Carnuntums umfassende Lagen-Schau (hier Teil 1 zum Nachlesen) servierte ein auffallend kompaktes Paket an Weinen vom Spitzerberg. „Es wäre aber unfair“, so der Tenor beim Essen im Landgasthof Muhr, Schauplatz der Weinprobe, „ihn mit den anderen zu vergleichen“. Weniger wegen des Potentials der Lage nördlich von Prellenkirchen, sondern wegen des Vorsprungs, den man hier im Bemühen um einen gemeinsamen Stil hat. Anders gesagt: Wo der Spitzerberg schon ist in seiner Erkennbarkeit, wollen/sollen/könnten andere Rieden der Weinregion in den nächsten Jahrzehnten hin.
Dabei bewegten sich die Weine nicht auf gleichem Niveau, doch eine Grundcharakteristik war bei den Proben erkennbar: Tief dunkle Noten, irgendwo zwischen Dörrzwetschke, Graphit und Brombeeren, paarten sich mit einer extremen Würze, die von Tabakblättern und Lorbeer bis zu Harissa reichte. Die Säure machte hier den größten Unterschied, nicht jeder wollte die schlanke Linie wählen. Müßte man einen Maßstab wählen, wäre es wohl Johannes Trapls 2015er Spitzerberg. Der Blaufränkisch brauchte lange und auch das war eine Erkenntnis dieser Verkostung: nicht allen Roten tat die relativ kurze Standzeit in der geöffneten Flasche gut. Schwenken hilft aber (oder im Extremfall das Umleeren in andere Gläser a.k.a. Turbo-Belüftung). Dann wird aus der zarten Senfgurken-Note ein an Bleistift-Spitzer-Reste, Graphit noch satt anheftend, und Datteln erinnernder Geruch.
Der Wein aus Prellenkirchen bringt diese orientalische Frucht auch im Mund mit, hier sind es frische Feigen, die für einen saftig-zugänglichen Auftakt sorgen. Auch deshalb ist er unser Favorit unter den „Spitzerbergen“, da bereits der jugendliche Jahrgang zeigt, wo es hingehen wird: Wäre nicht das Tannin, das noch spannt wie ein nicht eingetragener Stiefel, könnte man den Trapl’schen 2015er heute schon servieren. Der Frucht steht immer eine beträchtliche Gewürz-Melange (grüner Pfeffer, Senfsaat) bei, die Zeit zum Abschleifen der Gerbstoffkante sollte man halt noch abwarten.
Zugänglicher war der Wein, der die Familienähnlichkeit zu Trapls Blaufränkisch nicht abstreiten konnte. Aber erstens kam er aus dem Jahr 2014 und zweiten von Günther Glock. Dessen Spitzerberg zeigte sich sortentypisch mit viel Würze (wieder diese schwarzen Oliven, wie in einer Tapenade!) und einer expressiven Sauerkirsch-Note. Die frische Säure entspricht dem verkorksten Jahr, das aber hier einen geradezu burgenländisch anmutenden Sortenvertreter ergab. Ribisl pur und eine herrliche Saftigkeit stehen bei Glocks 2014er zu Buche, bei dieser Jugendlichkeit kann man ihm attestieren: Der geht noch eine lange Strecke!
Winzerinnen und das Alter: Spitzerberg 2012 und 2010
Die beträchtliche Würze zeigte sich auch im ungewöhnlichen Finish des Weins Nummer 64, der von Dorli Muhrs Spitzerberg-Pionier Muhr-van der Niepoort stammte. Der 2013er Blaufränkisch bewegte sich irgendwo zwischen Tabakblättern, Hagebutte (sie begegnet uns öfter bei diesen Lagenweinen!) und Erbsenrisotto. Letzteres zeigt die kühle Ader, die sich auch im Mund einstellt. Hier ist es Eukalyptus, den wir notieren, dazu auch ein jugendlicher Auftakt, der beinahe an Chili erinnert. Bei aller Eleganz sorgt er für ordentliches Trinkanimo, vor allem das pikante Finish – Chorizo, wer’s kennt – klingt nach und macht Lust auf den nächsten Schluck vom Blaufränkisch.
Michaela Riedmüller, fernseh-bekannte (Österreichs nächster Topwinzer, Puls4) Hainburgerin, kostete ebenfalls mit. Von ihr stammte ein balancierter Blaufränkisch, der 2012 geerntet wurde. Der dunklen Seite der (Lagen-)Macht gehörten Kakao, Rose und Hagebutte an, für die säurige Seite standen im Duft Ribisln. Die Spannung hielt auch am Gaumen an, der Rotwein erinnerte an den fruchtig-säurigen Spannungsbogen von Hagebutten. Saftig und am Beginn seiner Entwicklung wäre er also die ideale Begleitung zum alten Nobelpreis-Träger-Gedicht „Die Hagebutten-Laterne“ von Seamus Heaney. Denn auch dieser Blaufränkisch vermag es, ein „kleines Licht für kleine Leute“ zu entzünden. Schluckweise halt.
Da der einzige 2008er leider beeinträchtigt schien, blieb der 2010er Spitzerberg vom Weingut Muhr-van der Niepoort als ältester Vertreter. Er begann mit ziemlich bedächtigen Bewegungen. Die Nase verriet anfangs das Alter des Blaufränkisch, ehe sich die Himbeer- und Kakao-Töne herausschälten. Man könnte allerdings sagen, „der Alte simulierte nur“. Denn kaum im Mund, erweist er sich als Springinkerl; was wie ein in Ehren ergrauter Pinot Noir begann, wird lebendig. Das verdankt er der frischen Art und einer feinen Säure, die plötzlich Richtung roter Johannesbeere dreht. Hätte es noch eines Beweises bedurft, hier war der Wein gewordene Ausruf „Der Spitzerberg muss Zeit haben“. Und auch damit ist er ein Vorbild für die anderen Lagen der Gegend.
Bezugsquellen:
Johannes Trapl, Blaufränkisch „Spitzerberg“ 2015 ist um EUR 32 im Web-Shop des Weinguts zu haben, www.trapl.com
Weinbau Glock, Blaufränkisch „Spitzerberg“ 2014 ist um EUR 22 ab Hof erhältlich, www.weingut-glock.at
Weinbau Riedmüller, Blaufränkisch „Spitzerberg“ 2012 gibt es um EUR 25 im Web-Shop des Weinguts, www.weinbau-riedmueller.at
Muhr-van der Niepoort, Blaufränkisch „Spitzerberg“ 2010 ist um EUR 45 bei Wagners Wein-Shop erhältlich, der Jahrgang 2013 um EUR 47, www.wagners-weinshop.com