Ein Vierteljahrhundert. Gewaltig! Und doch nur die halbe Wahrheit. Denn Wein macht man bei Lackner Tinnacher seit 1770 – so steht es auf jeder Flasche und das bedeutet heuer den 250er. Die Familiengeschichte selbst lässt sich aber bis ins Jahr 1629 zurückverfolgen. Ein Leporello bringt die Höhepunkte aus dieser langen (Winzer-)Tradition. Das ästhetische Faltheft versandte Winzerin Katharina Lackner Tinnacher mit einer ungewöhnlichen Flasche. Ein warnend großes „85%“ prangte auf der Apothekerflasche.
Der Weinbrand des Hauses wurde von Fritz Tinnacher in der hauseigenen Brennerei „rektifiziert“, also erneut hochgradig destilliert. Und ergibt so ein edel aussehendes, verführerisch „schnapsig“ duftendes und vor allem leistbares Desinfektionsmittel. Da könnten sich die Herren Pharmazeuten ein Scheiberl abschneiden bei der Preisgestaltung des wirkmächtigen Halb-Liters! In normalen Zeiten nutzte nur die Winzerfamilie selbst diesen Flüssigschutz. Nun brennt man dem Virus bundesweit einen „85er“ auf. Nur bitte: Nicht trinken! Denn dafür gibt es zum Jubiläum anderes als den Handwasch-Schnaps.
Unter dem Label „Decennium“ wurde ein Riesling gefüllt, der bei Robert Parkers Wine Advocate gleich einmal 95 Punkte von Stephan Reinhardt erhalten hat. Das ist nicht nur für einen steirischen Riesling viel, das ist enorm für jeden Riesling. Doch vergessen wir Bewertungen. Denn was Lackner Tinnacher hier auf die Flasche gebracht hat, ist auch ohne sie bemerkenswert. Der Wein stammt nämlich aus dem Jahrgang 2008. „Als Auslese (mit etwas Botrytis) geerntet und dann für ein Jahrzehnt gelagert“, beschreibt die Winzerin die lange Passage, die zuerst im Fass und dann fünf Jahre im Tank auf der Fein-Hefe erfolgt ist.
Dazu gewährte man ihm auch eine Flaschenreife-Zeit: Der im Winter 2018 gefüllte Riesling kommt nun auf den Markt. Und der Duft ist schon beim Öffnen des mittlerweile ikonischen Glasverschlusses mit dem türkisen Punkt intensivst. Anfangs sind da reife Marillen und Honig, wie man es von „old school“-Wachauern kennt. Dann übernimmt nach einer Phase des buttrigen, an Milky Oolong-Tee erinnernden Einschlags die Abteilung Tropenfrucht. Mango-Lassi in Reinkultur! Etwas Mandelcreme gesellt sich noch dazu. Doch auch, wenn man hier lange schnuppern könnte – wie schmeckt denn das „Decennium“ jetzt?
Zunächst kleidet wieder Mango den Gaumen aus. Viel Fruchtsüße bringt der exotische Touch mit, aber im Hintergrund ist auch noch Säure zu spüren. Sie ist unverkennbar, rollt man den Riesling etwas länger im Mund. Denn gegen die Frucht-Wucht hat sich es nicht leicht; dicht und zupackend ist dieser Steirer (13,5% stehen übrigen szu Buche). Wie in einem Aromen-Wirbel zieht es einen immer tiefer hinein, hat man sich einmal auf diesen außergewöhnlichen Wein eingelassen: Pfirsich-Kompott, Mandarinen-Spalten und ein Mix aus Tropenfrüchten, in denen auf jeden Fall Papaya dabei war, legen sich schichten-artig übereinander. Das klingt nicht nur viel, sondern fordert auch, zumal die 12 Gramm Restzucker auch Süße mitbringen.
Aber erneut meldet sich ein Gegenspieler zu dieser Frucht-Sattheit; war es eingangs die Säure, die anschob, befördert nun ein zarter Gerbstoff die Lust auf den nächsten Schluck. Das leichte Bitterl kommt im Finish zum Tragen und steht dem Riesling ausnehmend gut. Wie bei manchen Honigen, die auch Bitterkeit mitbringen, verhält es sich hier.
Die Balance dieses am Weingut zur ersten Trinkreife begleiteten Weins ist beachtlich. Er verbindet die Aromen-Welt und Abgeklärtheit eines gelagerten Weines mit der Instant-Belohnung einer frischen Flasche, die man einfach so aufmacht. Für sich selbst. Ohne großes Belüften. Dieser Wein ist alt genug, dass er selbst entscheidet, was er preisgibt. Und das ist durchaus viel und mit jedem Glas ein bisserl mehr aus dem zwölf statt zehn Jahre dauernden „Decennium“, das er durchlebt hat. Und somit sind es auch starke Aromen, die Katharina Lackner Tinnacher zum Wein schätzt: „Am besten zur asiatischen oder orientalischen Küche oder traditionell zu einer Ente, Gans oder Leber“, empfiehlt sie die Kombination aus intensiven (Röst)Aromen und leichter Schärfe. Denn alles andere bringt der „Decennium“ eh selbst mit.
Bezugsquelle:
Lackner Tinnacher, „Destillat zur Desinfektion“ ist um EUR 10,50 (0,5 Liter-Flasche) zu haben, der Riesling „Decennium“ 2008 kostet EUR 45, beide ab Hof bzw. im Webshop, www.tinnacher.at