Wieder einmal waren die Römer schuld. Sie sollen das Trocknen von bereits geernteten Weintrauben erfunden haben. Angeblich aus Zeitmangel im Herbst, als in den gemischten Landwirtschaften alles zusammen kam. Pressen kann man im Winter schließlich auch noch. Während hierzulande mit wenigen Ausnahmen (das Weingut JbN von Franz Jägersberger in Neudörfl bzw. Axel Stieglmars „Tricata“) weisse Trauben getrocknet werden, sind es im Valpolicella-Gebiet rote Sorten, die den – gewöhnungsbedürftigen – Weltwein Amarone entstehen lassen. Sein Verkaufsanteil in Österreich hält sich seit Jahren konstant, wie Importeur Christoph Morandell verriet, der mit Raffaele Boscaini zur Verkostung lud.
Damit dürfte der Amarone eine treue Fangemeinde besitzen, denn an sich trinken wir seit Jahren immer weniger italienischen Rotwein. Die Aromatik jedenfalls ist ausgeprägt und eigenwillig, gepresst werden die auf Gestellen vorgetrockneten Weintrauben Ende Jänner das erste Mal, durch das so genannte Appassimento-Verfahren verlieren sie davor 35% an Gewicht. Auf die erste Gärung in der kalten Jahreszeit folgt später eine zweite mit alkoholresistenten Reinzuchthefen (16% sind im fertigen Wein nicht selten).
Raffaele Boscainis Familie führt das Haus Masi, das vor allem durch seinen Vater Sandro Boscaini, weltbekannt wurde. Deren aktuell jüngster Amarone della Valpolicella Classico DOC, so die Langfassung des Namens, stammt aus dem Jahrgang 2008. Der „Costasera“ ist ein Blend aus 70% Corvina, 25% Rondinella und 5% Molinara. Neben diesen klassischen drei Sorten für Amarone verwendet Masi noch die Oseleta-Traube, die fast alle anderen Winzer aufgegeben haben: Zuviel Schale, zu wenig Saft. Allerdings bedeutet gerade der große „Haut“-Anteil auch viel Tannin, das mitunter erst für den Schliff der Cuvées sorgt – deutlich bei der „Riserva di Costasera“ 2007 zu schmecken, deren Herbheit an eingelegte grüne Nüsse erinnerte. Doch zurück zum „Costasera“; der ist zwar noch deutlich holzgeprägt in der Nase (Vanille, Leder und Zedernholz), am Gaumen aber paaren sich bereits fruchtsüße Erdbeere und grüne Pfefferwürze mit dem Tanningerüst. Ein hocheleganter Einstieg in die Amarone-Welt, falls man sich nicht gleich an die alten Jahrgänge wagen will.
Die Jahrgangsunterschiede, das machte Boscaini deutlich, seien ein Markenzeichen, das die ohnehin ausgeprägte Vielfalt der Lagen (Kernfrage: dem Gardasee zu- oder abgewandt?) noch unterstützt. Erntejahren, die den Winzer fordern – vom Hitzejahr 2003 konnte keiner der Vertreter im Tasting richtig begeistern – stehen langelebige Weine gegenüber, die zu einem Vergleich einladen. Vom „Campolongo di Torbe“ bot etwa der 1995er ein Potpourri an herben Duftnoten (Maggikraut, Sojasauce, Wacholder und Pastinake), dafür wundervolle Balance am Gaumen. Dunkle Sauerkirsche und ein nicht anders als elegant zu nennendes Tannin machen den Wein aus Masis ältester Einzellage (seit 1958 wird er gefüllt) zu einem momentan sehr zugänglichen Amarone. 1997 hingegen knallt auf den Gaumen mit einer Direktheit einer Faustwatschn: Kurkuma, Kirsche, etwas Schuhwichse und grüner Pfeffer kitzeln die Nase, ehe das fast klebrige Tannin auch die letzte Geschmackspapille von den ersten Eindrücken von Brombeere und Kornellkirsche befreit. Wenn die Bezeichnung „full bodied“ je für einen Wein passte – und mehr als „voll-mundig“ ist der Campolongo di Torbe jedenfalls – dann für diesen.
Bezugsquelle: Masi, Amarone della Valpolicella Classico DOC „Costasera“ 2008, EUR 38,40 bei Morandell, www.vinorama.at – der „Campolongo di Torbe“ der Jahrgänge 1995 und 1997 ist auf Anfrage ebenda erhältlich (aktueller Jahrgang 2006: EUR 92,90)