Die Neujahrsvorsätze des Trinkprotokollisten ist einfach: Wieder alle zwei Tage Neues einstellen im Blog und vor allem schneller „wegschreiben“, wie es die Printmedien-Haudegen nennen. Im Falle des „Verkostsalons“, den der Vintage-Weinhändler Trinkreif erstmalig in Wien veranstaltete, kann man vielleicht ein wenig darüber hinwegsehen. Denn wer selbst Wein reift, hat vielleicht auch für die gut abgelegene Kostnotiz was übrig.
So oder so, gehören auch einmal jene Weine vor den Vorhang geholt, die Clemens Riedl und Markus Inzinger nicht aus Sammlungen und Gastrokellern erwerben, sondern direkt bei den Winzern erstehen, um sie lange reifen zu lassen (oder eben auch nicht).
Tatsächlich verdankten wir dem Tasting in der Stumpergasse so manches Wiedersehen mit österreichischen „Blue Chips“. Die Suche nach immer neuen Reizen macht ja manchmal vergessen, wie gut etwas ist, dass man als „eh immer gut“ im Gedächtnispalast abgelegt hat. Danke für’s Wiedertrinken, kann man zunächst also einmal in Richtung Wachau sagen. Der „Loibenberg“ mag für echte Kenner der Weine Lucas Pichlers nicht die erste Lage sein, die man bei freier Wahl öffnen würde. Doch mit dem 2015er Riesling Smaragd (damals war F.X.Pichler bekanntlich noch Mitglied der Vinea Wachau und nutzte deren Qualitätsbezeichnung). Doch dieser Duft! Rauch zuerst, dann Zitronenpfeffer und Kumquats, später Gewürznelke, die überleitet zur Steinfrucht – Marillenkompott pur! Und es ist kein Nasenwein. Am Gaumen zeigt sich eine unglaubliche Sortentypizität, die Weißen Pfirsich mit einer Säure kombiniert, die schon fast das Zeug hat, einem das Prickeln von „Bellini“ vorzugaukeln. Dass eine feine Fruchtsüße dieses Spiel aus Sortencharakter und Frische noch intensiviert, trägt noch zum Charme dieses Jahrgangs in seiner heutigen Tagesverfassung bei. Große Freude, wenig Opulenz!
Der zweite Weiße stammt aus Langenlois und ist ein Klassiker aus dem Repertoire des von Master of Wine Andreas Wickhoff geführten Weinguts Bründlmayer. Uralte Riesling-Stöcke geben dem „Heiligenstein Alte Reben“ ihre intensives Gepräge mit. Wir sprechen von einem Durchschnittsalter von 45 Jahren, wobei die ältesten Stöcke in dieser höchstwertigen Riede bis zu 80 Jahren alt sind. Dazu kommt ein Minimalertrag, der gerade einmal 2.500 Liter pro Hektar beträgt. Es ist also eine Essenz von Boden und Sorte und genau so lässt sich der Jahrgang 2016 auch an: Rauchig und expressiv knallt einem dieser Riesling Kaffir-Limettenblätter und Guyot-Birne um die Ohren. In zweiter Lesung sind auch Mango und Cavaillon-Melone präsent. Steinobst dürfen die jungen Reben einem in den Verkostblock diktieren, sagt dieser Duft indirekt auch aus.
Das Kunststück großer Weine, nämlich einen sensorischen Widerspruch zu zeigen, schafft der „Ried Heiligenstein“ auch locker. Er fischt an zwei Küsten. Reif und saftig erzählt der Auftakt vom heißen Jahr am „Höllenstein“ des Kamptals, während die massive Zitrusfruchtigkeit (inkl. Säure) scheinbar einem anderen Wein zu gehören scheint. Das große „Aber“: Diese beiden Eindrücke sind verwoben. Man schmeckt Yuzu und den enormen Extrakt zugleich. Dicht und packend ist dieser Bründlmayer in der aktuellen Form, aber keiner, der alles niederreißt. Eher ein Typ, der mit Argumenten überzeugt, die nicht zu widerlegen sind. Final kommt noch eine leichte Fruchtpikanz und auch ein dezenter Pfirsich-Ton, der aber in seiner flirrend-würzigen Terroir-Prägung an Senffrüchte dieses Steinobsts erinnert. Hier sind wir definitiv am ersten Plateau der Genussreife – ein echter Leckerbissen an Weißwein!
Tisch 3 im Trinkreif-Kostsalon war dann „Österreich rot“ gewidmet und auch hier waren es zwei herausragende Weine, die wir notierten. Das durchscheinende Karmin-Rot und ein Duft nach Sauce Cumberland, Rooibostee und Erdbeergelée zeigten auch ohne weitere Info einen Pinot Noir von Rang im ersten Glas an. Er stammt aus dem Kamptal und dem Jahrgang 2016. Das Erntejahr kennen wir bereits, aber auch den Winzer: Erneut ist es Wein von Willi Bründlmayer. Als einer der größten Liebhaber der Sorte, hat hier einen schlicht prototypisch zu nennenden Burgunder auf die Flasche gebracht. Das seidige Mundgefühl lässt sich schön auskosten, denn der Gerbstoff – immer noch vorhanden – baut sich langsam erst auf. Dazwischen leuchtet die Frucht im Mund förmlich. Himbeere und Sauerkirsche haben Platz und profitieren von zarter Kühlung des Rotweins aus Langenlois. Hier sind wir weit Weg von Schwere, auch Alkohol scheint keine Rolle zu spielen, so leichtfüßig und vor allem balanciert wirkt dieser 2016er von Bründlmayer.
In einer ähnlichen Liga operiert der Blaufränkisch namens „Liebkind“, der von Dorli Muhr aus Carnuntum stammt und ebenfalls 2016 gelesen wurde. Schon die Nase zeigt hier, dass wir uns jenseits der Hauptroute der Sorte befinden: Grüne Tomaten, aber auch Pomodori secchi zeigen einen würzigen Typus an, der mit pikanten Aroma-Einschüben versehen ist. Obertöne von Plantagen-Schokolade und ein Anflug von Zigarrenrauch, der noch in den Vorhängen verharrt nach einer langen Nacht, liefern dezente Erinnerungen an den Boden des Spitzerbergs. Während hier die Worte noch Bilder zeichnen können, wird es im Mund schwieriger, diesem „BF“ Muhrs zu folgen. Denn er liefert ein Oxymoron; ebenso satt wie leicht schmeckt dieser Rotwein, in dem die Struktur alles ist und die Frucht eher nur „auch“ stattfinden darf. Feine rote Fruchtnuancen lassen an Pinot Noir denken, die Säure ist wieder purer Blaufränkisch und wo diese zarte Cremigkeit am Gaumen herkommt, addiert sich zum Rätsel dieses „Liebkinds“. Rosa Pfefferbeeren und etwas Himbeere, im Finale dann auch Malve liefern spät etwas für die klassischen Rubriken nach („on the fruit side we have…“. So spät, dass es eigentlich keinen mehr interessiert. Zu gut ist dieser Carnuntumer, als dass man ihn auf das Aromen-Karaoke reduzieren sollte. Vor allem bringen Tannin und die säurig unterlegte Rotbeerigkeit, bei der man an reife (!) Kornellkirschen nach der ersten Frostnacht denkt, richtigen Zug mit. Es ist ein Rotwein, mit dem man sich elegant wieder frisch trinken kann. Nachschenken wird bei diesem „Liebkind“ zum Automatismus.
Bezugsquelle:
F. X. Pichler, Riesling „Loibenberg“ Smaragd 2015 wird um EUR 41,67 (0,75 Liter-Flasche) angeboten;
Dorli Muhr, Blaufränkisch „Liebkind“ 2018 (neuer Jahrgang!) ist um EUR 54,17 erhältlich;
Weingut Bründlmayer, Riesling „Heiligenstein Alte Reben“ 2016 kostet EUR 47,50, der Pinot Noir Reserve 2016 kostet EUR 35,-; alle Weine über Trinkreif.at beziehbar, solange der (teils kleine) Vorrat reicht, https://trinkreif.at