Der Einzelwert ist ein Hund. Und zwar beim Wein wie beim Bier, beim Whisky wie beim Kaffee. Gerade wenig versierte Konsumenten ergreifen EINEN technischen Parameter – Restzucker, Bittereinheiten, Torfrauchgehalt, Röstdauer oder was auch immer – und nützen ihn zum kurzen Klimmzug ins Fachmännische. Das Gute daran ist der Wille zur Auseinandersetzung mit dem Produkt, die Libido nach Wissen, beim gleichzeitigen Wissen um die Begrenztheit der Zeit. Man ist kein Experte, will aber mitreden. Schließlich kauft man das Flascherl ja auch. Der technische Einzelwert ist aber eben ein Hund.
Er bringt all jene, die ihn als Grenzwert sehen („Veltliner über 13 % kann nichts“) um etliche Genussmomente. Und er führt zu einer Blickverengung, die im Extremfall das Gegenteil dessen erreicht, was man eigentlich wollte. Denn auch verhältnismässig wenige Bittereinheiten können im Verband mit den anderen, ausgeblendeten Eigenschaften eines Bier am Gaumen bitterer aufschlagen als ein Gebräu mit 14 IBU mehr. „Herbe Enttäuschung“, möchte man kalauern, aber dann würde diese Einleitung noch länger. Und es geht heute um Whisky. Den für vielen einzig wahren, nämlich mit Rauchmalz erzeugten Single Malt von der Insel Islay.
Was ihn auszeichnet, der Anteil des Rauchs vom Torffeuer, mit dem das Brenngetreide gedarrt wird, hat nämlich auch ein Maß. Ppm oder parts per million gibt den Phenolgehalt an. Womit für die Scheuklappenfraktion des Single Malts klar ist: Je mehr ppm, desto rauchiger schmeckt es! Und natürlich gibt es dann irgendwann den rauchigsten Whisky der Welt. Diesen Rekord holte sich die Bruichladdich-Destillerie mit ihrem „Octomore“. 258 ppm wurden bei der Abfüllung „Octomore 6.3“ gemessen. Nur schmeckt der bei weitem nicht so rauchig wie ein sagen wir 10 Jahre alter Islay Malt des Mitbewerbs mit einem knappen Viertel dieses Phenolgehalts. Im direkten Vergleich der vermeintlichen Torfbomben, zu dem man in die Geheime Specerey in Salzburg lud, fällt dies besonders auf.
Lernpunkte: Terroir-Whisky und Gersten-Jahrgänge
Das „Verschwinden“ des Selchrauchs liegt zum einen am Alkohol, erklärt Bruichladdich-Kenner Ewald Stromer. Was bei 40% als ausgeleckter Aschenbecher rüberkommt am Gaumen, bliebe bei einer Fassstärke des Octomore von jenseits der 60% praktisch unbemerkt. Dazu nimmt die verwendete Gerste den Rauch je nach Jahrgang unterschiedlich auf. Das ist die Lehre des Vergleichs von Octomore 7.1 und 7.3, Kostglas an Kostglas. Denn Bruichladdich folgt dem Terroir-Konzept beim Getreide und bietet zwei unterschiedliche Provenienzen an: Während für den 7.3, erkennbar an der weissen Flasche, ausschließlich Gerste aus Islay getorft wurde, ist in der schwarzen Bottle Octomore 7.1 gemälzte schottische Gerste aus Moray und Aberdeenshire. Und diese schottische Gerste dürfte den Torf besser angenommen haben: Laut Etikett sind es 208 ppm, während der Octomore 7.3 mit dem Islay-eigenen Getreide (es ist die erst zweite Abfüllung mit Gerste der Octomore-Farm) bei 169 ppm hält. Jetzt aber weg von diesen Einzelwerten und rein mit der Nase ins Glas!
Wenig überraschend zeigt sich der Rauch-Charakter präsenter beim 7.1: Leder trifft auf Bockshörndl, Nussschoko und eine subtile Selchnote. Am Gaumen bleibt es fürs Erste bei Nougat und Orangenzesten, allmählich mengt sich Pfeffer in den Octomore-Cocktail. Die Nuss-Note, im Nougat schon als Haselnuss vorhanden, wird mit einem den Dram aufschließenden Tropfen Wasser nicht nur deutlicher. Sie verwandelt sich auch in herbere, an Pekan- und Walnuss erinnernde Aromatik, ehe der Whisky ausklingt und dabei eine Spur aus Salzmandeln hinter sich herzieht.
Fast genau umgekehrt legt es der Octomore 7.3 an, dessen Rauchigkeit anfangs gar nicht da ist. Dafür schickt er einen anheimelnden Duft aus dem Glas, der mit seinem Spiel zwischen Orangen (Frucht, nicht Schale), Kokos und „Manner“-Schnitten eher auf der süßen Seite des Spektrums zu suchen ist. Orange notierten wir auch im Antrunk als erstes, Nougat und Nuss-Schokolade, mit einem Touch Vanille folgen. Fügt man Wasser zu diesem (für seine 63 Volumsprozent) recht zugänglichen Single Malt, erblühen die fruchtigen Noten förmlich. Dann kommt Quitte und ein fast Riesling-hafte Pfirsichnote dazu. Sie dürfte mit dem Anteil an Tempranillo-Fässern zu tun haben, dem mehrheitlich verwendeten Bourbon-Cask sind solche intensiven, hellen Frucht-Töne eher fremd. Und der Rauch? Der betritt spät die Aromenbühne, beherrscht sie aber sofort. Der lange, phenolische Hall verortet den Whisky eindeutig in Islay und verleiht dem an sich bereits vielschichtigen – Nuss, Vanille und einen ganzen Fruchtkorb hatten wir schon – Dram noch einen ausgeprägten Schlusspunkt.
Kategorien verschwimmen: Black Art als Schlusspunkt
Der 2010 gebrannte Octomore 7.3 war der Whisky des Abends, hätte man nicht noch eine Flasche herausgezaubert – das Wort passt hier, denn der mit alchemistischen Symbolen versehene „Black Art“ hat sich nach 23 Jahren im Eichenfass auf magische Weise dem Rum angenähert. Macadamianuss, cremig und mit Schmelz, schwebt einem beim ersten Riechen vor, dazu unverkennbare Kokosnoten der Fasslagerung. Gepaart mit dem Milchschokoton ergibt das eine eher aus der Karibik bekannte Gemengelage. Alkoholisch ist hier nichts, auch wenn der Blick auf das Etikett 49,2 % anzeigt.
Elegant und fast ätherisch legt sich diese „Schwarze Kunst“ auf die Zunge, als wolle er signalisieren: Nimm Dir Zeit! Selbst der gefühlte Alkohol steigt allmählich an, aus Rosine, Kokosnuss und Kaffee ergibt sich zunächst eine Art kräftiges Malaga-Eis. Vor allem ab der Mitte wird diese Cremigkeit mit etwas Würze gebrochen. Die herben Noten wie der Espresso nehmen zu, um dann mit zartem Rauch und Vanille auszuklingen. Was bleibt ist der Nachgeschmack, den man vielleicht vom Eiskaffee kennt. Von der Islay-DNA, wie man sie landläufig kennt (despektierlich auch als „verbrannter Autoreifen“ bezeichnet), hat man sich hier entfernt. Der Black Art lässt aber mit jedem Schluck fühlen, wie fein an ihm gearbeitet wurde in den Lagerhäusern von Islay.
Bezugsquelle:
Bruichladdich, Octomore Scottish Barley 7.1 ist um EUR 115 erhältlich, der Octomore Islay Barley 7.3 um EUR 179,90 – der rare „Black Art“ ist um EUR 249 (jeweils 0,7 Liter-Flasche) zu haben, alle beim Weisshaus-Shop, www.weisshaus.at