Wohin man auch schaut, wachsen die Rotwein-Seen. Was mit dem fehlenden Absatz in der Gastronomie zu COVID-Zeiten begann, hat sich zu einem veritablen Paradigmen-Wechsel ausgeweitet. Wenn Wein getrunken wird, dann lieber leicht, rosa und sprudelnd. Doch nicht alle Rotwein-Sorten dieser Welt lassen sich zu Rosé verwandeln. Und sie sollten es auch nicht. Denn aktuell hat man die Moden durch und findet praktisch in allen Gebieten ausgewogene und schneller zugängliche Weine.
„Überholzt“ ist praktisch nichts mehr im roten Mainstream, bitter vor harschen Gerbstoffen auch nicht. Und vom Alkohol, der natürlich höher liegt als 12,5% vol., sollte man sich nicht schrecken lassen. Denn längst schafft man auch leichtfüßige Varianten, woran Ganztrauben-Verwendung und andere Maischestandzeiten auch einen Anteil haben.
Ganz abseits der Kellertechnik aber sollte man eines festhalten: Jetzt Rotwein zu trinken, bringt mehr Vergnügen als noch vor zehn Jahren. Das gilt umso mehr in jenen Gebieten, die schon aufgrund ihrer Größe schneller auf Konsumenten-Vorlieben reagieren mussten. Womit wir im Chianti-Gebiet angelangt wären, um das es heute geht. Konkret bei Isole e Olena. Im Hintergrund steht hier seit kurzem die französische EPI-Gruppe, die wir hier schon als Eigentümer des Brunello-Weinguts Biondi Santi vorgestellt haben.
Auch im Chianti-Gebiet stärkte man die alten Tugenden, für die Langzeiteigentümer Paolo De Marchi stand. Er war vor allem auch für die Entwicklung eines lokalen Sangiovese-Klons eine prägende Figur des weltbekannten Rotwein-Gebiets. Heute steht er als Berater noch Emanuele Reolon (Bild links) zur Seite, der das 56 Hektar-Weingut in San Donato in Poggio führt.
Das Herzstück der Produktion ist und bleibt der 1969 erstmals produzierte Chianti Classico: Sangiovese mit einem kleinen Anteil Canaiolo wird in großen Holzfässern für ein Jahr gereift. Daran schließt die Italien-typische Flaschenreife an, die sechs Monate währt. Und mit dem Jahrgang 2022 hatte man dank Regen zu Beginn und Ende der Reife auch vergleichsweise wenig Stress mit zu großer Hitze. Das Ergebnis ist ein Wein, der zeigt, was guter Chianti kann, auch ohne eine „Riserva“ zu sein.
In der Nase ist es ausgewogener Mix aus Kirschfrucht, die schon da tiefgründig wirkt, und Kokosraspel. Diese Nuance erzählt vom Ausbau des 2022ers im Holz, kommt aber ohne Bitter-Töne und herbe Tannin-Anflüge aus. Stattdessen erkennt man auch eine recht kompakte und dunkle Beerenfrucht (z. B. Heidelbeere), die von Metall-Feilspänen begleitet wird. Kühle signalisiert dieses Duftbild bei aller Power der 14,5% vol. – wozu auch die frischen Kräuternoten beitragen, die an Salbei und Lorbeer gemahnen.
Erwartungsgemäß bringt der Chianti Classico dann auch am Gaumen satte Eindrücke mit. Wobei das weder heißt „fett“, noch „alkoholisch“. Für einen 2022er ist der Isole e Olena bereits sehr geschliffen und gerade das zeigt, wie aktuell Rotwein verstanden wird. Schätzen müssen ihn dann halt die Käufer – so sie sich nicht von dünnen und säurigen, vielleicht gar entalkoholisierten, Alternativen irre machen lassen. Für die stets geschätzte Sangiovese-Fruchtigkeit sorgt hier ein Geschmack nach überreifen Erdbeeren. Er kann aber keine Fruchtsüße entfalten, weil ihm auch die dunkle Seite der Rebsorte – schmeckbar als Heidelbeer-„Gatsch“ (also zerdrückte Beeren) – zur Seite steht.
Der Ausweis eines perfekten Allrounders wird dann vom Tannin dieses Chianti geliefert. Es wirkt bemerkenswert geschliffen, bittert auch nicht nach im Finish und sorgt eher für Struktur als einen konkret erkennbaren Geschmack. Etwas dunkle Schokolade zeigt allenthalben die Jugend an. Für alle, die nicht warten wollen oder keinen Lagerraum haben, ist das ein guter Wein für den Sommer 2025. Grillfleisch mag der Chianti bekanntlich, auch wenn es keine Bistecca im florentinischen Stil sein muss. Wer mehr Geduld hat, wird mit Sicherheit erleben können, wie der Rote aus San Donato in zwei Jahren noch eine Schippe Wohlgeschmack draufpackt.
Aber wie gesagt: Das müsste er gar nicht. Was aber eben nur ein Vergleich mit anderen Weinen zeigt. Und dafür muss man halt mehr Rotwein trinken. Ganz gegen den Trend!
Bezugsquelle:
Isole e Olena, Chianti Classico 2022 ist um EUR 28,- im Webshop des Italien-Spezialisten „Superiore“ erhältlich, www.superiore.de