Jetzt, mit gebührendem Abstand zur Fussball-EM kann man es ja sagen: Beim Weinmachen haben die deutschen Nachbarn vielleicht mehr Glück.Das zumindest ergab der Besuch bei zwei sehr unterschiedlichen Weingütern, die sich in Wien aber einen Tisch teilten, um ihre Rieslinge vorzustellen. Da braucht man uns nicht lange bitten, der deutsche Riesling ist für uns ein Europameister der Herzen. und 2015, das deutet sich auch in Österreich an, war ein Riesling-Jahr. Doch die Probe beginnt mit einem weitaus übler beleumundeten Jahrgang.
Das vielfach bei den trockenen Weinen katastrophale Jahr 2010 erweist sich aber einmal mehr als ein Glücksfall für die später gelesenen Qualitäten. Was wir für die Auslesen schon einmal festhielten, unterstreicht auch die 2010er Spätlese von Nik Weis: Der Riesling Saarfeilser Große Lage riecht rauchig und so mineralisch wie frischer Kalk. Am Gaumen belohnt er dafür mit einer goldig-klaren Frucht, die man in dieser Ausprägung selten findet. Machen wir es kurz: Honig, Mango, Lychee und Salz gehen hier eine Symbiose ein, die bei aller Süße einen unglaublich komplexen Wein ausmachen. Man soll es nicht zu oft sagen, aber diese Balance bringen nur deutsche Spitzenlagen zusammen.
Der Zucker ist hier wie das Salz in der Suppe
Martin Moll, Weingut Nik Weis
Wiltinger Alten Reben nennt sich der Wein aus 1905 gepflanzten Reben, der zeigt, was Moll mit seinem Diktum vom Zucker als Suppenwürze gemeint haben kann. 110 Jahre später wurde der aktuelle Jahrgang geerntet. Und die Balance dieses mineralisch geprägten Weins aus wurzelechten Stöcken beginnt bereits im Duft – einerseits ist hier pure Salzigkeit, andrerseits die süß-saure Melange einer Zwiebelmarmelade. Säurige Frucht und ein klarer Bodenton setzen also den Auftakt, ehe dann der Gaumen die saftige Tropenfrucht registriert, die sich im Verlauf als saftige Blutorange zu erkennen gibt. Säure sorgt für den Ausgleich zu dieser vom Restzucker befeuerten Schmelzigkeit, sie ist es auch, die die Alten Reben ins Finish trägt. So vielschichtig dieser Wein ist, so lang fällt auch der Abgang aus.
Von Hövel: Zucker-Ausbalancieren an der Saar
Doch es wir Zeit, auch den Tischnachbarn um einen Kostschluck zu bitten. Also – Szenenwechsel an die Saar: Sieben Generationen betrieben am Weingut von Hövel das Winzerhandwerk. Maximilian von Kunow, der das Weingut heute leitet, hat die Zeit genutzt, als das Anbaugebiet Saar absolut „demodé“ war. „Vergessene Cru-Lagen“, also kleine Filetstücke da und dort, wurden gekauft. Die Fläche wuchs unter von Kunow von zehn auf 22 Hektar an, heute hat man vor allem jene Lagen, die den typischen „Saar-Geschmack“ mitbringen. Für den Winzer ist es der Quarzit, „der den Weinen eine prägnante Schärfe mitgibt“.
„Hütte Oberemmel“ heißt die Monopollage des Weinguts und die 45 Jahre alten Reben bringen einen spontan vergorenen Riesling Kabinett hervor, der nach wie vor im klassischen Gebind, dem Fuder, ausgebaut wird. Anderswo reine Folklore bzw. zur Redensart degradiert, haben die 1.000-Liter-Fässer hier immer noch ihren Einsatz bei der Weinbereitung. Der Jahrgang 2015 ist trotz seiner Jugend ein Beispiel für die Balance, die sogenannte „fruchtige“ Rieslinge, also solche mit einigem Restzucker (hier sind es 35 Gramm pro Liter), hervorbringen können. Denn schon der Duft nach Lemon Cheescake zeigt beide Seiten der Medaille, Frucht und Säurigkeit. „Präzise“ ist auch das erste Wort, das einem zum Kostschluck einfällt. Die kühle Art straft den Analysewert des Zuckers Lügen, dazu finden sich auch jede Menge Zitrusfrüchte, besonders eine Grapefruitnote im Finish. Sie rundet die gelbfruchtig-strahlende Frucht, irgendwo zwischen Golden Delicious-Apfel und Nektarine, ab.
Die Riesling-Spätlese vom weltberühmten Scharzhofberg, auch sie ein 2015er Gewächs, bringt demgegenüber satte 80 Gramm Restzucker mit. Ein Schiefer-Ton, dazu frische Zitronenzesten und auch saftiges Cassis machen neugierig. Am Gaumen schmiegt sich dann der satte, vom Zucker unterstützte Fruchtschmelz von Marille und Kumquat an. Das Finale hingegen legt mit einer ordentlichen Salzigkeit nach, wer nicht an Terroir-Weine glaubt, sollte einmal schmecken, wie hier der Boden-Ton unbeirrt durch die süße Fruchtwand schneidet.
Bezugsquellen:
Nik Weis (St. Urbans-Hof), Riesling „Wiltinger“ Alte Reben 2015 ist um EUR 14,90 erhältlich, der Riesling „Saarfeilser“ Spätlese 2010 um EUR 31, alle bei Gottardi & Partner, www.gottardi-partner.at
Weingut von Hövel, Riesling Kabinett „Hütte Oberemmel“ 2015 ist um EUR 14,95 erhältlich, der Scharzhofberger Riesling 2015 um EUR, beide bei Vicampo, www.vicampo.de