Das Format ist mittlerweile bestens eingespielt und hat einen edukativen Charakter: Weinverkostungen im Reznicek vereinen drei Winzer aus einem Weinbaugebiet. In thematisch zusammengestellten Runden geht es dann in die Tiefe. Offen, mit Anekdoten und Selbstkritik, denn auch die Entwicklung über die Jahre ist dem subtilen Moderator Simon Schubert wichtig. Nicht jedes Holzfass, auf das man Anno 1998 geschworen hat, ist auch 2024 im Einsatz. Um einen Punkt zu nennen, der bei den bisherigen Nachmittagen immer wieder in den ehrlichen Selbstanalysen der Winzer auftauchte.
Diesmal war es Carnuntum, dem sich das Wein-Wirtshaus in Wien-9 widmete. Eine Konstante der österreichischen Weinwelt, deren Spitzenerzeugnisse – weil rot und „aus dem Osten“ – lange im Schatten der opulenten burgenländischen Cuvées nach Bordelaiser Vorbild standen. „Die Burgenländer kommen wieder“, sei er oft am Arlberg begrüßt worden, erinnerte sich Gerhard Markowitsch an diese Zeit. Er stellte zusammen mit Tochter Johanna seine Weine vor, Dorli Muhr und Philipp Grassl machten das hochkarätige Trio aus NÖ komplett. Der Tag mit den „Grand Crus der drei Häuser“ (© Simon Schubert) sollte aber nicht nur Spitzerberg (Muhr), Bärnreiser (Grassl) und Rosenberg (Markowitsch) im „deep dive“ durch die Jahrzehnte darstellen. 48% der Fläche ist schließlich Weißweinsorten gewidmet. Und auch diese sind in den besten Fällen mehr als günstige Bankett-Weine, als die man sie beständig bei Cateringanbietern ordern konnte.
„Wenn es etwas Besonderes zu feiern gab, hat der Großvater immer den 1969er Weißburgunder aufgemacht“! Diese Erinnerung Philipp Grassls unterstrich, dass es in Carnuntum auch Weißwein-Jahrgänge von Rang gab und gibt. Allerdings sind es in Grassls Fall vor allem Burgunder-Sorten und kein Grüner Veltliner. Das hat sich nicht geändert. Im Ortswein-Flight zeigt der „Höflein“ einen Chardonnay-Typus, der seine Spannung nicht vom aktuell allgegenwärtigen Stilvorbild Burgund abgepaust hat. Nicht die Reduktivität gibt diesem Wein die Spannung, sondern Unterstützung der kühlen Anlagen. In der Nase erinnert das an Pomelo und Senfgurken durch die säurig-würzige Art. Viel tut sich, wenn man dem 2021er Luft gibt. Dann zeigen sich auf der Fruchtseite auch Grüne Mango und Apfelquitten. Im Mund wird daraus ein kühler Typ, der mit zart herben Zitrustönen (Pomelo erneut!) und feiner Würze ein anregendes Getränk ergibt. Definitiv nicht unterkomplex und eine deutliche Werbung für den Carnuntumer Ortswein als solchen.
Man kann aber auch gleich vorgreifen und Grassls Lagen-Chardonnay ausloben. Der „Ried Rothenberg“ 2021 stammt von einer kühlen Lage, die der Winzer selbst als Schotterhügel unweit der Donau charakterisiert. Der herrliche Mix aus Zitrusfrüchten lässt wie bei einem Daumenkino der Agrumen Mandarine, Kumquat, Bergamotte und Cedratzitronen vorbeilaufen. Nur, dass es hier nicht das Auge, sondern die Nase ist, mit der man staunt. Saftiger als erwartet, verändert der Chardonnay dann sein Antlitz, wenn er auf die Zunge trifft. Hier dreht er ins Tropenfruchtige; Ananas und Mango, alle beide zart und vor allem kühl, nicht aufdringlich, in ihrer Fruchtausprägung erfreuen zum Auftakt. Eine dramaturgische Pause gönnte der 2021er einem dann. Ehe im Nachhall eine salzige Ader anschwillt, die zum Spannungsaufbau das letzte Schäuferl drauflegt.
Der „Ried Schüttenberg“ 2021 als Flight-Partner von Markowitsch wiederum zeigt anfangs noch ein wenig Fett in der Nase (Butterkeks, Vanille), ehe er schnell kühler wird. Im Mund ist die Melange aus Apfel-Schale, brauner Senfsaat und Mirabelle ohnehin engmaschig, präzis und aufmunternd. „Die höchste Kalkauflage“, expliziert Johanna Markowitsch, lässt hier die würzige-frische Art am Gaumen entstehen. Spannend daran sind vor allem die Unterschiede zum Chardonnay von Grassl. Man darf diesen Flight als Ouvertüre zu den so unterschiedlichen Rotweinen des Trios lesen. Denn auch da sind Prellenkirchen, Höflein und Göttlesbrunn unterschiedlicher, als es die geringe Luftlinie dazwischen vermuten ließe.
Für die Wein-Feinspitze diente dann der dritte Flight – eine Rückschau in die „Nuller-Jahre“. Der erste Spitzerberg-Jahrgang Dorli Muhrs, 2008 unter viel Schweiß bzw. Regenwasser erkämpft, befand sich dabei geschmacklich in einem Schwebezustand, für den es anderswo die Bezeichnung „hors d’age“ gibt. Alterslos! Sakura und Schwarztee, kühle Noten, die im Finish von Blutorange gekrönt werden, standen für eine schlanke Linie. Damals gab sie die Natur vor, heute wird die bewusst im ganzen Gebiet angestrebt. Noch erstaunlicher allerdings war die Frische des 2004er „Rosenbergs“. Gerhard Markowitschs Wein kitzelte die Nase mit der Pikanz Grüner Tomaten und Kornellkirschen. Mit mehr Luft gesellten sich Sommertrüffel hinzu. Doch um nicht zu sehr ins Schwärmen über längst vergriffene Jahrgänge zu geraten, machen wir’s kurz: Dieser Wein ist aktuell in herrlicher Form!
Schwenken wir nun den Lichtkegel der Aufmerksamkeit auf die aktuellen (und damit noch erhältlichen) Weine, dann geht es um das Trio aus dem Jahr 2021. Der teils 1955 gepflanzte „Obere Spitzer“ von Dorli Muhr stellte dabei nicht nur die älteste Anlage dar, sondern hatte auch die markantesten Duftnoten. Schon zuvor hatte Philipp Grassl seinen Eindruck aus den Verkostungen der Blaufränkischen erwähnt. Gut so, denn ohne diesen olfaktorischen Tippgeber („er hat für mich immer etwas Kümmeliges“) wäre man nicht sofort auf Kümmel gekommen. Doch er war nur die erste Note eine ganzen Reihe an Eindrücken, die allesamt für Würze und Struktur stehen, nicht für Frucht: Langpfeffer, Rote Paprika, Kümmel und etwas getrockneter Lorbeer waren da zu riechen.
Der immer noch teilweise ganz archaisch mit den blanken Füssen gepresste Wein liefert am Gaumen zwar etwas Beeren-Noten, so als wollte er zeigen, dass er auch das zu bieten hat. Doch den sanften Erdbeer-Eindrücken folgt erneut ein Leeren der Gewürzlade – der Kümmel darf ätherisch-pikant auch im Mittelteil wirken. Mit zarter Vanille und ebenso nur angedeuteten Heidelbeer-Noten klingt der 2021er aus. Er ist zugänglich, wird aber wie viele Weine Muhrs erst in einigen Jahren seine ganze Finesse zeigen. Dazwischen heißt es „Bitte warten“. Sofern man sich einen Teil der nachgerade winzigen Flaschen-Anzahl dieses westlichen Stücks der vier Subzonen des Spitzerbergs sichern konnte!
Gerhard Markowitschs 2021er „Rosenberg“ braucht Luft, aber das wissen Fans dieses Weins. Dann wird aus der anfangs offenen, aber schwer zu fassenden Duftnote ein klares Bild: Eisen wie bei einem rostigen Gartentor, Tomatenblätter und getrocknete Waldbeeren nehmen drei unterschiedliche Seiten der Cuvée (55% Zweigelt, 30% Merlot, 15% Blaufränkisch) vorweg. Denn auch der Geschmack bringt die Würzlaken-attraktive Spannung aus pikanten und säurigen Noten zum Vorschein. Fleischsaft, frischer Wacholder und getrocknete Steinpilze stehen für diesen Mix. Das Tannin ist dabei bereits recht rundgeschliffen. Ein Rudiment von Säure liefert in Form von Sanddorn und Hagebutte dann den letzten Gruß des 2021ers am Gaumen. Auch hier darf man sich auf eine herrliche Entwicklung freuen.
Beim zuletzt verkosteten 2015er „Rosenberg“ war nach acht Jahren das erste Plateau erreicht. Es ist eine bewußte Entscheidung der Markowitschs, die Weine – der Zappelphilipp-Ungeduld der digitalen Welt zum Trotz – nicht früher zugänglich zu machen. Das klang in einem Nebensatz der Reznicek-Verkostung deutlich durch. Und wir hören es mit Freuden.
Zumal das auch für den dritten der Carnuntumer „Crus“ gilt. Ein so schönes Granatrot zeigt der „Bärnreiser“ 2021, dass wir das auch gesondert notieren. Dazu kommt seine säurig unterlegte Kirschfrucht, die immer dunkler wird, je mehr man ins Glas hineinriecht. Dann denkt man an Brombeeren, Schwarze Oliven und Salbei. „Dunkle Reife“ nennt es Philipp Grassl, wenn er vom Idealausdruck dieser Lage spricht: „Tiefgründige Frucht, ohne marmeladig zu sein“ soll der „Bärnreiser“ liefern und das tut er im aktuellen Jahrgang perfekt. Wie Heidelbeersaft wirkt der erste Schluck, so dunkel, zart herb und nahezu ansatzlos in den Geschmack von Plantagen-Schoko fällt die Cuvée (Zweigelt, Blaufränkisch, Merlot und Cabernet Sauvignon) aus.
Die Säure wird von diesen Eindrücken, zu denen man auch Brombeere rechnen kann, fast versteckt. Sie ist aber da und trägt den massiven Bau, den jugendliche Kraft hier auftürmt. So wirkt hier nichts schwer oder üppig. Der „Bärnreiser“ 2021 könnte – weil gerade „Martini“ war – das Gansl des November 2025 locker begleiten. Aber vermutlich auch noch das des Jahres 2035.
Bezugsquelle:
Weingut Philipp Grassl, Chardonnay „Höflein“ ist aktuell als 2023er Jahrgang zu EUR 16,80 erhältlich, vom Lagen-Chardonnay „Ried Rothenberg“ wird 2022 zu EUR 21,80 angeboten und der „Bärnreiser“ 2021 kostet EUR 33,80 – alle Weine ab Hof bzw. im Webshop Grassls, www.grassl.wine
Weingut Dorli Muhr, Blaufränkisch „Obere Spitzer“ 2021 kostet EUR 120,- ab Hof bzw. im Webshop, https://dorlimuhr.at
Gerhard Markowitsch, Chardonnay „Ried Schüttenberg“ 2022 kostet EUR 33,-, die Cuvée „Ried Rosenberg“ 2021 wird um EUR 37,- im E-Laden bzw. ab Hof angeboten, www.markowitsch.at