Immer wenn irgendwer unseren Beruf (knapp beschrieben: „trinken und drüber reden“) mit „blöd einesaufen“ umschreibt, bleibt nur Achselzucken. Denn wie soll man derlei Nichtsahnern beschreiben, dass sich gerade in den Getränken die Kulturgeschichte klarer artikuliert als in manch Fussnoten-sattem Artikel. Vieles schlicht ist nicht ohne die Handelsrouten verständlich. Was heute als geheiligte Tradition im Nahrungsmittelbereich verkauft wird, stellt oft nur eine bequeme Option der Kapitäne und Fahrensleute früherer Jahrhunderte dar. Die regional eben zum Glück geblieben ist. Ein schönes Beispiel dafür, das sich ohne Reformation und Türkenkriege nicht erzählen lässt, stellt der „Ruster Ausbruch“ dar.
Dem heute als DAC geschützten Süßwein ging vor 500 Jahren schon das Ruster „R“ voran. Maria von Ungarn und Böhmen hatte zur Finanzierung von Türken-Abwehr und Hofhaltung eine eigene Geldquelle (abseits der Mittel ihres kaiserlichen Bruders Karl V.): den Handel mit Privilegien. So kam auch Rust zur ersten geschützten Handelsmarke. Wein mit dem „R“ durfte zollfrei transportiert werden, was den Weg nach Sopron vereinfachte, wo der Weinhandel für Westungarn sich konzentrierte. „Ein Großteil der Ernte ging von da nach Schlesien“, so Regina Triebaumer. Auch das Baltikum liebte den damals noch ungarischen Wein.
Die verzahnte Geschichte der beiden protestantischen Städte Rust und Ödenburg sorgte so für die älteste geschützte Herkunft auf dem Boden des heutigen Wein-Österreichs. Und gleich mehrere Ernten an „Ruster Ausbruch“ ermöglichten es dann Anno 1681, auch zur Freistadt zu werden: 30.000 Liter (!) erhielt die Obrigkeit in Person Kaiser Leopold I. Und auch, wenn die Botrytis cinerea vielleicht verlässlicher kam in diesen Jahren als heute – es war eine gewaltige Menge an flüssigem Gold!
„Representantes [….] ad singula vasa vinorum […] unam literam Alphabethi „R.“ cum ferro ignito imprimifacere debeant“
Die Geburt des „R“ im Original (1524)
Doch statt mit einer Lesung der Urkunde entschloss man sich am Weingut Triebaumer mit dem legendären Gold in Flaschen selbst zu feiern. Der Ruster Ausbruch kam 1979 aufs Weingut. Erneut erzählt das mehr, wenn man Regina und Günter Triebaumer lauscht, als die Jahreszahl selbst vermuten lässt. Ernst Triebaumer alias „E.T.“ war ebenso wie sein Bruder Paul Triebaumer aus der Genossenschaft ausgetreten, um eigene Wein-Wege zu beschreiten. Dazu gehörte auch der Ausbruch 1979 (aus 100% Welschriesling-Trauben), der als erster von 34 Weinen im Ruster Seehof ins Glas kam. Traubige Töne, etwas Ananas, auch Kaffee und ein deutlicher Zitrus-Ton standen zu Buche. Letzterer ist eine der Signaturen des Ruster Bodens beim Ausbruch. Am Gaumen zeigt der Wein nach 45 (!) Jahren eine klare Orangen-Note, die sich mit den herberen Akkorden von Walnuss und Grünkaffe, vor allem aber auch einem Alzerl Kardamom, vermischt.
Der Auftakt überzeugt also schon einmal, wobei sich die Raritäten beim 1981er noch einmal steigern. Hier war es ein reinsortiger Neuburger, der mit Kräutertönen und einem niedrigen Restzucker von 148 Gramm/Liter eine wunderbare Mischung aus herbalen und fruchtigen Noten vorstellte. Der Wechsel der Sorten – „in den 1980ern gab es eine Traminer-Phase“ – gestaltete die Vertikale in Gold spannend. Dazu kam der Wechsel von Paul auf Günter Triebaumer. Der erfolgte 2003, einem Jahr, in dem es keinen Ruster Ausbruch am Weingut gab. So stellte 2004 den Übergang dar, den prononcierte Salzigkeit im „Soletti“-Stil markierte. Doch mit dem Jahrgang 2007 folgt nur wenig später einer der besten Jahrgänge der 1979 begonnenen Serie. Dieser Welschriesling (264 Gramm RZ) zeigt anstelle der typischen Marillen-Noten einen fast verträumt wirkenden Weingarten-Pfirsich. Schüchtern-zartes Steinobst, das von einem Windhauch durch Lavendelfelder in der Nase begleitet wird, kündigt einen Ausnahmejahrgang an. Man darf der Nase trauen: Auch im Mund liefert dieser Jahrgang eine spannungsreiche, säurig-pikante Pfirsichfrucht wie allerbestes Gelée perfekt reifer Früchte. Wirklich grandios!
Aber auch ausverkauft. Denn chez Triebaumer hat man dank konsequenten Exports weiter genug Kunden für die gegen den Zeitgeist stehenden „Süßweine“. Was als Bezeichnung für den Ruster Ausbruch so unzutreffend ist, als würde man bretonisches Salzkaramell als „Zuckerl“ bezeichnen. Und auch die Erhebung der lokalen Spezialität zum DAC-geschützten Herkunftswein hat durchaus positive Folgen. Statt zehn Winzern wie im Vorgänger-Gremium „Cercle Ruster Ausbruch“ zählen die Winzer mit (fallweise) edelsüßen Abfüllungen nunmehr 25.
Platonische Reife oder die Suche nach der Pikanz
Triebaumers Ideal sieht dabei neben dem rechtlichen Mindestmostgewicht von 30° KMW auch eine pikante Note vor. Sie veredelt etwa Weine wie den Ausbruch 2013 (248 Gramm RZ), der die Nase mit Rotem Paprika und reichlich Nektarine verwöhnte. Aber auch der ist längst ausverkauft, ab Hof gibt es aktuell gerade die beiden 2022er, denn der Ausbruch 2023 reift noch in der Flasche. „Beide Jahrgänge sind wahre Perlen“, schwärmt Günter Triebaumer. Und der aus Gelbem Muskateller gekelterte 2022er bringt mit Piment d’Espelette-Duft auch das pikante Ideal sofort in Stellung. Die Würzigkeit liegt dabei über einem ausgeprägten Golden Delicious-Apfel, der sich auch mit Birne und Pomelo verbindet. Die Säure (10,7 Gramm) wirkt hier fast prickelnd dynamisch; sie verpackt 216 Gramm Restzucker in einer belebende Form, deren Inhalt an Gallia-Melone und Birnen-Sorbet erinnert. Doch ein „Caveat“ sei angesichts der reifen 30 Weine davor angebracht: Diesen Ausbruch jetzt schon zu trinken, wäre falsch. Denn da kommt noch weit mehr, wenn man ihn für ein paar Jährchen in den Keller verbannt.
Der zugänglichere der beiden Ausbrüche ist nämlich die Cuvée. In großartiger Form zeigte dieser vorletzte Jahrgang der edelsüßen Serie – 2022 – die Meisterschaft Triebaumers auf. Wie ein Marillenfleck, saftig, voller fruchtiger Ausdrucksstärke, lässt sich diese Cuvée aus Bouvier und Welschriesling an. Für das platonische Reifeideal (33 Grad Klosterneuburger Mostwaage) war dieser Ausbruch fast ein wenig zu üppig (35,5), allerdings stellen 11,1 Gramm Säure auch den höchsten Wert der Vertikale dar. Der an frische Trauben erinnernde Duft in der zweiten Nase zeigt schon das Gleichgewicht dieses Weins an. Noch sicherer macht aber der erste Schluck des 2022er Rusters: Die präsente Säure führt zu dem Kostnotizen-Oxymoron eines „gespritzten Kompotts“.
Denn die Steinfrucht-Woge schwappt mächtig über den Gaumen, wird aber von einer fast „Bellini“-artigen Spritzigkeit begleitet. Dass sich weißfleischig saftige Birne (Nashi) und auch Lychee dazugesellen, erhöht den Spaß an dieser leichtfüßigen Fruchteruption, die nur am Papier 279 Gramm Restzucker zu haben scheint. Dieser „Süßwein“ erfrischt richtiggehend. Und er hat somit auch alles, um ihn bei der nächsten Vertikale in zehn, 15 oder 20 Jahren auch noch zu glänzen.
Bezugsquelle:
Weingut Günter + Regina Triebaumer, Ruster Ausbruch DAC 2022 ist um EUR 36,- (0,375 Liter-Flasche) ab Hof bzw. im E-Shop zu haben, www.triebaumer.at