Auch Weine haben Geburtstag. Der „Brunello“, untrennbar mit dem toskanischen Ort Montalcino verbunden, wurde heuer z. B. 135 Jahre alt. „Erfunden“ hatte den zu 100 Prozent aus Sangiovese Grosso hergestellten Rotwein Ferruccio Biondi Santi. 1888 kam sein Wein als erster mit dem offiziellen Namen „Brunello di Montalcino“ auf den Markt. Der Glanz des Familiennamens währte lange, schließlich verfasste sein Sohn Tancredi Biondi Santi noch mit 74 Jahren das Reglement für die neue DOC-Appellation, die der „Brunello“ 1967 erhielt. Bis heute trägt auch ein wichtiger Trauben-Klon der Region den Namen „BBS 11“ (was für Brunello Biondi Santi steht). Doch die Wolken zogen mit dem konservativen Bewahrer dieses Stils in der dritten Generation auf: Franco Biondi Santi überwarf sich mit seinem Sohn in einem der bekanntesten Familiendramen der daran nicht armen italienischen Weinhistorie.
Mit dem Einstieg der „Société EPI“ bei Biondi-Santi kam dann 2017 ausgerechnet ein französischer Investor zum Zug. Das musste man erst einmal verdauen in der Toskana! Wobei Christopher Descours‘ Gruppe bereits bei den von ihr erworbenen Champagner-Häusern (Charles Heidsieck und Piper-Heidsieck) bewiesen hatte, dass es um Langfrist-Perspektiven geht. Das unterstreicht auch der Leiter der italienischen Beteiligungen, zu denen auch Isole e Olena gehört.
Giampero Bertolini ist bei Biondi-Santi offenbar vor allem dabei, Evidenz zu den Details zu sammeln. Er selbst nennt es: „Ein neues Rezept für den altbekannten Stil finden“. In den fünf Jahren seit seinem Amtsantritt hinterfragt man vieles. Sechs Hektar wurden neu ausgepflanzt, um die drei Weine des Hauses – Rosso, Brunello und Riserva – in die Zukunft zu führen. Dazu tragen Maßnahmen in den Weingärten ebenso bei wie eine großangelegte Analyse des Bodens, die der chilenische Experte Pedro Parra in den letzten vier Jahren vorgenommen hat. Denn die Böden hinter den rd. 100.000 Flaschen Jahresproduktion sind weitaus verschiedener, als bislang angenommen. Vom kalk-reichen, ältesten Weingarten rund um „Il Greppo“, der 1936 bepflanzt wurde, bis zu „Pievecchia“ in der Ebene mit seinem Ton-haltigen Boden.
Was bleiben muss: Die Frische des Rosso di Montalcino
Wir verkosteten den „Rosso di Montalcino“, der im Jahrgang 2020 eine schöne Ausgewogenheit aufweist, wie ihn CEO Bertolini auslobt. Das sind keine hohlen Worte: Wie auch bei der sehr gesuchten „Riserva“ geht es mehr um kräftige Säure und das Tannin-Gerüst; diese Strukturgeber werden der Frucht eindeutig vorgezogen. Lesezeitpunkt und Selektion des Traubenmaterials (mittlerweile mit einer optischen Sortieranlage unterstützt) sind dafür maßgeblich. Dazu hält man im kühleren Nord-Osten Montalcinos den Alkohol möglichst gering. „Unter 14%“ gilt als Vorgabe, so Signore Bertolini. Selbst im heißen Jahrgang 2017 blieb man beim Brunello bei 13,5%, gibt er ein Beispiel. Es ist auch jener Alkoholwert, den der 2020er „Rosso“ aufweist.
Ein Detail der Produktion und die Traditionsverbundenheit der neuen Eigentümer stellen auch die großen Holzfässer dar, die man seit über 100 Jahren von Garbellotto bezieht. 1.000 bis 1.500 Liter sind die erneuten Gebinde aus slawonischer Eiche groß, in denen der „Rosso“ ein Jahr reift. Er wird vermeintlich als der „kleine“ Wein des Weinguts angesehen, doch mengenmäßig stellt er gerade 25% der Produktion bei Biondi-Santi. Wie im gesamten Gebiet dominiert mengenmäßig nämlich die Produktion des Brunello. Aufwand treibt man dennoch genug. „Neun Blending-Sessions waren für die optimale Abstimmung nötig“, so Giampero Bertolini bei unserer Verkostung. Entsprechend komplex ist aber auch das Ergebnis.
Der 2020er riecht nach roten und schwarzen Waldbeeren, vor allem Myrten, Himbeere und Heidelbeere. Auffällig ist die Veilchen-Duftnote des Sangiovese, die sich mit einer anfangs fast greifbaren Frische von Kräutern paart. Thai-Basilikum, Lorbeer und etwas Zedernholz rahmen die Frucht, die sich erst nach zwei, drei Stunden voll durchsetzt.
Im Mund ist die Säure dieses 2020ers ebenfalls das erste Merkmal, gefolgt vom sofort merklichen Tannin, das allmählich an Kraft zunimmt. Aber wie bei einem guten Espresso stehen diese beiden in einem balancierten Verhältnis: Die Bitterkeit stützt ebenso wie der an Orangen erinnernde säurige Akkord die eigentliche Beeren-Frucht des „Rosso di Montalcino“. Brombeere, allerdings frisch und nicht überreif im Merlot-Stil, ist ebenso zu schmecken wie Cranberries. Für die würzige Seite sorgt ein frisch gepflücktes Sträußchen Thymian. Der Gerbstoff des Sangiovese meldet sich hingegen als Anflug dunkler Schokolade. Was nicht zuletzt einen ziemlich vielseitigen Begleiter zur (italienischen) Küche aus dem bewusst zugänglich, aber nicht opulent-fruchtig vinifizierten „Rosso“ 2020 macht.
Klar ist übrigens die Meinung Giampero Bertolini zum gerade letzte Woche lancierten Vorstoß des Consorzio del vino Brunello di Montalcino. Der Verband will die Anbaufläche des „Rosso“ massiv ausbauen. Nicht mehr Menge brauche es, sondern bessere Qualitäten – „dann können wir auch junge Konsumenten zum Brunello hinführen“. Den 2020er könnte man sich da schon als Beispiel nehmen; da ist das jedenfalls gelungen!
Bezugsquelle:
Biondi-Santi, Rosso di Montalcino DOC 2020 ist um EUR 74,93 beim Italien-Spezialisten Tannico erhältlich, www.tannico.at