Weinverkostung als Ausdruckstanz: „Der 2007er ist hier“, bildet Dorli Muhr mit der Hand ein Flachdach in 1,20 Meter Höhe, „der 2010er da“, senkt sich die gleiche Hand. Was uns das sagt? Dass man am Spitzerberg, wo sich die Rieden der Winzerin befinden, keine uniforme Stilistik und auf-Nummer-sicher-Ernten pflegt. Während die Kellertechnik in kleineren Jahrgängen anderswo Kanten glatt bügelt, da ein Alzerl Merlot oder Rösler beifügt, um einen „säurigeren“ Blaufränkisch gefälliger zu machen, lässt man ihn in diesem Teil des Weinbaugebiets Carnuntum gewähren. Selbst die Fässer sind zwar Barriques, „aber Fünft- und Sechstbefüllungen“, wie Robert Payr (am Foto unten rechts beim Einschenken) ergänzt. Soll heißen: Mehr Behältnis als Aromageber.
Denn Aromatik bringt der Spitzerberg in guten Jahren genug mit, zu viel Holzeinsatz kann diese Frische, die sich mit Würze paart, nur beschneiden. Dieses Ergebnis erkennt man aber erst in einer listigen Verkost-Anordnung, wie sie in den Redaktionsräumen der neuen Online-Austro-NZZ aufgebaut wurde. Eingeschenkt werden die Jahrgänge 2006 bis 2012. Die meisten der sieben anwesenden Winzer begannen 2007 mit dem eigens abgefüllten Spitzerberg Blaufränkisch. Aus den Anfangsjahren sind es teilweise schon private Flaschen, die heute im Dienste des Langzeitvergleichs geöffnet werden. „Den hab ich selbst schon lange nicht getrunken“, hört man da und dort an den Tischen und angesichts der geringen Erntemenge (wir sprechen je nach Betrieb von 300 bis 1.000 Flaschen) ist die Großzügigkeit umso mehr zu loben.
Wobei der Spitzerberg durchaus werblichen Rückenwind brauchen kann. Die Weine öffnen sich langsam und teilweise gegen die Primitivlogik – 2010 wirkt bereits fortgeschritten, 2008 hingegen lässt eine fast übermütige Säure bei fast allen verkosteten Mustern tänzeln. Zudem sind sie mit einem Mindestpreise von 22 Euro nicht gerade angetan, zum Rubin Carnuntum eines Hauses auch gleich sechs Flaschen davon zu erwerben. Beides mag zum geringen Verbreitungsgrad der raren Weine noch beitragen, aber auf der Habenseite steht Wein abseits des Mainstreams und Winzerentdeckungen wie Michaela Riedmüller. Der Betrieb in Hainburg kann unter ihrer Ägide als echter Newcomer gelten. Der hohe Weißweinanteil im Heurigenbetrieb (gut die Hälfte der Fläche machen Welschriesling, Veltliner und Riesling aus) soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass man sich auch auf den Rotwein versteht.
Hainburg, Riedmüller – eine Entdeckung!
Die 14% des 2012er Spitzerberg etwa merkt man kaum, so frisch kommt der jüngste Jahrgang daher: Limette (!), Wildkirsche und eine leichter Balsamico-Anflug weisen auf ein säuriges Rückgrat hin. Dem ist auch so, wenngleich der Gaumen weit zugänglicher erscheint, als man von einem jungen Blaufränker erwartet. Saftige Kirschfrucht, dazu Marzipan, ab dem Mittelstück Kakao und ein noch jugendlich forderndes Tannin stecken die „Pflicht“ in Sachen Sortencharakter ab. Im Finale hingegen zeigt sich das Potential, denn nur verhalten kommen die würzigen Lorbeer- und grünen Olivennoten im Rückgeschmack zum Vorschein.
Ganz anders dagegen zeigt sich der schon im Duft abweichende 2011 der Riedmüllers. Seine Cranberry-Kopfnote wird flankiert von viel Würze: Gebrannte Mandeln und etwas gerösteter Knoblauch machen neugierig, wie das schmeckt. Gut, wäre die Kurzantwort. Konkret kommen die Preiselbeeren am stärksten durch, die roten Früchte werden stets von einem zarten Gerbstoff-Bitterl begleitet, eine an Walnuss erinnernde Komponente rundet den intensiven Spitzerberg 2011 ab. Mit 13,5 % Alkohol ist er etwas leichter, vor allem aber auch eleganter im Finish. Dennoch: Riedmüller soll man sich merken, beide Weine sind gut, individuell und haben Potential (der 2012er insgesamt wohl etwas mehr – und das nicht, weil er ein Jahr jünger ist).
Dietrich – zwei Gesichter in Prellenkirchen
„Der typische Spitzerberg ist nicht weichgespült und fruchtbetont“, definiert Josef Dietrich. Sohn Christian, der das Prellenkirchener Weingut leitet, schenkt derweil den Spitzerberg 2008 ein. Der ist ein echter „Nasenwein“ – ausgeprägte Himbeere und Erdbeere im Duft erinnern an Pinot Noir, dazu kommt aber auch Leder, Kakao und Preiselbeere (die uns noch öfter begegnen wird in den Weinen). Saftig und zugänglich ist der erste Schluck, Kirsche satt paart sich mit einem kräftigen Schuss weißem Pfeffer, im Abgang kommt auch noch Lorbeer als herbe Note dazu. Der Dietrich-Blaufränker hat alles, die Säure hat sich zwar ein wenig abgebaut, stützt den 2008er aber immer noch. Der Höhepunkt? Kommt wohl erst, aber im Moment eine echte Freude, dieser Wein.
Das gilt auch für den jüngsten Spitzerberg der Dietrichs: 2011 duftet nach Schwarzwälder Kirsch-Torte; Schokolade, dunkle Kirsche und etwas Würze, alles da. Vollmundig, angestopft mit Kirschen- und Zwetschkenaromatik, ist dieser Blaufränkisch am Gaumen, der in seiner dunklen Art auch noch nussige Töne an den Tag legt, ehe es im Finish einen Eukalyptus-Nachschlag gibt. Groß, aber ganz anders als der Vorgänger. Was zu beweisen war.
Heiß oder kalt? Was es bei Glock geschlagen hat
Denn tatsächlich prägen sich, das zeigt der Jahrgangsquerschnitt weiterhin, zwei Gesichter aus. Eine zartere, rotfruchtige Variante, die in der Jugend von der Säure lebt, und erst nach vergleichsweise vielen Jahren in eine ätherisch-leichte, fast Pinot Noir-artige Stilistik übergeht. Der Jahrgang 2007 zeigte diesen Charakter. Daneben stehen die heißeren Jahre, die eine dunkelbeerige Aromatik ausprägen (Holunder und Brombeere stand oft bei den Notizen, etwa zu den 2006ern). In beiden Fällen zeichnet eine Würzigkeit die Spitzerberger Weine aus, „die kühlen Jahrgänge sind langfristig die spannenderen“, ist sich Winzer Günther Glock sicher.
Seine sechs Jahrgänge bestätigen die Einschätzung, der 2010er erweist sich momentan als fast burgundisch karger, dabei aber von Erdbeere, Vanille und Kirsche gesättigter Wein. Eine ähnliche Stilistik, wenngleich noch lebendiger, hat der Jahrgang 2007 des Edelstaler Winzers: Saftig und strukturiert beginnt der Spitzerberg mit roten Beeren, vor allem Ribisln, ehe sich weißer Pfeffer zu einem im Abgang fast flirrend-würzigem Zug materialisiert. Von den jüngeren Weinen sei – trotz des Preiselbeer-satten und erstaunlich zugänglichen 2012ers – der Jahrgang 2011 gelobt. Der Duft nach jungen Kirschen und eine an Früchtetee gemahnende Hibiskus-Note stimmen auf einen wunderbar süffigen Roten ein; Kirsche und Preiselbeeren stellen die Frucht, während ein herb-schokoladiger Zug die Begleitmusik abgibt. Wie schon erwähnt, ein Blaufränkisch, der sofort zum nächsten Glas animiert.
Payrs Preiselbeere in der Wartestellung
Robert Payr, der charismatische Präsident der Rubin Carnuntum-Weingüter, begann 2007 mit einem reinsortigen Blaufränkisch vom Spitzerberg, mehr als 1.000 Flaschen gibt es auch bei ihm – dem „Großen“ in der Runde – nicht pro Jahrgang. Und groß ist auch das Stichwort zum 2011er Spitzerberg. Noch hat ihn der Gerbstoff in den Klauen, doch allein die vielschichtige Würze, in die er momentan seine Fühler ausstreckt, läßt zur Bevorratung raten. Ribisl, vielleicht auch etwas Himbeere, jedenfalls relativ säurig ist die erste Nase, der aber deutlich Töne von Unterholz und schwarzem Pfeffer folgen. Auch am Gaumen spielt sich beides ab, die säurig-herb unterlegte Aromafraktion repräsentiert die Preiselbeere (wieder einmal!), der schwarze Pfeffer, aber auch die in Richtung Enzian und schwarze Olive gehende Würze zeigt kräftig auf. Noch wie gesagt verbaut das Tannin ein bißchen den Blick, aber schon jetzt macht das großen Trinkspaß.
Wo die Reise hingeht, zeigte Payrs erster Jahrgang, der 2007 gefüllte und momentan auf einem schönen Plateau befindliche Blaufränkisch. Die Familienähnlichkeit mit 2011 dürfte allerdings zum 2008er größer sein, er spielt auffallend zwischen bitter-herben und fruchtig-frischen Eindrücken: Grüne Olive und Bitterschoko finden sich neben Brombeere im Duft, am Gaumen bringt der 2008er eine Saftigkeit ein, die an die Biss in eine Herzkirsche gemahnt. Dem Pfeffer im Finale – eine weitere Parallele – wird mit Eukalyptus und Minze ein Tiefgang verliehen, der den 13% starken Spitzerberg (2011 hat ein halbes Prozent mehr) zum momentanen Favoriten macht.
Bezugsquelle:
Weinbau Riedmüller, Blaufränkisch „Spitzerberg“ 2011 und 2012 sind um EUR 19 bzw. 22 ab Hof erhältlich, www.weinbau-riedmueller.at
Weinbau Dietrich, Blaufränkisch „Spitzerberg“ 2008 und 2011, sind ab Hof um jeweils EUR 22 erhältlich, www.weinbau-dietrich.com
Weinbau Glock, Blaufränkisch „Spitzerberg“ 2007, 2008, 2011 und 2012 sind alle ab Hof um EUR 22 erhältlich, office@weinbau-glock.at
Weingut Payr, Blaufränkisch „Spitzerberg“ 2007, 2008 und 2011 sind ab Hof um EUR 27 erhältlich, www.weingut-payr.at