Diesmal kann Donald Trump nichts dafür. Von den kalifornischen Weinen hat man sich hierzulande schon lange vor „The Donald“ abgewandt. Allein deshalb muss man der Beharrlichkeit danken, mit der man bei Fine Wine versucht, die Vorurteile gegen die alte „Neue Welt“-Stilistik zu bekämpfen. Diesmal war es Scott Becker, der Miteigentümer von Realm Cellars, der im Palais Coburg mit seinen Abfüllungen antrat, um zu zeigen, welches Niveau der Weinbau in Napa aufweist. [Spoiler-Alarm: Wer seine persönliche Schmerzgrenze für Rotwein-Preise bei 40 Euro (oder darunter) einzementiert hat, darf aber jetzt aufhören zu lesen. Wer hingegen Alternativen zu Bordeaux – in Punkto Preis und schnellerer Zugänglichkeit – sucht, darf aufmerken. Speziell, wenn es um Cabernet-dominierte Blends geht.]
Denn der jugendliche „The Bard“ des Jahrgangs 2015 beeindruckte als zweitgünstigster Wein des Hauses. Der auf 75% Cabernet Sauvignon und 20% Merlot aufgebaute Kalifornier ist mit 24.000 Flaschen auch der meistverkaufte Wein von Realm. Wie fein ziseliert dieser Rote bei aller Kraft von fast 15% Alkohol ist, zeigt sich bereits im Duft. Drei Arten von Kirsche changieren im Bukett; mal ist es Herzkirsche, dann der Mandelton des Kirschen-Kerns, dann wieder satte Amarena-Frucht. Dazu kommen kühle Johannesbeer-Aromen und ein Duft, den Burgenländer mit geschlossenen Augen den ersten „Wiesener Erdbeeren“ eines Jahres zuweisen würden. Dass es am Gaumen saftiger wird, war zu erwarten, doch auch hier sind die vielen Fruchteindrücke – Holunder, Zwetschke, Erdbeere – immer kühl unterlegt, die Würze steuern Wacholder, Langpfeffer und im Abgang dann auch Assam-Tee bei. Die verrückteste Note aber bildet das Rückaroma: Es ist tatsächlich Birne, mit der der Rotwein (!) ausklingt.
Warten auf Shakespeares Sturm: The Tempest 2015
Dass es eine Handvoll dieser per Warteliste verkauften Weine in Österreich gibt, ist angesichts der 6.000 Flaschen, die vom kleinen Bruder – er wird von 90% Merlot dominiert – „The Tempest“ 2015 gefüllt wurden, erstaunlich. Auch er ist außergewöhnlich, erreicht mit den satten Fruchtakzenten aber nicht ganz die Finesse der zweiten William Shakespeare-Hommage „The Bard“. Mit Veilchen, Cola-Nuss, Schlehen und einem deutlichen Graphit-Zug ist er ebenso komplex (Robert Parker gab ein Rating von 95+); der Kostschluck bringt neben der saftigen Frucht aber auch viel Vanille mit. Nicht, dass das negativ wäre, aber hier ist langes Lagern angesagt, denn das röstige Finish mit seinem Espresso-Lakritz-Zigarrentabak-Mix ist noch übermächtig. Die Würze steht hier noch über die Frucht, die dazwischen schüchtern ihr Himbeer-Köpfchen hebt.
Wer unbedingt die Schwarze Johannesbeere braucht, um einen Cabernet zu erkennen, sollte sich den „Farella Vineyard“ 2015 ansehen. Er stammt von Rebstöcken, die 1979 vom heute 90-jährigen Frank Farella, einem Rechtsanwalt aus San Francisco, der als Art „consigliere“ von Legende Robert Mondavi fungierte, gepflanzt wurden. Coombsville gilt dabei als südlichstes Gebiet für die Sorte, es ist ein für „sunny California“ relativ kühler Landstrich, der eher für Pinot Noir herangezogen wird. Der 2015er „Farella Vineyard“ beginnt entsprechend würzig, Senfsaat und Bleistift-Spitz-Reste begleiten die Herzkirsche im Duft. Mit Luft wird daraus eine Mandelmilch-Note, aber auch ein zart herber Duft, bei der man an Tulpen denken könnte, gesellt sich dazu. Süßer als erwartet ist dann das Mundgefühl. Beeindruckend an diesem Wein ist sein Trinkverlauf, der mit einer klaren Himbeer-Fruchtigkeit beginnt, sich aber fast unmerklich immer dunkler darstellt – bis am Ende ein intensiver Espresso den Gaumen bedeckt. Denn das Tannin frischt ebenso auf, wie die Frucht „nachdunkelt“. Da ist dann die klare Cassis-Note, die die Rebe charakterisiert, im Rückgeschmack. Zuvor meldet sich aber wieder der süß-scharfe Akzent der Senfsaat. Auch hier stehen wir aber am Beginn einer langen Lagerzeit.
Vom Lagern aber jetzt zu den Lagen: Zwei der Weine, die mit ihrer Qualität einem französischen grand cru entsprächen – „Kalifornien hat aber leider kein solches System“, so Becker (am kl. Bild rechts) – tragen den Zusatz „Beckstoffer“. Dieser Name steht für Andy Beckstoffer, der bereits 1993 historisch bedeutende Weinberge in der Region zu kaufen began. Die Trauben teilte er den seiner Meinung nach würdigsten Abnehmern zu. „To Kalon“ wurde in Zeiten bepflanzt, als die Elite noch des Alt-Griechischen mächtig war. Der Name steht dabei für das Ideal der Schönheit. Hamilton Crabb, ein Napa Valley-Pionier startete hier 1868 als Weinbauer und heute gehören die Cabernet Sauvignon– bzw. Cabernet Franc-Trauben aus dem westlichen Teil von Oakville zum Besten, mit dem Winemaker Benoit Touquette arbeiten kann. Auch der „Beckstoffer To Kalon” zählt mit raren 99 von 100 Parker-Punkten zum globalen Wein-Adel.
Vanille und Zedernholz deuten an, dass hier noch jugendliche Holz-Einträge den Wein prägen. Die Frucht weiß sich aber zu wehren in diesem 14,6% Alkohol starken, reinsortigen Cabernet Sauvignon; Amarenakirsche wird begleitet von Kakaopulver und einem Touch Pinienharz. Dass Tannin setzt hier bereits im Antrunk an, es wird aber schwächer, je mehr die Erdbeere- und Kornellkirschen-Saftigkeit an Fahrt aufnimmt.
Der Wein hüllt einen förmlich ein, er ist eine fleischige Masse, die mit grünem Pfeffer auch gut genug gewürzt ist, um sich diese Umarmung gefallen zu lassen. Großer Stoff wird hier im Zalto-Glas geschwenkt, wenngleich klar ist, dass wir noch ein Embryonal-Stadium begutachten durften.
Cabernet vom anderen Stern: Beckstoffer Dr. Crane
Der Vergleich mit einem von Trinkprotokolls Top 3-Weinen dieses noch jungen Jahres macht diesen Eindruck dann endgültig fest. Denn der „Beckstoffer Dr. Crane“ des gleichen Jahrgangs scheint hier von einem anderen Stern zu sein. Es mag nur ein Parker-Punkt sein, der diesen raren „100 Punkte-Wein“ vom „To Kalon“ trennt, doch die Finesse des „Dr. Crane“ 2015 entspricht bereits seinem kalligraphisch-schönen Etikett. Denn während Batman-Leser vielleicht an den Super-Villain Scarecrow denken, hatte dieser Namensgeber nichts mit Arkham Asylum zu tun, sondern mit der ehemaligen Chinatown, in dem sich die Southern Pacific Railroad-Arbeiter aus dem fernen Asien, im 19. Jahrhundert ansiedelten. Daher flankiert ein chinesisches Sprichwort, sanft mit Tusche gemalt, das bekannte „R“ von Realm auf der Flasche. Dieser 2015er ist schlicht so etwas wie der Prototyp eines reifen Cabernet Sauvignon. Sein Duft im Kostraum des Coburg entspricht dem einer frisch geöffneten Büchse Grether’s Pastillen – schwarze Johannesbeere pur! Die hochreifen Trauben lassen aber auch an Erdbeer-Marmelade ohne Zucker denken.
Ein solches Oxymoron, um nicht nur dem „To Kalon“ auf Alt-Griechisch zu charakterisieren, zeichnet viele der größten Weine der Welt aus: Wie geht sich so viel Frucht aus, ohne auch eine gewisse Süße in Kauf zu nehmen, lautet die Frage. Je länger der 2015er von Realm Cellars atmen kann, desto eher dreht er in Richtung Gebäcknoten wie Shortbread, aber auch Rum-Rosine findet sich da. Ähnlich ungewöhnliche Notizen schreibt man dann entlang des Kostschlucks hin: Was mit Thymian beginnt, nimmt plötzlich eine Wendung, die aus der intensiven Erdbeerfrucht am Ende einen Nachgeschmack herausfiltert, der an Sorbet und Frappé erinnert. Für einen Rotwein sind das gänzlich ungewöhnliche Geschmäcker. Der „Dr. Crane“ ist fruchtintensiv und kühl wie ein Burgunder, dabei unglaublich würzig, wie man es von einem „Cab“ erwartet.
Schwarzer Pfeffer kann hier genannt werden, aber auch der nach einem ewig langem Finale einsetzende Rückgeschmack, der einen Schokokuchen vor dem geistigen Auge entstehen lässt. Bitte die vielen Anklänge an die Patisserie nicht falsch verstehen: Die ungewöhnliche Begeisterung rührt daher, da dieser 2015er Kalifornier alle fruchtigen Komponenten in einer Zucker-freien Variante mitbringt. Es sind saftige rote Beeren, die „Dr. Crane“ hier auftürmt, kein kitschiges Johannesbeer-PAGO. Genauer gesagt, sind außer im Duft nirgends Cassis-Noten auszumachen. Dafür alles andere (Würze, Säure, Kraft und Finesse) und das bereits in einer Jugend, die es – neben dem Preis – schwer macht, diesen Wein in ausreichender Anzahl wegzulegen.
Bezugsquelle:
Realm Cellars, „The Bard“ 2015 ist um EUR 155 erhältlich, „The Tempest“ 2015 kostet EUR 135, der „Farella Vineyard“ 2015 ist um EUR 229 zu haben, während die beiden Einzellagen „Beckstoffer To Kalon“ EUR 359 bzw. der „Beckstoffer Dr. Crane“ EUR 369 kosten, alle bei Kracher Fine Wine, www.finewineshop.com