Wie man Spannung aufbaut, braucht man Telmo Rodríguez sicher nicht erklären. Der 61-jährige spanische Winzer schafft es mit wenigen Worten. „Was wir verkosten, war bis vor einer Woche noch illegal“, lacht er gleich nach der Vorstellung durch Weinhändler Raimund Döllerer. Ein Schreiben des Consejo Regulador, das über die Regeln der weltbekannten Region Rioja wacht, gab die Zustimmung zum Weinprojekt „Lindes de Remelluri“. Das aus einem alten Kloster-Weinbau hervorgegangene Familiengut, in das sich Rodríguez‘ baskischer Vater verliebte, ehe er dort zum Landwirt wurde, trägt den Namen Remelluri. Mit den sechs Weinen unter dem Label „Lindes“ (soviel wie „Rain“ oder „Grenze“) wird dessen Kernkompetenz Rioja erweitert. In einer gewissen Weise kann es sogar die Zukunft des Weines mit dem klingenden Namen, den kaum mehr jemand trinkt, bestimmen.
Denn die eigenen Gesetze des Rioja münden derzeit in eine Sackgasse. Alexander Koblinger, Master Sommelier, akzentuierte daher in Golling mit kluger Moderation den revolutionären Ansatz von „Lindes“. Denn es ist nicht der Weingarten, die Herkunft der Trauben, die zählt, sondern der Abfüllort. Das vermeintliche Rioja-„Mekka“ Haro hat vor allem den Vorzug, „an der Bahnlinie zu liegen, mit der früher nach Frankreich exportiert wurde“. Die neue Serie allerdings stellt Produzenten in den Mittelpunkt, gibt den grossteils anonymen Weinbauern ein Gesicht. Und spätestens mit der Nennung des Kilopreises für rote Trauben (50 Cent) bekommt auch ein Gefühl, dass sich das mit dem billigen Rioja nicht mehr ausgehen kann. Der Mehrpreis für die Traubenbauern ist aber nur eine Seite von „Lindes“.
Denn mit den neuen Weinen, die einzelnen Orte bzw. Rotten (die kleinste zählt genau fünf Einwohner!) in den Fokus rücken, „konnten sie erstmals ihre eigenen Trauben auch als Wein kosten“. Sorten sind dabei Nebensache. Lediglich die Flaschenform zeigt an, ob mehrheitlich Tempranillo im Spiel ist – dann wird ins Bordeaux-Format gefüllt – oder Garnacha, den man an der Burgunderflasche erkennt. Auch da lernt man von Telmo Rodríguez. (kl. Bild links). Denn 50 zugelassene (und 25 von ihm verwendete) Rebsorten gäben in der Theorie schon mehr Vielfalt. Und wenn einer „seiner“ Traubenbauern dann beginnt, einen aufgelassenen Hang neu zu bepflanzen, hat das Projekt schon einen Effekt gezeitigt.
Doch ad vinum! Oder besser: ad vinos, wenngleich wir nicht alle sechs im Details trinkprotokollieren werden. Das Wichtigste aus dem Vergleich der 2020er Jahrgänge: Auch wenn die „Lindes“-Reihe allesamt jung ist, zeigen sich deutliche Unterschiede, die in dieser Phase vor allem an der Gerbstoff-Qualität festzumachen sind. So zeigte der östlichste der Ortsweine – Abalos – das geschliffenste Tannin. Fast parfümiert wirkte die erste Nase, voll Veilchen-Duft und hellem Tabak, ehe die röstige Note eines Haselnuss-Crumbles sich durchsetzte. Auch helles Karamell war in dieser Kalk-Lage zu entdecken, die erst am Gaumen auch von Frucht geprägt war. Dafür konnte die saftige Sauerkirsche hier im Verein mit Hibiskus eine erste Kraftprobe geben. Noch sind der Fass-Ausbau und die Herkunft ein wenig im Widerstreit, doch der „Viñedos de Abalos“ 2020 erwies sich als einer der zugänglichsten.
Tatsächlich tendierten wird zu den östlicheren Lagen des „Lindes“-Projekts, denn auch der „Viñedos de Peciña“ gefiel uns ausnehmend gut. Hier hatte die Nase eine volle Dosis intensiver, getrockneter, aber nie eingekocht oder marmeladig wirkender Früchte zu verarbeiten: Dörrzwetschken und Datteln begleitete ein Anflug von Kaffeepulver und – so man dem 2020er Zeit im Glas gab – deutlich auch Fenchelsamen. Der Eindruck, dass von den auf rund 650 Metern Seehöhe wachsenden Reben ein komplexer Wein stammt, bestätigt sich schnell. Druckvoll und dunkel ist das Mundgefühl, das neben dem massiven Tannin aber auch eine bemerkenswerte Kühle der Frucht aufweist. Ab dem mittleren Gaumen hat man den Eindruck eines langsam zergehenden Gelées aus Brombeeren und Heidelbeeren. Feine Holzwürze und Schwarze Oliven verstärken den Eindruck eines geradezu gravitätischen, aber nicht „schweren“ Weines. In drei Jahren, perfekt angekühlt, wird dieser Weine große Freude bereiten.
Auf der anderen Seite der Landkarte, die Telmo Rodríguez („wir haben die Weine selbst nie unter dem Orts-Aspekt gesehen“) extra anfertigen ließ, befindet sich der „Viñedos de Salinillas de Buradón“. Er stammt aus einem Ort, der für seine Salzmine bekannt war, punkto Wein prägt roter Boden (=Eisen) mit Quarz diesen Wein. Er zeigt eine spannende Pikanz, allerdings plagt sich die säurige Frische dieses Riojas noch mit dem Gerbstoff, der deutlich an den Zähnen spürbar ist. Zugänglicher hingegen war der „Viñedos de Labastida“, der aus dem größten Abschnitt (1.121 Hektar Rebfläche) und den tiefsten Lagen (allerdings bedeutet das im Land der Sierras auch 440 Meter Seehöhe) stammt. Eingekochte rote Früchte, vor allem Erdbeeren werden von zartem Speckrauch, Wacholder und Gewürznelken einbegleitet. Am Gaumen zeigt sich vor allem eine „kirschige“ Fruchtigkeit, die von dunkler Schokolade geschmacklich umhüllt wird.
Am überzeugendsten aber waren die sechs „Lindes de Remelluri“, wenn sich hohes Rebalter – wir sprechen von bis zu 90 Jahre alten Anlagen – mit einer Höhenlage und kargen Böden vereinten. Das gilt für den nach Eisenfeilspänen und Wildkirsche riechenden „Viñedos de Rives de Tereso“ ebenso wie den „Viñedos de San Vincente de la Sonsierra“. Letzterer kombiniert Espresso mit einer fast floralen Ader, die an Hibiskus erinnert. Mit Luft dreht dieser Kontrast in Richtung Kakaopulver und Himbeere. Es war für unser der „kühlste“ des Sextetts, denn am Gaumen kamen erneut die Früchte-Tee-Noten zum Ausdruck, der Gerbstoff verschwindet immer mehr zugunsten eines fast ätherischen Weines. Ab dem Mittelteil legt dafür eine pfefferminzige Frische zu, die den „Viñedos de San Vincente de la Sonsierra“ in einer Blindprobe schwerlich als Rioja-Kandidaten ausweisen würde.
Und kaum jemand freut sich über dieses Lob mehr wie der in der Bourgogne sozialisierte Telmo Rodríguez: „Es war der industrialisierte Weinbau, der die leicht zu kultivierenden Sorten und Weingärten bevorzugt hat“. Und für ihn schien es Zeit, etwas dagegen zu tun. „Lindes de Remelluri“, in aller Schnelle erklärt, ist ein sechsteiliges Fest der Rotwein-Diversität!
Bezugsquelle:
Lindes de Remelluri, „Viñedos de Peciña“ 2020 bzw. „Viñedos de San Vincente de la Sonsierra“ 2020 kosten wie alle anderen vier Ortsweine jeweils EUR 22,50 (0,75 Liter-Flasche), bei Döllerers Weinwelten, https://shop.doellerer.at