Der Champagner des Nordens feiert heuer gleich doppelt. Zum einen begeht Berliner Kindl sein 150. Jubiläum, zum anderen ist es zehn Jahre her, dass in Moabit Brewbaker begonnen hat, wieder eine Berliner Weisse im historischen Stil zu brauen. Denn eigentlich handelt es sich bei diesem Sauerbier-Stil um eine Variante, die eine zweite Gärung in der Flasche – wie Schaumwein nach méthode traditionelle – absolviert. Das berühmte „Kindl“ wiederum wird als „kettle sour“ gebraut, bei dem die Sauerkultur direkt beim Würzekochen dazukommt.
Diese brau-technische Abkürzung sehen Traditionalisten mit Argus-Augen, denn gerade das französische Erbe war für den Ruf des Berliner Weißbiers wesentlich. Ob es französische Auswanderer waren, die mit der zweiten Vergärung begonnen haben, ist umstritten. Die gewaltige Beliebtheit, die dieses Bier genoss, kann man hingegen nachlesen. Ihr verdankt sich auch das ein bisserl vermessene Wort vom „Champagner des Nordens“. Vielfach ließen sogar arme Familien das Basisbier bei sich selbst daheim fertig gären. Doch das war im 19. Jahrhundert.
Bis zum Ersten Weltkrieg war die Berliner Weisse mit über 700 Lokalen und bis zu 120 Brauereien das am meisten konsumierte alkoholische Getränk in Berlin.
Ulrike Genz, „Schneeeule“
Danach begann der Niedergang dieses als altmodisch, teuer und aufwändig (zwei Gärungen bedeuten auch Wartezeiten) empfundenen Stils. Der helle Pilsener Typ und die auf ihm aufbauenden Lager-Biere standen für Fortschritt. Und nach den Kriegen konnte man mit Weizen wahrlich besseres tun als zu brauen. Doch die Kreativbier-Bewegung brachte 2012 auch die Weisse zurück in die Hauptstadt.
Ulrike Genz war zwar nicht die Erste, die sich wieder um die verschwundene, echte Weisse annahm. Doch nach der Studienarbeit zum Thema wollte sie es 2016 genau wissen und startete unter dem schönen Namen Schneeeule (mit drei „E“!). Davor stand eine schräg anmutende Suche nach originaler Hefe; Genz sammelte sie aus uralten Flaschen, in denen die Lactobazillen überlebten – der Schulterschluss mit der (Bier-)Geschichte wurde als über die Mikroorganismen hergestellt!
Mittlerweile hat man sich den verschiedenen Varianten – etwa mit Ingwer oder Jasmin – verschrieben. Auch das Sauerbier „vom Brett“ gibt es dank der Brauerin wieder. So hießen früher im Fass nachgereifte Versionen, die etwas milder in der Säure, aber dafür noch komplexer waren. Ganz berlinerisch wird so aus der „Marlene“, der klassischen Weissen mit der Schneeeule, durch die Reifung „Dietrich“ (man denke sich ein „die“ hinzu). Es ist ein idealer Einstieg in die Welt des Sauerbiers, dessen knackige Milchsäure nicht jedermann gleich behagt. Vor allem klassisch geschulte Märzen-Trinker wird es hier anfangs vielleicht beuteln. Und es hat ja auch seinen Sinn, dass die Berliner Weisse auch mit etwas Sirup – dem berühmten „Schuss“ – gemischt wurde.
Wir tun das nicht und riechen einmal an dem Fläschchen „Dietrich“. Wie ein Bananen-lastiger Smoothie duftet das 3,8% Alk. leichte Bier, dazu kommt etwas zerlassene Butter und auch Ananas-Joghurt. Mit der feinen Kohlensäure und der Grapefruit am Gaumen wirkt diese Schneeeule mega-erfrischend. Zumal auch etwas säurige Passionsfrucht für noch mehr saure Drops-Anmutung sorgt. Und, nach ein wenig Durchschnaufen, gibt es im Nachtrunk auch Limettenzesten zu schmecken. Ein klassischer Durstlöscher, der nach dem Rasenmähen belohnt, ist diese „Dietrich“. Auch wenn noch keiner an den Sommer denkt.
Obstkuchen vom Hackeschen Markt: Budike-Weisse
Der zweite Vertreter dieses raren Stils hat sich die sommerliche Art gleich aufs Etikett geholt. Lemke entsteht in Berlin-Mitte und zitiert mit den Menschen im Badekostüm nicht nur die Leichtigkeit des historischen Weissbiers. Als „Orjinal“ feiert man das wieder in der Flasche vergorene Bier. Und mit dem Namen „Budike“ schließt man ebenfalls den Kreis zu den Franzosen, die das Berliner Bier in einer „boutique“ genossen. Für die rustikalen Stadtbewohner hieß das dann einfach „Budike“. Diese Abfüllung ist nur eine von sechs Varianten von Braumeister Oliver Lemke, auch hier gibt es ein Fass-gelagerte Option (namens „Berliner Eiche“). Doch wir wollen den Einstieg in den sauren Kosmos der Hauptstadt, der seit 2018 im modernen Brauhaus beim Hackeschen Markt entsteht.
Und der direkte Vergleich zeigt hier eine knackigere Machart als die ein Jahr im Fass gelagerte „Dietrich“. Unterm stabilen Schaum duftet es nach Orangen und Pfirsichen, aber auch Obstkuchen-Teig. Der Antrunk bringt eine rezente Kohlensäure und ordentlich viel Zitrusfrucht (diesmal Zitrone) mit. Aber auch die Hefe ist zu schmecken und ihre leichte Cremigkeit verbindet sich mit Weißem Sesam. Viel Druck bringt die „Budike-Weisse“ auf den Gaumen! Knackig und zupackend ist das nur 3,5% Alk. sanfte Berliner Bier. Wenn es nach uns geht, könnte man das durchaus auch abseits der Spree öfter im Kühlschrank oder im Glas haben…
Bezugsquellen:
Schneeeule, „Dietrich“ kostet EUR 4,90 im Webshop der Bierothek, https://bierothek.de
Brauerei Lemke, „Budike Weisse“ ist um EUR 11,- (6×0,33 Liter) über den Brauerei-Shop erhältlich, https://shop.lemke.berlin