Mit einer Überraschung im Gepäck checkte Gianluca Telloli diesmal in Wien ein. Der Apfelschaumwein-Meister aus dem Aostatal (man schreibt dort französisch, gehört aber zu Italien) öffnete diesmal auch ein paar Biere. Am langen Namen der Brauerei – „Les Bières du Gran St. Bernard“ – lässt sich noch feilen, der Output passt aber in fast allen der fünf verkosteten Stile. Der Mann hinter den Bieren, „il birraio”, heißt Rémy Charbonnier und hat die Mikrobrauerei von gut fünf Jahren mit Stefano Collé ins Leben gerufen. Das Rüstzeug holte sich der junge Mann mit den dunklen Kotletten unter anderem bei der Birrificio del Ducato, definitiv keine schlechte Adresse, wie jeder weiß, der die Biere der Brauerei aus der Region Parma kennt.
Als Haus-Stil in seiner eigenen Produktion mit Blick auf den Mont Blanc hat sich eine dezent nachhängende Bittere eingebürgert, die nicht allen Bieren gleich steht, bei unseren drei Favoriten aber wesentlich zum abgerundeten Geschmack beiträgt. Am deutlichsten ist sie beim GNP. Ausgesprochen würde das Genepì, wobei auch das nur Kennern der Alpin-Flora etwas sagt. Im Pinzgau kommt die Pflanze aus der Familie der Wermut-Gewächse als Goldraute vor, offiziell nennt der Botaniker sie Ährige Edelraute (Artemisia genipi). Wie so manchen Bitterlikör im nördlichen Piemont würzt das herbe Kräutlein hier also ein Bier, genauer gesagt ein belgisches Tripel, wie wir es aus den Trappisten-Brauereien kennen.
Das obergärige GNP bringt entsprechend die Banane-Note dieser Gärführung mit, im Duft sind weiters zarter Honig und Cornflakes zu bemerken, die Kräuterwürze flirrt eher im Hintergrund und lässt ein wenig an frischen Estragon denken. Das helle Malz ergibt im Antrunk ebenfalls eine leicht an Weizen-Bockbier erinnernde Melange aus Getreide, zartem Hefegeschmack und Bananenmark, ehe ab dem mittleren Gaumen die Bittere einsetzt. Sie bleibt lange und recht würzig haften, erst am Ende stellt man fest, dass hier keine Hopfen-Stopfung stattfand, sondern eine Edelrauten-Infusion. Der Nachklang ist nicht hopfenbitter, sondern erinnert an Wermut und Artischocken. Definitiv ein grandioses Bier, vor allem auch als Speisenbegleiter – zarte Süße, Würzigkeit und die Kraft von 8% Alkohol lassen an so manches Gericht andocken.
Märzen heißt das Vorbild, Balance die Vorgabe
Wenn man ein Märzen serviert, lautet der erste Reflex des Craft Beer-Freundes „Hände weg“. Doch in diesem Fall wurde die deutsche Variante, nicht das kantenlose heimische Lager, als Vorbild gewählt. Das letzte Bier, meist im März eingebraut, wenn die kühle Temperatur für die Bierlagerung schwand, wurde immer kräftiger mit Malz versehen. Damit stieg der Alkohol, das Bier sollte im Idealfall über den Sommer halten. Und in diesem historischen Sinne, der Bierfreunde dies und jenseits des Walserbergs gern verwirrt, wenn sie sich über Märzen-Bier austauschen, braut man im Valle d’Aosta auch das „Balance“ mit seinen 5,6 Volumsprozenten.
Zarte Süße prägt bereits den Duft nach Mandelmilch, gerösteten Haselnüssen und Pumpernickel-Brot. Am Gaumen kommen zu den malzigen Noten auch noch einige röstige Akzente, vor allem Maroni geben einen Eindruck von der cremig-Süßen, aber eben auch bitter-röstigen Melange. Das Spiel ist beabsichtigt, die namensgebende Balance soll sich aus Süße (Münchner Malz) und Bittere (Hopfen) einstellen. Das gelingt perfekt und lässt an den momentan auch in Österreich wieder entdeckten Stil eines Wiener Lager denken. Wieder rundet diese leichte Bittere am Ende das deutsche Märzen italienischer Provenienz ab.
Nymphe und Amy Winehouse als Bier-Musen
Das helle Lager der Brauerei aus Etroubles, nach einer Nymphe „Napea“ genannt, erweist sich als eher brav, im Zweifel gefiel uns das klassisch-britische Bitter Ale „Via Francigena“ schon besser. Da man am Anstieg zum Großen St. Bernhard-Paß liegt, der die alte Pilgerstraße von Canterbury nach Rom teilt, wurde die dieser Name gewählt. Hier kommt die Bittere im Finish gut zur Geltung, die Leichtigkeit des 3,3%-igen Bitter macht es zu einem schönen Sommer-Schluck.
Definitiv nicht in diese Richtung schlägt das dunkle Bier Rémy Carbonniers, das er der verstorbenen Amy Winehouse gewidmet hat. Als Oatmeal Stout eingebraut, trifft sich die Cremigkeit des Hafers mit den dunklen Röstmalznoten, Kaffee und Vanille im Duft, dazu eine zarte Lakritznote im Antrunk, passt hier auch die Karbonisierung, wie ein Bitterschoko-Schäumchen schlurrt das „Amy“ dazwischen zusammen, ehe die Bittere am Ende doch noch zuschlägt. Ohne diesen Hopfenanteil (immerhin 35 IBU, also Bitter Units, sind es geworden) wäre das ein braves Dunkelbier – und brav war Namensgeberin Amy leider nie. Von wegen „They tried to make me go to rehab, but I said, ‚No, no, no“.
Bezugsquelle:
Les Bieres du Grand St. Bernard, das Triple „GNP“, das Märzen „Balance“ und das Oatmeal Stout „Amy“ sind wie das Bitter „Via Francigena“ und das Blonde „Napea“ um jeweils EUR 3,95 (0,33 Liter) bei Prodotti Tipici d’Aosta erhältlich; parallel gibt es ein Kost-Set mit sechs Bieren (die fünf hier erwähnten plus das Roggenbier „Blou“) um EUR 23,10, www.prodottitipicivalledaosta.it