Was immer beim Portfolio-Tasting von Kracher Fine Wine beeindruckt, ist der internationale Akzent. Denn es macht einen Unterschied, ob österreichische Sammler sich über die Preise in Bordeaux ärgern. Oder man mit den Winzern vor Ort diese Diskussion führt. Vor allem geht es ja weniger um den jährlichen Tarif, als um die Geschmacksintensität der aktuellen Jahrgänge. Beim Kosten im Palais Niederösterreich stellte dafür Clos Saint Julien ein gutes Beispiel dar. Nach allen Maßstäben der Kunst ist Cathérine Papon-Nouvels Wein rar: 1,4 Hektar erntet sie. Und der „Clos“ folgt dabei burgundischen Definitionen- er ist ein geschlossener Weingarten, der von einer Mauer umgeben ist.
Im Bordelais sind derlei Rieden eine Seltenheit und der „grand vin“ aus dieser Parzelle begegnet einem auch nicht unbedingt häufig. Der Duft des 2019ers ist so würzig, dass keinerlei Zweifel besteht, dass hier der Cabernet Franc die Hauptrolle spielt. Cassis, eine frischer Stängel-Ton und vor allem eine ausgeprägt würzige Nase nach Piment d’Espelette liefert hier einen un-österreichischen Duft. Keine Sauerkirsche, keine schwarze Olive, sondern ein mediterranes Gewürz-Kasterl sind hier zu verbuchen. Reife Schwarze Johannisbeere, Thymian und etwas Teer liefern die Haupt-Eindrücke am Gaumen. Die Frucht prescht vor, die Würze lässt sich aber nicht irritieren. Das ist „CF“-geprägter Bordeaux in den jungen Jahren. Für die Reifung ist jeder Käufer selbst verantwortlich.
Was bei Importeur Kracher in den letzten Jahren forciert wurde, war Cathérine Papon-Nouvels (kl. Bild) elterliches Weingut, das sich Petit Gravet Ainé nennt. Dort kommt der 2019er (90% Cabernet Franc und 10% Merlot) ins Glas und erinnert dabei an Grenadine, Kaffee und eine tief reichende rote Frucht – die Nase kommt schon recht nah an Preiselbeere heran. Der herbe Geruch von lang gezogenem, Schwarztee verbindet sich mit einem sehr würzigen Duft. Der Cabernet, einhellig ein sehr reifer Vertreter, wirkt bei aller Kraft des jungen Jahrgangs beinahe knackig. Am Gaumen fließen die Säfte, denn der herbe und rotfruchtige Mix verfügt auch über versteckte Säure.
Die Königsklasse schenkt Madame Papon-Nouvel aber dann fast verschämt ein. Der Fortschritt in Sachen Kellertechnik lässt sie den Jahrgang 2019 des Clos Saint Julien favorisieren. Hier wurde sorgfältig gelesen und eine microbullage (Most-Oxidation) angewandt. Das wird die Zukunft sein. Und doch ist dieser Jahrgang noch zu lebhaft. Was man aber nur vor dem Hintergrund des zweiten Weins merkt, den sie einschenkt. Denn mittlerweile hat der Jahrgang 2017 genug Zeit zum Reifen gehabt. Die reife Frucht des Cabernets kommt hier als reines Frucht-Eis daher. Der Tiefgang des 2017ers ist schon in der Nase beachtlich – man denkt an eine intensive Consommée, aber auch ein wenig Sternanis – so muss ein Rotwein seine Fans suchen (und finden)! Das alles findet, wie gesagt, vor dem Hintergrund eine geschliffenen Beerenfrucht statt, die kühl und doch zugleich hoch reif an die Nase kommt.
Das Mundgefühl fällt seidig aus und zeigt dabei keine Spuren von Gerbstoff. Was noch von der Jugend des Clos Saint Julien vorhanden ist., trägt aber zum Trinkvergnügen bei. Es ist die Säure, von der Geschmacksnoten wie Heidelbeere (ein wenig Kuchen-Anmutung eines Beeren-„Flecks“) getragen werden. Die Frucht bleibt immer kühl und ist doch ausgeprägt und Rebsorten-typisch, wenn auch ohne jegliche süßen Noten.
Wenn man länger mit Cathérine Papon-Nouvel spricht, geht es klar um die Unterschiede der beiden Jahrgänge. Da sie auch das Restaurant Chai Pascal in Saint-Émilion betreibt, weiß sie um die Nuancen. Was trinkt man als wertiges Glas, wo geht eine ganze Flasche? Der 2017er Clos Saint Julien ist eindeutige Flasche-leertrink-Material!
Bezugsquelle:
Clos Saint Julien, der Jahrgang 2019 ist um EUR 69,90 erhältlich, der reifere 2017er kostet EUR 79,90;
Château Petit Gravet Ainé, Petit Gravet Ainé 2019 kostet EUR 49,90 – alle Weine im Fine Wine Shop, www.finewineshop.com