Wie Telmo Rodríguez mit seinen Ortsweinen der „Lindes“-Serie den Rioja in seine Bestandteile zerlegt, war Gegenstand von Teil 1 unserer Begegnung mit dem spanischen Charismatiker. Der biodynamische Bilderstürmer hat mit Remelluri aber 2010 begonnen, seine Idee eines zeitgemäßen, klassischen Riojas vorzulegen. Daheim nennen sie ihn dabei aber immer noch „enfant terrible“, auch wenn das mit 61 Jahren „nur mehr lächerlich ist“. Doch Telmo Rodríguez gibt zu, lange genug der „Foxterrier“ für die Weinfunktionäre und „a pain in the ass“ für die behäbige, von Riesen-Erzeugern geprägte Region gewesen zu sein. Biodynamisch in einer Gegend zu arbeiten, die international für günstige Rotweine und einen überholzten Stil steht, ist allein schon verdächtig. Doch der charismatische Spanier, der optisch an den Philosophen Bernard-Henri Lévy erinnert, hatte zudem auch noch Erfolg! Und er kehrte nach seinen Weinprojekten in ganz Spanien doch zurück zum Familienweingut – „meine Brüder haben mich darum ersucht“. Die Bedingung dafür, so lässt Señor Rodríguez durchblicken, lautete aber, dass er nach seinen Vorstellungen Wein machen dürfe.
Diese Weine – im Idealfall im Vergleich mit den Vorgänger-Jahrgängen – zu verkosten, war Gegenstand eines Abends der „Winzerbegegnungen“ im Gollinger Restaurant Döllerer. Geschickt ließ Andreas Döllerer spanische Akzente („Tapas war uns dann doch zu fad“) ins Menü einfließen. Vor allem aber zeigte sich, wie wunderbar der Rioja, den jeder zu kennen glaubt, Speisen begleiten kann.
Die größere Überraschung für viele, die mächtige Rotweine mit dem Namen der Region verbinden, war allerdings der „Blanco“, der zu angegrillten Garnelen mit beurre blanc ins Glas kam. Tatsächlich ist es nicht so lange her, dass weiße Sorten gar nicht unter „Rioja“ gefüllt werden durften. Bei Telmo Rodríguez sind es neun Sorten, die er ganz nach dem Prinzip eines Gemischten Satzes wachsen lässt. „Für diesen Wein gibt es kein Rezept“, verrät er, dass auch am Weingut vermehrte Setzlinge seiner Winzer-Freunde in Frankreich (etwa von „Leflaive“) in diesem Wein aufgingen. Viognier, Garnacha Blanca, Roussanne, Weißburgunder und Chardonnay sind Teile des „field blends“, aber die Details interessieren den Winzer wenig. Getreu seinen Lehrmeistern in Frankreich, zu denen Legenden wie Gérard Chave (von „Jean-Louis Chave“) gehörte, interessiert ihn der Geschmack. „Alkoholwerte schau ich mir nie an“, verriet uns Rodríguez am Rande der Verkostung.
In der Tat durchzieht ein burgundischer Touch diesen 2021er, was nicht nur am Anfangs fein reduktiven Duft nach „Kapselpracker“ liegt. Denn dem Schießpulver-Touch folgt eine Duftspur des Fass-Ausbaus, die an Butterkeks erinnert. Passionsfrucht-Kerne sind als Teil der fruchtigen Abteilung präsent. Doch der „Blanco de Remelluri“ verändert sich – mit mehr Luft kommen Kaffee-Creme und weiße Johannisbeeren hinzu.
Letztere sind auch im Geschmack präsent, kaum, dass die erste Jugendlichkeit am Gaumen schwindet. Sie bringt einen Mix aus Lemon Drop-Chili und Maracuja mit. Der säurig-pikante Auftakt wird von rosa Grapefruits noch akzentuiert, aber dann übernimmt die leichtfüßige Frische der weißen Ribisln. Anders gesagt, wird dieser Wein immer schlanker, je länger man ihn trinkt. Ein Quäntchen Salz ist auch da und macht diesen Wein zu einem überraschenden Start in die Rioja Welt Telmo Rodríguez‘.
Tatsächlich arbeitet er gerne die Unterschiede heraus (was ja auch der Kern seines neuen Lindes-Projekts ist), das zeigte das Paar aus Remelluris Jahrgängen 2008 und 2015. Der jüngere Rotwein wies anfangs schon beinah madeirisierte Noten auf. Die Reife von Heidelbeeren war üppig und fast rotfruchtig, während Veilchen noch einen floral-duftigen Akkord dazupackte. Im Mund war es der herb-säurige Geschmack von Cranberry, der mehr Frische mitbrachte, aber auch ein wenig forderte. Deutlich spannender hingegen begann bereits die Duft-Bekanntschaft mit dem 2008er Rioja. Der Mix aus altem Stein, Vetiver und Kräutern, der für gute Bordeaux typisch ist, fand sich hier. Aufgeschlüsselt als Kaffeesatz, Heidelbeere, Lorbeer, Steinpilz und Johannisbeergelée, ließ sich hier schon Komplexität erahnen.
Der Kostschluck bestätigte das, indem vor allem der Gerbstoff perfekt abgeschliffen war, zugleich aber die Frucht satt, aber nicht eingedickt, wirkte. Getrocknetes Fruchtfleisch von Sauerkirschen, etwas Sandelholz und vor allem eine attraktive Bitterkeit zeigte an, dass sich dieser Rioja gerade dem ersten Genuss-Plateau nähert. Zugleich ist aber bei jedem Schluck klar, dass noch viel mehr an Plaisir folgen wird, sobald der Wein weitere Reife erhält. Es ist ein langlebiger Rioja, nur eben ohne die Vanille- und Kokosnuss-Orgien früherer Jahrzehnte. Aber er zeigte auch, dass man sich mit den Jahrgängen beschäftigen sollte – wenngleich dieser Punkt noch an die erste Winzergeneration von Remelluri ging.
Am schönsten war die Metamorphose des Rioja über die Zeit aber bei den Gran Reservas zu beobachten, die aus den Jahrgängen 2009 und 2012 eingeschenkt wurde (und Andreas Döllerers Rib Eye mit Pimentón de la Vera begleitete). Wie ein Bonbon strahlte die rote Frucht von Erdbeere und Kirsche. Der Duft von Eisenfeilspänen und Fleischsaft kam erst später durch. Doch das erste Odeur, das Herz aus saftiger Frucht – mit Anklängen an die roten „Campinos“ der 1980er – gab kurz einen Blick in die Zukunft dieses Weines. Denn am Gaumen regierte noch die Würze, die noch jungen Tannin mit Schwarzem Pfeffer und Gewürzpaprika zu verbinden wusste. Hier liegt noch Material für die nächsten 20 Jahre vor.
Und Telmo Rodríguez hat von etlichen Jahrgängen bewusst Rücklagen gebildet. Nur so könne man sich in 20 Jahren an reifen Riojas erfreuen, ist er überzeugt. Wer es mehr mit der Zugänglichkeit von Rotwein hält, wurde dafür vom 2012er nicht enttäuscht. Wie auch 2009 als großer Jahrgang im Rioja gehandelt, ist hier allerdings bereits im Duft die Balance präfiguriert. Frisches Salbei-Blatt, Kornellkirsche („Dirndl“) und Wiesenchampignons repräsentieren in der Nase die Trias von Gerbstoff, Frucht und Würzigkeit. Die gerade noch merkliche Säure, die dieses komplexe Gebäude trägt, liefert dann der Gaumen nach. Im Mund hat man es dennoch mit fast mürben roten und schwarzen Früchten zu tun. Nach Rotem Apfel, reifen Brombeeren und Erdbeergelée schmeckt diese Remelluri Gran Reserva 2012. Und er war bereits ein Produkt, das die Handschrift Telmos zeigte. Vor allem aber: Ein kraftvoller, großartiger Rotwein!
Bezugsquelle:
Remelluri, Blanco 2020 kostet EUR 76,70 (0,75 Liter-Flasche), die Rioja Gran Reserva 2012 ist um EUR 75,60 zu haben, beide bei Döllerers Weinwelten, https://shop.doellerer.at