Wenn an einem Dogma gerüttelt wird, dann sollte das lustvoll geschehen. Und schon gar nicht auch dogmatisch. Genau das tut subversiv, aber beharrlich, der Riesling Kabinett. Die fruchtsüße Variante eines säurebetonten Weißweins ist hierzulande seit dem Weinskandal undenkbar. „Halbtrocken“ geht hingegen auch als Schimpfwort durch. Entweder echter Oberliga-Süßwein, für den wir weltberühmt sind, oder knochentrocken. Da gibt der Konsument keine dritte Option. Und doch gibt es Platz für Weiße mit 20 bis 30 Gramm Restzucker. Wenn auch nur in unserem Nachbarland, wo der „Kabi“ vor allem von jüngeren Weintrinkern gefeiert wird. Süße statt Gerbstoff, darf man hier als ein Geschmacksbild sehen, das bei der „Generation Z“ ankommt. Oder zieht, mit „Z“.
Insofern lag der Einstieg nahe, wenn bei Süßwein-Macher Gerhard Kracher auch Riesling-Meister aufgereiht beim Portfolio-Tasting stehen. Und in der Tat sind viele der „größeren“ Weine, jene mit dem „GG“ als Signet für’s Große Gewächs, nur zu verstehen, wenn man diesen Stil bereits kennt. Denn immer filigraner werden die alten Reben auf den Steillagen. Nuancen der Schiefer-Arten schmeckt man aber nur als regelmäßiger Mosel- und Rheingau-Besucher heraus. Der Kabinett hingegen erklärt sich von selbst. Er ist ein sinnlicher, kein cerebraler Wein. Wenn es britzelt wie eine 4,5 Bolt-Batterie auf der Zunge, wenn es exotisch fruchtig wird wie bei einem Smoothie, dann ist es wohl „Kabi“ und nicht die rare „Oberföhringer Vogelspinne“, um Loriots unvergesslichen Lagenwein wieder mal zu ehren.
Im Idealfall zeigt ein „Kabi“ nämlich, wie man auch 30 Gramm Restzucker in einem Weißwein mit einer guten Frische versehen kann. Dieser Wert ist der tatsächliche beim „Karthäuserhofberg“ 2021, den man getrost als ein Muster dieses Stils ansprechen kann. Die Süße erinnert hier an den Duft eines Honigtopfs, dazu bringt der Wein vom Karthäuserhof eine Mischung aus Zwergmandarinen-Kompott, etwas rosa Grapefruit und gedörrter Marille mit. Und dann dreht der Riesling erst so richtig auf – am Gaumen spürt man schlicht mehr von allem. Besonders die Mandarine wird zum Anbeißen deutlich im 2021er Kabinett. Jetzt wäre der Zeitpunkt für süße Saftigkeit. Doch nicht mit diesem Wein; er legt mit Zitrusfrische nach hinten hinaus nach. Zitronenmelisse ist einer der Spannungsgeber. Und das Glas vom Karthäuserhof stellt nicht weniger als einen sonnigen Freudenbringer für das ganze Jahr dar.
Zum Vergleich lädt gleich nebenan die „Wehlener Sonnenuhr“ im Kabinett-Stil ein, die von Dr. Loosen 2022 gekeltert wurde. Dieser Riesling hat ebenfalls ein Honig-Tönchen zu bieten, dahinter liefern sich aber der sortentypische Pfirsich – hier schon Kompott-stark präsent – und unreife Weichsel ein interessantes Spiel. Säure, das meldet in diesem Fall bereits die Nase, wird hier eine Rolle spielen. Tut sie auch. Doch man muss Acht geben, denn diese „Sonnenuhr“ ist verspielt und saftig. Nektarine, etwas Apfel (gelbe Sorten wie „Golden Delicious“) und auch Gallia-Melone bringen die Fruchtigkeit auf den Gaumen. Der gut stützende Zitrus-Akkord folgt auf den Fuß. Er lässt den Ausklang klar und belebend wirken. Und schafft damit auch einen Riesling-Typ, der sich praktisch von selbst trinkt. Zumal er auch ein Atout des „Kabi“ auszuspielen weiß: Niedrige 8,5% Alkohol erhöhen den Trinkspaß.
Bei Theresa Breuer wurde dann eine „Kabi“-Pause eingelegt. Doch auch die Leiterin des Rheingauer Familienweinguts Georg Breuer hatte Schmackhaftes aus der Einstiegsliga. Den Riesling „Estate“ gibt es dreifach und er ist auch kein Gutswein, wie der Name suggeriert, sondern er stellt den Ortswein Breuers dar. Neben Rüdesheim, wo das Gros der 40 Hektar Rebfläche liegt, wird auch für Lorch und Rauenthal ein „Estate“ gefüllt. Der 2022er Rauenthal zeigt mit einem schönen Rauch-Ton und einer generell dunklen Duftspur, die an Moor und Sojasauce erinnert, seine Herkunft vom Schiefer an. Dahinter findet sich süßer Kardamom und auf der Fruchtseite Ananas und Pomelo.
Der Kostschluck beginnt fruchtsüß, auch wenn nur 4,7 Gramm Restzucker vorhanden sind. Man denkt dabei an Honigmelone. Doch gleich danach stellt sich der Geschmack von Zitrusfrüchten ein – und nicht zu knapp davon! Die zitrische Ader ist auch für Theresa Breuer (kl. Bild) das Charakteristikum des nur 11% vol leichten „Rauenthal“. Das gibt diesem Wein Spannung. Der innere Sommelier in uns ruft: „Geboren für Saltimbocca“. Denn auch Kräuter-Noten hat dieser Riesling im Angebot; der Hall erinnert u. a. an Zitronenmelisse. Ein toller Einstieg in die Welt des deutschen Rieslings!
Doch Georg Breuer ist natürlich auch für seine Lagenweine, etwa den „Schlossberg“ mit seinen Künstleretiketten à la Château Mouton Rothschild, bekannt. Einen Neuzugang gab es dabei mit acht Hektar Pachtweingarten, „mit dem wir uns 2019 auf neues Terrain gewagt haben“. Die Winzerin hat aus Lorch den dritten Jahrgang des „Pfaffenwies“ mit. Und er duftet schlicht wie ein exotischer Mischfruchtsaft: Ananas, Lychee und Guave, vielleicht mit einem Hauch Mariengras verfeinert.
Im Mund ist es die Kühle, die als erstes Element auffällt, mit einer feinen Klinge legt der 2022er Riesling los. Auch hier ist ein tropischer Einschlag zu erkennen, man muss aber gut hinschmecken. Denn alles ist hier filigran. Etwa Zitronengras da, wieder ein Schnitzelchen Ananas dort. Und final kommt dann auch ein Anflug Guave zum Vorschein. Insgesamt ist dieser Wein aber wie ein Aquarell, das von den Lorcher Quarzitböden gestaltet wurde. Und Breuer hat sicher recht, wenn sie diesen 2022 zu Meeresfrüchten und Fisch empfiehlt. Diese Lage sollte man sich merken.
Bezugsquellen:
Kartäuserhof, Riesling Kabinett „Kartäuserhofberg“ 2021 wird um EUR 18,90 angeboten;
Dr. Loosen, Riesling Kabinett „Wehlener Sonnenuhr“ 2022 kostet EUR 15,90;
Georg Breuer, Estate Riesling „Rauenthal“ 2022 ist um EUR 17,90 erhältlich, der Riesling „Pfaffenwies“ 2022 um EUR 69,90 – alle Weine über Fine Wine Shop, www.finewineshop.com