Sammler von Whisky halten sich gerne an die unabhängigen Abfüller des schottischen Lebenswassers. Das Laien gar nicht so bekannte zweite Distributionssystem des Scotch Single Malts basiert auf den Beständen, die Destillerien nicht selbst abfüllen, sondern unter den Labels der „independent bottlers“ auf den Markt kommen. Finden sie einen „17 years“ besser, kommt er auch mit diesem Alter in die Flasche, wo in der originalen Brennerei das Marketing (und der Controller) vielleicht einen „18 years“ sinnvoller fänden. Mit seiner neuen Abfüllung macht einer der respektiertesten Unabhängigen nun aber mächtig Schlagzeilen. In Elgin bei Gordon & MacPhail wurde schließlich der bis dato älteste Single Malt überhaupt gefüllt. Der „Generations 80 years“ wurde bei Glenlivet gebrannt, am 3. Februar 1940 kam er ins Fass, am 22. September 2021 hatten wir ihn im Glas.
Denn während derlei Raritäten mit fünf-stelligem Preisetikett sonst allenfalls eine Presseaussendung wert sind, wurde dieser 80-jährige Malt auch verkostet. Was der Großzügigkeit von Christoph Kirsch (vom Importeur Kirsch Whisky) und Stephen Rankin (aus der Eigentümerfamilie von Gordon & MacPhail) zu verdanken ist, die in Frankfurt glatt 3 cl einschenkten. Pure Ehrfurcht vor dem Whisky, der älter als jeder im Raum Anwesende war, schwang beim ersten Schnuppern schon mit. Gekostet wurde schließlich auch ein Stück Geschichte. Rankins Großvater George Urquhart, vom Enkel als „exzentrisch bis an die Grenze des Wahnsinns“ beschrieben, hatte das Fass No. 340 einst gefüllt. Das Holz dafür wurde geschlagen, „als Abraham Lincoln noch ein kleiner Anwalt in Illinois war“, stellte man mit britischem Understatement fest. Doch nicht nur die historische, auch die technische Story hinter den gerade 250 Flaschen hatte es in sich. Denn dass nach acht Jahrzehnten im Fass (und einer Corona-bedingten Ehrenrunde im Dekanter) noch 44,9 % vol. da waren, überraschte.
„Das volle Warehouse fungiert wie eine Abdichtung“, erklärte Stephen Rankin, zudem hatte man die Rarität am Boden platziert, um wenig Luftkontakt und Schwund zu erreichen. Allerdings hatte das 500 Liter-Gebinde aus Jerez auch doppelt so dicke Dauben als heute üblich. Faszinierend war vor allem der Brennstil der „guten, alten Zeit“, der in der Nase als kräftige und rauchige Duftnote durchkam. Direkt mit Kohle befeuert und von Malz stammend, das vor Ort getrocknet wurde, atmete der Glenlivet die „smoky atmosphere“, die 1940 in der Brennerei geherrscht hatte. Die Süße von Kirschen, verloschenes Lagerfeuer, aber auch gesalzene Nüsse und dezente Kokos-Töne waren zu riechen. Vor allem überraschte die Frische dieser Kostbarkeit. Pfirsich-Duft, cremige Tiramisu-Noten und Stechginster gesellten sich dazu, als der „Generations 80 years“ ein wenig atmen durfte. „Er ist wie ein Buch, das man nicht weglegen kann“, kommentierte Stephen Rankin unseren Versuch, Kostnotizen anzufertigen. Auf österreichisch gesagt: Den „80 years“ kannst nicht „ausriechen“!
„Dieser 80-jährige Glenlivet ist wie ein gutes Buch, das man nicht weglegen kann“.
Stephen A. M. Rankin, Gordon&Mac Phail
Der erste Schluck überrascht dann mit ebenfallls klar rauchigen Noten. Diesem lebhaften Auftakt folgt ein cremiger Mittelteil, der die Patisserie-Assoziationen wieder aufnimmt: Datteln und kandierte Walnüsse sind zu schmecken, die allmählich in medizinal-würzige Töne (z. B. Asafoetida und Fenchelsaat) übergehen. Das Finale bringt eine Abwandlung des „smoky“ Auftakts in Form fast speckiger Anklänge. Ein wenig Wasser mag als Sakrileg erscheinen, es macht den Whisky aber noch geschmeidiger und fruchtiger; Holzkontakt hatte er ohnehin genug in den 81 Jahren vor unserer Verkostung. Dann zeigen sich auch gedörrte Apfelringe und ein noch eleganteres Rauch-Tönchen. Die trockenen Noten im Abgang verraten die lange Holzfass-Lagerung auch hier noch.
Doch Stephen Rankin hatte nicht nur den Weltrekord-Whisky mitgebracht, sondern auch Abfüllungen, die keine 5-stelligen Preise tragen. Das Prinzip des „independent bottlers“ ehren aber auch die Single Malts der so genannten „Distillery Labels“-Serie. Es sind Abfüllungen, die Whiskys bekannter schottischer Brennereien auf den Markt bringen, wenn Stuart Urquhart (wie Rankin Angehöriger der 4. Eigentümer-Generation) es für richtig hält. Dazu gehört mit Mortlach auch die älteste Brennerei der Speyside-Hauptstadt Dufftown. Hier war es ein 15-jähriger „dram“, der eingegossen wird. Und das „Beast of Dufftown“, wie der Spitzname dieser Whiskys lautet, enttäuschte keineswegs. Zwischen Schwefelquelle und Leder-Politur wechselte der kraftvolle Duft des 46% starken Single Malts. Gedämpfte rotfruchtige Noten – etwa angetrocknete Weichsel – decken diese kräftige Seite sanft zu. Eine Erinnerung an Thymian schwebt ebenfalls über dem Glas, vor allem, wenn es länger Zeit hat zu „atmen“.
Saftig und herbstlich zugleich wirkt der Mortlach am Gaumen; Pilze, vor allem getrocknete Steinpilze, und Schokotrüffel untermauern diesen Eindruck. Zarte Süße nimmt die Frucht-Töne aus dem Duft auf, als Gegenspieler meldet sich aber auch feine Salzigkeit. Fügt man ein paar Tropfen Wasser hinzu, wird dieser Zug deutlicher. Dann schmeckt man auch Erdnuss-Flips. Im letzten Drittel wirkt diese komplexe Mischung wie ein Umami-Booster. Wer die chinesische Mischung aus gehacktem Schweinefleisch und Sojasauce kennt, die gerne in Germteig (Bao Buns oder Dim Sum) serviert wird, weiß, woran der „15 years“ in dieser Phase erinnert.
Serviert wurde er übrigens zu Hirsch-Medaillons mit Bohnenragout und Kräuter-Pürée. Und zu diesem Wildgericht konnte er in der Tat wie eine Gewürzmischung genossen werden. Nur halt im Glas. Was für ein „Beast“!
Bezugsquelle:
Gordon & Mc Phail, „Generations 80 years” ist dem internationalen Sammlermarkt vorbehalten, der Mortlach 15 years kostet EUR 77,90 (0,7 Liter-Flasche) bei Weisshaus, www.weisshaus.at