und auch der Stil hat sich seit 1990 – damals waren es 100% neues Holz, in das der Wein wanderte – geändert. Das zeigt der 2016er Neuburger, der mit kühlem Duft nach Papiernuss, „Golden Delicious“ und Grapefruit-Zeste lockt. Auch im Mund baut er sich ähnlich auf, dazu kommt zwischen den Zitrusnoten eine grüne Banane, das Spiel zwischen Frucht und milder Säure funktioniert bei angenehmen 12%.
Für die an sich säurearme Sorte hat der Leithakalk – von ihm hatten die Tinhofs auch ein markantes Schaustück samt Meer-Schnecken-Versteinerungen (kl. Foto links) mitgebracht – nämlich eine wichtige Bedeutung. „Selbst wenn sie analytisch niedrig ist, sorgt der Boden dafür, dass sie spürbar ist“.
Reifer wirkt dann der 2015er Neuburger. Bereits im Duft wird aus der frischen Zeste des 2016ers eine satterer Zitruston, man mag an Kaffir-Limetten-Blatt denken. Vollmundig und (mit einem Prozent Alkohol mehr) auch schmelziger kommt diese Variante auf den Gaumen. Es wird fast ein wenig tropenfruchtig; Vanille mischt sich dazwischen, die mit der jeweiligen Naturhefe vergorenen Weine zeigen beträchtliche Jahrgangsunterschiede – und nicht nur, weil ein Jahr Reife dazu kommt.
Das unterstreicht eine Probe des 2012ers, der aus dem gerne als „Jahr des Saftes“ bezeichneten Jahrgang stammt und entsprechend rüberkommt im Glas. Auf die buttrige Nase, die mit Maracuja, Honig und „Blockmalz“-Noten Reife signalisiert, folgen intensive Noten, die an Roten Veltliner erinnern. Tatsächlich ist er ja eine „Elternsorte“ des Neuburgers, womit sich die Mango-Maracuja-Mischung erklären läßt, die hier vorherrscht. Die ohnehin niedrige Säure mag weggewischt worden sein von den letzten fünf Jahren, der Ausdruck macht aktuell große Freude, zumal hier viel Weißwein um wenig Geld geboten wird.
Tinhofs zweiter Flight widmet sich den als „Leithaberg DAC“ gefüllten Neuburgern, wobei der Stil auch hier drehte. Der mitgebrachte 2013er wurde noch mit 35% Weißburgunder „leichtfüßiger“ gemacht, mittlerweile hält man es aber auch bei dieser Version vom 2,5 Hektar umfassenden Neuburger-Bestand reinsortig. Während der gerade ein Monat gefüllte 2016 noch mächtig „arbeitete“, zog der Leithaberg 2015 alle Register. Kühl und mit einer deutlichen Nussigkeit duftet dieser Neuburger auch nach gelbem Apfel und einer herb-karamelligen Mischung wie der Ostfriesen-Tee. Diese Janus-Köpfigkeit fasziniert auch am Gaumen. Zum einen sind das die saftigen und fruchtigen Akzente (Orange vor allem), auf der anderen Seite kommt der Gerbstoff der Rebsorte in einer Schwarztee-Note durch. Sie ist ab dem ersten Schluck da, wird aber im Finish immer ausgeprägter und sorgt für ein ungewöhnliches Aromen-Spiel. Es ist definitiv ein fordernder Wein, kein „Crowdpleaser“! Der „Neuburger Leithaberg 2015“ befindet sich aber weit weg vom Mainstream und „gemachten“ Weinen. Er ist das vielleicht beste Plädoyer für Tinhofs Lieblingssorte.
Und 2015, so unser Eindruck, war ein Jahr, dass dem Neuburger gut bekam in Trausdorf an der Wulka. Denn auch der wertigste Tinhof-Wein der Verkostung, der aus der alten Eisenstädter Riede „Gülden Erd“ – heute zu „Golden Erd“ modernisiert – stammende Neuburger 2015 war eine Klasse für sich. Während das Tannin beim 2014er „Golden Erd“ zu einer polarisierenden Stilistik führte, die zum Orangen-Marillen-Mix auch viel herbe Anteile servierte, hatte der relativ verhalten beginnende 2015er hier die Waage austariert: Eibisch-Teig, Toffee und Lindenblütenhonig zeigten den Einfluss der verwendeten 500 Liter-Fässer, aus denen gerade einmal 800 bis 1000 Flaschen pro Jahr gefüllt werden. Reife Kumquats sorgen für einen herben Auftakt am Gaumen, dem fruchtigeren Aroma einer Marillencreme folgen dann Toffee-Noten. Aus dem Butterkeks-Mittelteil entwickelt sich ein Schwarztee-Bitterl, das lange haften bliebt, aber in seiner eleganten Art durchaus mit den anderen Eindrücken dieses 13,5% Alkohol starken Neuburgers mithält.
Eine Lehre war der Wein-Lunch in punkto Neuburger und Alkoholgehalte nicht nur bei diesem Flight. Denn es war offenbar kein Zufall, dass die kräftigsten Varianten (meist um die 13,5%) auch am besten bewertet wurden. Als aromatisch ausdrucksarme Rebsorte kann Duftigkeit – ein Desiderat des Konsumenten – entweder vom Zucker oder dem Alkohol kommen. Botrytis ist Tinhof ein Greuel, zumal sie beim engbeerigen Neuburger schnell von einer Beere aus die ganze Traube erreicht. Dennoch war speziell bei den reiferen Jahrgängen oft ein Honigton zu finden, den man etwa aus Wachauer Smaragden kennt. Dafür sorgt offenbar der höhere Alkohol, „die Traube selbst hat kaum Aroma“, so Tinhof. Warum er sie trotzdem liebt und noch um weitere 3 Hektar aufstockt? „Weil das unser Herzblut ist“.
Ein herbes Milky Way aus dem Jahr 2001
Also kosteten wir weiter durch die 13 Varianten der geschmähten Sorte. Beeindruckend war jedenfalls die edelsüße Variante, eine Neuburger-Beerenauslese 2001. Akazien-Honig, Hagebutte, Macis und zarte Rosenblatt-Düfte ließen schon vorweg von diesem im „Doppler“ gefüllten letzten Exemplar dieses Weins träumen. Es wurde ein Erlebnis, einen Süßwein mit Tannin – und das nach 16 Jahre nach der Lese – zu verkosten: saftiger Auftakt, Wildrosen und Honig satt, dabei ein gerbstoffiger Widerrist, der im Nachklang als gemeinsamen Nenner aus Frucht und Tannin karamellig wie ein „Milky Way“ endet.
Doch damit ließ man es im MAST nicht bewenden beim Festspiel des Neuburgers. Denn auch die Alt-Stars durften Arien singen, wenn man beim Bild bleiben will. Großartig für einen im Stahltank ausgebauten „einfachen“ Wein hatte sich der Neuburgr 2010 gehalten. Das kühle Jahr sorgte für eine Struktur, die man nicht erwarten würde. Rauchig nach hellem Tabak und Limetten-Abrieb duftete dieser präzise Wein, der auch am Gaumen Zitrusfrüchte mitbrachte. Grapefruit, „Manner“-Zitronenschnitte, gelber Apfel, das alles war zu schmecken – und vom Leithakalk mineralisch unterlegt. Vergleichsweise wenig Gerbstoff im Finish sorgte hier für einen Wein, der auch Freunde deutscher Rieslinge nicht enttäuscht. Leider gibt es ihn nicht mehr im Handel. Dafür sind noch Magnums vom 2003er „Fuchsenriegel“ zu haben, der ein in sich ruhender Wein, irgendwo zwischen Malven-Tee, Karamell-Bonbon und Eibisch darstellte. Soll schließlich keiner sagen, beim Tinhof gäbe es keine Neuburger-Auswahl. Ganz im Gegenteil – und das zum Glück!
Bezugsquelle:
Tinhof, Neuburger 2016 ist ebenso wie der Jahrgang 2015 und 2012 um EUR 11 erhälltichm, der „Leithaberg DAC“ 2015 ist um EUR 16 erhältlich, der Neuburger „Golden Erd“ um EUR 32, die Magnum „Fuchsenriegel“ 2003 um EUR 50, alle beim Weingut bzw. dessen Web-Shop, www.tinhof.at