Zum zweiten Mal öffnete parallel zum Bar Convent Berlin das „Grand Campari Hotel“. In Rot getaucht, stellte das Soho House an der Torstraße zugleich einen Ort des Stils dar. Andi Till als Maître empfing im Frack, sein Espresso aus der Faema weckte die Lebensgeister nach dem Messebesuch. Tommaso Cecca vom ikonischen Mailänder „Camparino in Galleria“ rührte mit Meisterhand Negroni. Und mit einem Risotto aus dem Parmesanlaib stärkten wir uns für die Cocktail-Erfahrungen. Zu denen diesmal Charles Schumanns japanische Reise namens „Onkochishin“ – Ehre die Vergangenheit, um Neues zu finden – zählte. In fast meditativer Weise genoss eine Stunde, die Minimalismus im Glas bot.
Beglückend daran war aber vor allem die Entdeckung eines Rezepts, das mit einer wunderbaren Bergamotte-Note punktete. Die verdankt sich allerdings einem Orangenlikör, der mit trockenem Wermut zusammen dem „Negroni“ ein gänzlich anderes Gepräge verleiht. Matthias Rübel, den Schumann selbst nur den „Professor“ nennt, erzählte uns zudem die Entstehungsgeschichte dieses Drinks. Optisch mag er eine Art dritte Farbe neben dem italienischen Klassiker in Campari-Rot und dem moderneren „White Negroni“ darstellen. Denn das Rosa des „Lucien Gaudin“, wie diese Köstlichkeit heißt, trägt schon zur Attraktivität bei, ehe man den Cocktail gekostet hat. Zumal man ihn vor Ort im Grand Campari Hotel in einem Glas der „Marlène“-Serie servierte. Das Whiskyglas der Serie von Zwiesel Glas brachte den „straight up“ servierten vergessenen Drink wunderbar zur Geltung.
Doch zurück zu Monsieur Rübel, der beim Servieren in die französische Sportgeschichte entführte. Vier olympische Goldmedaillen erreichte Lucien Gaudin (1886-1934), der trotz seiner Meisterschaft mit Florett und Säbel von Beginn weg von Tragik umschattet war. Denn schon viel früher hätte er sich Olympia-Ruhm holen können. Militärdienst – sein Vater war bereits Offizier und Fechter – später Regel-Streitigkeiten des Verbands und die abgesagten Spiele während des Ersten Weltkriegs brachten es mit sich, dass er erst 1924 mit dem französischen Fecht-Team siegreich war. Erneut allerdings bremste ihn eine Verletzung aus: Im Einzelbewerb konnte Gaudin nicht starten. Das glückte ihm erst mit 42 Jahren (!), als er in Amsterdam zwei weitere „Goldene“ gewann; er wurde Bester mit Säbel und Florett.
Glück war ihm trotz Ruhm und Reichtum als Bankier nicht vergönnt. Der „Schwarze Freitag“ und seine Folgen ruinierten Lucien Gaudin, der mit Tabletten wenige Tage vor seinem 48. Geburtstag aus dem Leben schied. Dass der Cocktail, den ihm 1929 Bar-Mann Charlie aus dem „Le Cheval Pie“ im Achten Pariser Bezirk gewidmet hat, bitter-süß ist, passt zur außerordentlichen Vita mit ihrer Fallhöhe. Hier steht, wie er gemacht wird.
Lucien Gaudin
Zutaten:
4,5 cl Dry Gin
1,5 cl Campari
1,5 cl Triple Sec (z. B. Ferrand)
1,5 cl trockener, weißer Wermut (z. B. Noilly Prat)
Glas:
Tumbler
Garnitur:
Keine (wer mag, nimmt eine Orangenzeste)
Zubereitung
Ein Rührglas mit Eiswürfel füllen und alle Zutaten gut kalt Rühren. In das Glas abseihen und – wenn gewünscht – mit der Zeste garnieren.
Als Alternative zum klassischen Mix, der zur Hälfte Gin und „equal parts“ von Wermut, Orangenlikör und Campari vorsieht, lässt sich auch weniger vom Gin einsetzen. Seinen idealen „Lucien Gaudin“ sollte man einmal gefunden haben. Dann steht ein wirklich vielseitiger Cocktail zur Verfügung. Ein schönes Glas zum Feierabend, vor allem aber auch ein Apéro, der festlichen Charakter hat. Man darf nur nicht zu sehr an das Schicksal des „goldenen“ Fechters dabei denken…
Bezugsquellen:
Campari, die Flasche des italienischen Bitterlikörs ist um EUR 13,99 (0,7 Liter-Flasche) in allen SPAR-Weinwelt-Filialen bzw. online erhältlich, www.interspar.at
Zwiesel Glas, das handgemachte Whiskyglas der Serie „Marlène“ kostet EUR 129,- (Karton à 2 Gläser) im Webshop der Glashütte, www.zwiesel-glas.com